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LATEINAMERIKA/1495: Mexiko - Verbrechen an 43 Studenten offenbaren Diskriminierung von Indigenen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. Februar 2015

Mexiko: Verbrechen an 43 Studenten offenbaren Rassismus und Diskriminierung von Indigenen

von Emilio Godoy


Bild: © Emilio Godoy/IPS

Angehörige der in Mexiko verschleppten 43 Studenten bei einem Protest im Nationalstadion von Mexiko-Stadt
Bild: © Emilio Godoy/IPS

Mexiko-Stadt, 3. Februar (IPS) - Das Verschwinden von 43 Studenten in mexikanischen Bundesstaat Guerrero hat auch ein Schlaglicht auf die Diskriminierung und Benachteiligung der indigenen Bevölkerung in dem lateinamerikanischen Land geworfen. Viele der jungen Leute, die verschleppt und aller Wahrscheinlichkeit nach ermordet wurden, waren indigener Herkunft.

Celso García, der Vater des 21-jährigen verschwundenen Studenten Abel, spricht Mixteca. Die spanische Sprache lernte er erst später, um sich besser in die Gesellschaft zu integrieren. Er ist einer von vielen Mexikanern, die unterschiedlichen ethnischen Gemeinschaften angehören. Auf seiner kleinen Farm in der Ortschaft Tecuantepec im gleichnamigen Bezirk in Guerrero, etwa 380 Kilometer südlich von Mexiko-Stadt, baut er Mais, Kürbis und Hibiskus an.

Seit dem Tag, an dem sein Sohn zusammen mit weiteren 42 Kommilitonen verschwand, hat sich der Bauer nicht mehr um seine Felder kümmern können. "Wir wollen, dass man unsere Kinder endlich zurückgibt", sagt der 51-Jährige, der sich weigert, den Tod seines Sohnes zur Kenntnis zu nehmen. "Wir wollen endlich wieder unserer normalen Arbeit nachgehen."

Am 26. September hatten Polizisten aus der Stadt Iguala das Feuer auf die Studenten, die in Bussen in die 191 Kilometer entfernte mexikanische Hauptstadt fahren wollten, eröffnet. Sechs der jungen Leute wurden getötet und 25 verletzt.

Bild: © Emilio Godoy/IPS

Protestmarsch in Mexiko-Stadt, vier Monate nach dem Verschwinden der Studenten
Bild: © Emilio Godoy/IPS

Die Untersuchungen der Generalstaatsanwaltschaft ergaben, dass die Polizisten 43 der Studierenden abgeführt und den 'Guerreros Unidos' übergeben hatten, einer der brutalsten Drogenbanden der Region. Die Geiseln wurden den Ermittlungen zufolge noch in derselben Nacht ermordet und ihre Leichen auf einer nahegelegenen Mülldeponie am Rande der Stadt Colula verbrannt. Die sterblichen Überreste wurden in einem Fluss 'entsorgt'.


Geringe Chancen auf Aufklärung

Bislang konnte die Identität eines einzigen Studenten mithilfe einer DNA-Untersuchung geklärt werden. Gerichtsmediziner von der Universität Innsbruck, die die mexikanischen Behörden bei den Untersuchungen unterstützen, gaben inzwischen bekannt, dass sie aufgrund der "exzessiven Hitzewirkung" kein weiteres DNA-Material auswerten könnten. Die Ermittlungen gehen indes weiter.

Etwa zwölf Millionen der insgesamt 122 Millionen Mexikaner gehören einer der landesweit 54 Ethnien an. Die meisten Mexikaner betrachten sich selbst als Mestizen. Mindestens die Hälfte der verschleppten 43 Studenten gehörte den Volksgruppen der Me'phaa, Nahuatl und Mixteco an.

Auch Metodia Carrillo, die Mutter des 18-jährigen verschwundenen Luis Angel Abarca, ist eine Indigene, die die Nahuatl-Sprache spricht. Ihr jüngster Sohn habe Lehrer werden wollen, um seiner Familie zu helfen, sagt die 54-jährige Hausfrau und Bäuerin, die Mais anpflanzt. "Die Studenten sind keine Kriminellen und Drogenhändler. Deshalb fühlen wir so viel Wut und Schmerz."

Das Gros der indigenen Bevölkerung konzentriert sich auf Guerrero, Oaxaca und Chiapas, drei der ärmsten Bundesstaaten im Süden des Landes. In Guerrero sind offiziell etwa 600.000 Indigene registriert, die den Völkern der Amuzgo, Mixteco, Nahuatl und Me'phaa angehören. "Wir werden seit jeher benachteiligt, etwa bei der Bildung", sagt Melitón Ortega, der Vater des vermissten 17-jährigen Studenten Mauricio. "Es gibt keine Gerechtigkeit, unsere Rechte werden verletzt." Er besteht darauf, dass von seinem Sohn nicht in der Vergangenheitsform gesprochen wird.

Der sechsfache Vater, der Mais und Kaffee anbaut, führt auch die hohe Arbeitslosigkeit unter Ureinwohnern auf einen in Mexiko ausgeprägten Rassismus zurück. Indigene hätten zudem kaum Zugang zu bezahlbaren Wohnungen und staatlichen Dienstleistungen, kritisiert er.


In allen Bereichen benachteiligt

Dem von der Regierung aufgelegten Nationalen Programm für Gleichheit und Nichtdiskriminierung 2014-2018 (Pronaind) zufolge leben 76 Prozent der indigenen Bevölkerung Mexikos in Armut. Indigene, Afro-Mexikaner und die Landbevölkerung sind demnach ärmer und haben eine geringere Bildung genossen als andere Mexikaner. Sie verdienen weniger, erfahren nicht den gleichen sozialen Schutz, haben nur einen begrenzten Zugang zur Justiz und partizipieren kaum am politischen Leben.

Auch Maurilio Santiago, Leiter des Menschenrechts- und Beratungszentrums für indigene Völker (CEDHAPI) in Oaxaca, sieht deutliche Anzeichen für Diskriminierung. "Indigene werden als Bürger dritter Klasse betrachtet. Bei der Bildung und beim Zugang zur Justiz gibt es keine Gleichbehandlung."

Diese Missstände dauern an, obwohl das Budget, das die Regierung für diesen Teil der Bevölkerung zur Verfügung stellt, seit 2002 stetig erhöht worden ist und zurzeit mehr als 4,7 Milliarden US-Dollar beträgt. Die Eltern der verschwundenen Studenten werfen den Behörden Korruption vor, die dafür sorge, dass die staatlichen Mittel ihr Ziel nicht erreichten. (Ende/IPS/ck/2015)


Links:

http://www.ipsnews.net/2015/01/missing-students-case-also-highlights-racism-in-mexico/
http://www.ipsnoticias.net/2015/01/caso-de-43-estudiantes-evidencia-ademas-racismo-mexicano/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 3. Februar 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2015


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