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LATEINAMERIKA/1411: Honduras - Institutionelle Krise, Generalstaatsanwalt seines Amtes enthoben (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. April 2013

Honduras: Generalstaatsanwalt seines Amtes enthoben - Institutionelle Krise nimmt kein Ende

von Thelma Mejía



Tegucigalpa, 22. April (IPS) - In Honduras hat das Parlament den Generalstaatsanwalt und dessen Stellvertreter vorübergehend von ihren Aufgaben entbunden. Zwei Monate lang soll nun ein vierköpfiger Interventionsrat mit entsprechenden Vollmachten bessere Ergebnisse im Kampf gegen die Unsicherheit im Lande erzielen. Juristen zufolge ist der Vorgang verfassungswidrig und der zweifelhafte Versuch, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.

Dem neuen Gremium gehören die Universitätsdozentin María Antonia Navarro, die Bevollmächtigte des Instituts für den Zugang zu öffentlichen Informationen, Miriam Guzmán sowie ángela Madrid von der Generalstaatsanwaltschaft und der Jurist Lino Tomás Mendoza an. Sie sollen die Arbeit der Generalstaatsanwaltschaft stärken und einen eigenen Mitarbeiterstab zusammenstellen.

Die drei Frauen im neuen Gremium sind Mitglieder der regierenden Nationalpartei (PN), Mendoza wiederum gehört der Liberalen-Partei (PL) an. Beide politischen Kräfte sind rechtsgerichtet und dominieren das zentralamerikanische Land seit mehr als 100 Jahren.

Keine sechs Stunden hatte es gedauert, bis die vier Mitglieder ausgewählt und in ihr neues Amt eingeführt wurden. "Sie stehen unter Druck, konkrete Ergebnisse vorzuweisen", sagte der Präsident des Einkammerparlaments, Juan Hernández, der bei den kommenden Wahlen im November für die PN als Präsidentschaftskandidat antreten wird.

Juristen in Honduras halten den umstrittenen Vorstoß für den Auftakt eines politischen Prozesses gegen den Generstaatsanwalt Luís Rubí und seinen Stellvertreter Roy Urtecho, deren Amtszeit regulär im März 2014 zu Ende geht. Beiden wird Ineffizienz im Amt vorgeworfen.

Die parlamentarische Entscheidung fiel nach einer Sitzung in der zweiten April-Woche, in der Vertreter der Justiz Zeugnis über die Fortschritte im Kampf gegen die große Unsicherheit im Land ablegen mussten. Jeden Tag kommen in Honduras durchschnittlich 20 Menschen gewaltsam ums Leben.


Der letzte Rest von Institutionalität gefährdet

Nach Ansicht des ehemaligen Generalstaatsanwalts Edmundo Orellana hat das Parlament mit der Einrichtung des Interventionsrats gegen mehrere Verfassungsartikel und gegen die für Staatsanwälte geltenden Gesetze verstoßen. Es sei nicht rechtens, dass die neue Kommission den Rang eines Verfassungsorgans wie die Generalstaatsanwaltschaft einnehme, für die der Generalstaatsanwalt und dessen Stellvertreter zuständig seien. "Es ist offensichtlich, dass die Staatsanwaltschaft einem Ernerungsprozess unterzogen werden muss, doch gilt es das Recht, die Verfassung und die Rechtstaatlichkeit zu respektieren."

Orellana zufolge begeht die politische Führung einen Fehler nach dem anderen. "Wir haben noch nicht die Risse von 2009 gekittet und schon zerstören wir das bisschen Institutionalität, das dem Land geblieben ist", kritisierte der Jurist in Anspielung auf den Staatsstreich im Juni 2009, der dem demokratisch gewählten Staatspräsiddenten Manuel Zelaya das Amt kostete.

Wie der Rechtsexperte Jair López gegenüber IPS erklärte, wurde mit dem jüngsten Prozedere gegen die Verfassungsartikel 232 und 233 und gegen die Paragraphen 24 und 25 der Gesetze der Staatsanwaltschaft verstoßen. "Keine Ahnung, warum unsere Parlamentarier keinen politischen Prozess angestrengt haben, der in diesem Fall angebracht gewesen wäre", meinte López. "Doch offensichtlich gefällt es ihnen nicht, sich an die Verfassung zu halten."


Leben retten als Argument

Ein Vorwurf, den der Abgeordnete von der linken Partei der demokratischen Vereinigung, Marvin Ponce, der den umstrittenen Vorstoß mitgetragen hat, sogar bedingt gelten lässt. "Wenn es um eine gute Sache geht, sind Verstöße gegen die Verfassung durchaus verzeihlich", meinte Ponce, einer der vier Vizepräsidenten des honduranischen Parlaments.

Der gleichen Meinung ist der Christdemokrat Augusto Cruz. "Punkt und Komma einer Verfassung interessieren nicht, wenn der Weg der Intervention der ungefährlichste und gewaltloseste ist", meinte er. Niemandem sei an einer neuen Verfassungskrise gelegen, wohl aber an Maßnahmen, die Leben retten könnten, fügte Hernández hinzu.

Die vorübergehende Amtsenhebung des Generalstaatsanwaltes und seines Vize erfolgte vier Monate, nachdem das gleiche Parlament vier der fünf Verfassungsrichter aus ihrem Amt entfernt hatte. Angeblich vertrugen sich ihre Urteile über Verstöße gegen die Verfassung nicht mit den Maßnahmen zur Erneuerung der Polizeikräfte und dem Projekt 'Modellstädte'. Die vier geschassten Richter wurden von PL-nahen Juristen ersetzt.

Die Politik der Regierung von Staatspräsident Porfirio Lobo stößt nicht nur bei der Opposition auf Proteste. Kritik kommt auch aus den eigenen Reihen. Als Wurzel allen Übels gilt die verbreitete und zunehmende Unsicherheit im Lande, die jedes Jahr einen Innenminister verschleißt. Sie zwinge das Parlament zur Übernahme von Funktionen der Exekutive, heißt es in Parlamentskreisen. In den vergangenen drei Jahren wurden 22.000 Morde begangen. (Ende/IPS/kb/2013)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2013