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LATEINAMERIKA/1407: Chile - Ex-Präsidentin Bachelet strebt Wiederwahl an (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. April 2013

Chile: Ex-Präsidentin Bachelet strebt Wiederwahl an - Soziale Gerechtigkeit als Wahlkampfthema

von Marianela Jarroud


Bild: © Sriyantha Walpola/IPS

Staatspräsidentin Michelle Bachelet strebt eine neue Amtszeit an
Bild: © Sriyantha Walpola/IPS

Santiago, 2. April (IPS) - Chiles ehemalige Staatschefin Michelle Bachelet drängt es erneut an die Schalthebel der Macht. Ihre Chancen auf einen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen im November stehen gut. Allerdings muss sie bis dahin die stetig anwachsende soziale Protestbewegung auf ihre Seite bringen.

Chile hat sich seit dem Ende von Bachelets Amtszeit im März 2010 merklich verändert. Seit zwei Jahren gehen Studentenorganisationen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Gruppen auf die Straße und nehmen die Regierung des konservativen Präsidenten Sebastian Piñera unter heftigen Beschuss. Die Protestbewegung blickt allerdings auch ernüchtert auf die 20-jährige Regierungszeit der Mitte-Links-Parteien nach dem Ende der Militärdiktatur von 1973 bis 1990 zurück.

"Ein großer und wichtiger Teil der Gesellschaft will jetzt einen Wandel und nicht nur Verbesserungen des bestehenden Modells", betont der Anthropologe Mauricio Rojas, der an der Jesuitenuniversität Alberto Hurtado in Santiago de Chile lehrt. "Diese Gruppe war in den vergangenen 30 Jahren kulturell, sozial und politisch unsichtbar. Nun ist sie erwacht."

Wie Rojas erklärt, regte sich nach der Volksabstimmung 1988, die die Weichen für eine Rückkehr zur Demokratie stellte, starke Kritik an dem wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Modell, die nach der Wiedereinführung der Demokratie wieder abgenommen habe. "Der Amtsantritt der Rechten unter Führung von Präsident Piñera hat jedoch eine Kraft freigesetzt, die vorher unterdrückt war oder sich selbst zurückhielt und die nun einen Wandel erreichen will."


Bachelet räumt Fehler früherer Mitte-Links-Regierungen ein

Am 27. März kündigte Bachelet offiziell an, bei den Wahlen am 17. November erneut für das höchste Staatsamt in Chile zu kandidieren. Das Versprechen, im Fall eines Wahlsiegs die soziale Ungleichheit zu bekämpfen, steht im Mittelpunkt ihres Wahlkampfes. Nach ihrer Rückkehr aus New York räumte die ehemalige Chefin der UN-Frauenorganisation 'UN Women' ein, dass die früheren Mitte-Links-Regierungen in der Zeit von 1990 bis 2010 auch Fehler gemacht hätten.

"Chile hat sich verändert", sagte die 61-Jährige, die zu den beliebtesten Staatsoberhäuptern des südamerikanischen Landes gehörte. "Heute ist es ein aktiveres Land, das sich seiner Rechte stärker bewusst ist. Die Bürger sind reifer geworden. Sie haben genug von Machtmissbrauch und davon, dass ihre Bedürfnisse nicht ernst genommen werden."

Iván Fuentes, Vorsitzender der Vereinigung der kleinen Fischereibetriebe der im Süden gelegenen Region Aysén ist ebenfalls der Ansicht, dass die chilenische Gesellschaft inzwischen "weniger konformistisch ist und weitreichende Veränderungen erreichen will". Fuentes steht auch an der Spitze der Sozialbewegung in Aysén, die seit Anfang 2012 zu Protesten aufruft. Die Unruhen in der Region, die zu Patagonien gehört, wurden vor allem dadurch ausgelöst, dass die Bevölkerung sich von der Zentralregierung in Santiago übergangen fühlte.


Engagement für kostenfreie staatliche Bildung

In ihrer ersten Wahlkampfrede sprach Bachelet von sozialer Ungleichheit, der Studentenprotestbewegung, die eine kostenfreie staatliche Bildung fordert, von Demonstrationen sowie von sexuellen Rechten und der Inklusion ethnischer Minderheiten.

Wie aus dem Umfeld der früheren Präsidentin verlautete, arbeitet ein Expertenstab in ihrem Auftrag bereits an einem Vorschlag zur Abschaffung der Studiengebühren. Ziel sei die Umsetzung von Maßnahmen, die die finanziellen Zugangsbarrieren zum öffentlichen Bildungssektor schrittweise abbauen sollten. Wie im benachbarten Argentinien solle es freie Bildung für alle geben.

Nach Ansicht des Politologen Guillermo Holzmann besteht eine der größten Herausforderungen für Bachelet darin, auch die Bevölkerungsschichten für sich zu gewinnen, die sich bisher nicht von ihr vertreten sehen. "Die Lösung dieses Problems sollte für sie Priorität haben", meint er.


Über die Hälfte der Wähler wollen Bachelet als Präsidentin

In Umfragen kommt Bachelet zurzeit auf mehr als 50 Prozent der Wählerstimmen. So viel bräuchte sie auch, um eine Stichwahl um das Präsidentenamt zu vermeiden. Am Ende ihrer vierjährigen ersten Amtszeit hatten sich in Umfragen 80 Prozent der Wähler mit ihrer Politik einverstanden erklärt. Viele im Land rechnen bereits mit dem politischen Comeback der ehemaligen Kinderärztin.

Die politischen Entscheidungsträger der Mitte-Links-Koalition 'Concertación por la democracia', deren Ruf angeschlagen ist, waren bei Bachelets erstem öffentlichen Termin abwesend und wurden von ihr mit keinem Wort erwähnt. Die Ex-Präsidentin kündigte an, dass sie für ein neues Oppositionsbündnis antreten werde, das ein breiteres soziales und politisches Spektrum repräsentiere als die 'Concertación'. Auch die Kommunistische Partei soll dieser neuen Koalition angehören.

Bei den Vorwahlen wird Bachelet zunächst gegen den christdemokratischen Parlamentsabgeordneten Claudio Orrego sowie ihren früheren Finanzminister, den Unabhängigen Andrés Velasco, und den Senator José Antonio Gómez von der Radikalen Sozialdemokratischen Partei antreten. Wenn sie diese Hürde genommen hat, erwartet sie eine Konfrontation mit dem Kandidaten von Piñeras konservativer Koalition für den Wandel. Im Rennen sind Piñeras ehemaliger Verteidigungsminister Andrés Allamand von der Partei der Nationalen Erneuerung und der frühere Minister für öffentliche Bauten, Laurence Golborne, der für die Unabhängige Demokratische Union antritt. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.unwomen.org/about-us/directorate/former-ed-michelle-bachelet/
http://www.ipsnews.net/2013/03/chiles-bachelet-will-try-to-win-over-social-movement/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. April 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2013