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LATEINAMERIKA/1529: Kuba - Ziel USA, Migrationswunsch bei jungen Menschen weiterhin groß (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Dezember 2015

Kuba: Ziel USA - Migrationswunsch bei jungen Menschen weiterhin groß

von Patricia Grogg


Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Hunderte Kubaner protestierten Anfang Dezember vor der ecuadorianischen Botschaft in Havanna gegen die neuen Visabestimmungen
Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

HAVANNA (IPS) - Tausende Kubaner sitzen seit Wochen an den lateinamerikanischen Grenzen fest. Ihr Ziel: die Ausreise in die USA. Doch obwohl Kuba seine Reisebestimmungen gelockert hat und die beiden Länder seit Jahren über Migrationsabkommen verhandeln, bleiben die meisten ausreisewilligen Kubaner unterwegs stecken - oder können ihr Land gar nicht erst verlassen.

Das liegt nicht nur an den restriktiven Visabestimmungen der USA und den zunehmenden Grenzschließungen der zentralamerikanischen Staaten. Auch Kuba hat seine Lockerungen der Reisefreiheit doch noch einmal überdacht und insbesondere die Ausreise von Gesundheitspersonal wieder eingeschränkt.

Jahrzehntelang war es für Kubaner fast unmöglich, ihr Land zu verlassen. Der langjährige Präsident Fidel Castro hielt die Grenzen dicht. Nachdem sein Bruder Raúl Castro die Regierungsgeschäfte übernommen hatte, lockerte dieser die Bestimmungen im Oktober 2012. Seitdem brauchen Kubaner zumindest kein Ausreisevisum mehr, um das Land zu verlassen.

Doch am 7. Dezember verabschiedete die kubanische Regierung das Dekret 306, das bereits seit Oktober 2012 in der Schublade lag. Für Mediziner und Pflegepersonal gelten daher nun restriktivere Reisebestimmungen als für die meisten anderen Kubaner.

"Der Protest gegen das Dekret kommt von allen Seiten", berichtet Graciela Nantes, eine Ärztin im Ruhestand, gegenüber IPS. "Ich habe sogar Menschen gesehen, die geweint haben, als das Dekret bekannt gegeben wurde. Schließlich haben viele von uns Verwandte im Ausland", erzählt Nantes, die noch immer stundenweise in einem Krankenhaus in Havanna aushilft. "Das ist ein politischer Rückschritt weg von den Rechten, die wir in den letzten Jahren gewonnen haben."

Die Behörden erklärten, es gehe nicht darum, Auslandsreisen zu verbieten. Vielmehr sollten Ärzte mit speziellen Fähigkeiten zunächst um eine Ausreiseerlaubnis ersuchen, um sicherzustellen, dass ihre Ausreise nicht das Funktionieren des Staatlichen Gesundheitssystems gefährde.

Kubanische Ärzte sind in der Regel gut ausgebildet, und medizinisches Personal, das im Ausland arbeitet, trägt mit rund acht Milliarden US-Dollar pro Jahr zum nationalen Haushalt bei. Offiziellen Zahlen zufolge arbeiteten im Jahr 2014 mehr als 50.000 Ärzte und Pflegekräfte aus Kuba in 66 Ländern der Welt. Die Hälfte von ihnen waren Ärzte, 60 Prozent der Gesamtzahl waren Frauen. Die meisten von ihnen praktizierten in Venezuela, Brasilien und Ecuador.


Ausreisewunsch vor allem bei jungen Menschen größer geworden

In den vergangenen Jahren hat vor bei allem bei jungen Menschen zwischen 20 und 40 Jahren der Ausreisewunsch zugenommen. 46.662 Menschen verließen im Jahr 2014 das Land, 52 Prozent von ihnen waren weiblich. Im 11-Millionen-Land Kuba, wo die Geburtenrate niedrig ist und die Bevölkerung zunehmend altert, ist das ein großes Problem.

Im Jahr 2012 lag die Geburtenrate pro 1000 Einwohnern bei 11,3 Prozent und damit 1,5 Prozent niedriger als noch im Jahr zuvor. 18,3 Prozent der Bevölkerung waren über 60 Jahre alt.

"Vor allem junge Leute mit Arbeit verlassen Kuba", erzählt die Ökonomin Blanca Munster vom Forschungszentrum für internationale Wirtschaft. "Das ist deshalb ein Problem, weil wir sie auf unserem Arbeitsmarkt brauchen." Auch die große Zahl von Frauen, die das Land verlassen, sei ungünstig, weil es dadurch im Land weniger Nachkommen gebe. Entweder gehen sie, bevor sie Kinder bekommen, oder sie nehmen ihre Kinder mit.


Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Ausreisewillige Kubaner warten vor der US-amerikanischen Botschaft in Havanna, die erst in diesem Jahr wieder eröffnet wurde
Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Ihr Wunschland USA erreichen jedoch die wenigsten von ihnen. Die Visabestimmungen der Vereinigten Staaten sind vor allem für Kubaner besonders strikt. "Zwei Freunde von mir hängen in Costa Rica fest. Ein anderer wollte ein Ticket nach Ecuador kaufen, doch jetzt verlangt Ecuador plötzlich Einreisevisa für Kubaner", erzählt ein Musiker gegenüber IPS, der seinen Namen nicht nennen wollte.


Ecuador führt Visa für Kubaner ein

Die neuen Visabestimmungen Ecuadors gelten seit dem 1. Dezember. Rund 300 Kubaner protestierten an dem Tag vor der ecuadorianischen Botschaft in Havanna gegen die Maßnahme. Einige hatten bereits Geld für Flugtickets in das Land ausgegeben und verlangten von der Botschaft nun das Geld zurück.

In den vergangenen Jahren hatten immer mehr Kubaner den Weg über Ecuador genommen, wo sie dreimonatige Touristenvisa beantragen konnten. Von Ecuador aus durchqueren die kubanischen Migranten meist Kolumbien und Panama, Costa Rica, Nicaragua oder auch andere zentralamerikanische Länder, bevor sie in Mexiko ankommen und von dort über die Grenze in die USA einreisen wollen. In den meisten Fällen erreichen die Kubaner die Grenze zwischen Ecuador und Kolumbien auf dem Landweg, bevor sie in Booten entlang der kolumbianischen Pazifikküste nach Panama kommen. Von dort aus werden sie von Schleusern zur Grenze von Costa Rica geführt.

Nach Angaben der Einwanderungsbehörde von Costa Rica haben seit dem vergangenen Jahr etwa 13.000 Kubaner das Land durchquert. Die meisten von ihnen fallen nicht auf, weil sie von kundigen Schleusern begleitet werden, denen sie jeweils zwischen 7.000 und 13.000 US-Dollar zahlen müssen.

"Die Menschen werden von internationalen Mafiabanden in unser Land gebracht, von Menschenhändlern. Sie riskieren dabei ihr Leben. Wir hören immer wieder, dass sich Frauen und Kinder durch den Dschungel schlagen und Frauen auf ihrer Fluchtroute vergewaltigt werden", erzählt Manuel González, Außenminister Costa Ricas, gegenüber IPS.

Carlos Sandoval, ein Experte in Einwanderungsfragen, weiß, dass die Schleuserringe in ganz Zentralamerika aktiv sind. Er kritisiert, dass die Regierungen in der Region auch ihre eigenen Bürger, die in die USA ausreisen wollten, nicht unterstützen. "Insgesamt versuchen etwa 300.000 Menschen jährlich von Zentralamerika aus in die Vereinigten Staaten zu kommen", sagte Sandoval, der am Institut für Sozialforschung der Universität von Costa Rica arbeitet.

Angesichts des verstärktem Andrangs ergriff die costaricanische Regierung Anfang November Maßnahmen, um den Menschenschmuggel durch ihr Staatsgebiet zu unterbinden. Damit wurde der Migrantenstrom vorerst unterbrochen. Ergebnis war jedoch, dass seitdem Tausende Kubaner an der Grenze zwischen Costa Rica und Nicaragua festhängen.

In Mexiko, der letzten Station vor dem verheißungsvollen Land USA, ist es für die Migranten am gefährlichsten. Hier häufen sich Fälle von Raubüberfällen, Vergewaltigungen und Morden. Schätzungen zufolge haben es zwischen Oktober 2014 und September 2015 dennoch mehr als 43.000 Kubaner geschafft, über die mexikanische Grenze in die USA einzureisen.

Die Flüchtlingskrise in Lateinamerika fällt zeitlich mit der neuesten Runde der Einreiseverhandlungen zwischen Kuba und den USA zusammen. Am 30. November nahmen die Verhandlungsführer die Gespräche wieder auf, mit denen in den Jahren 1994 und 1995 getroffene Vereinbarungen in die Tat umgesetzt werden sollen, eine "sichere, legale und geordnete" Migration zu ermöglichen. (Ende/IPS/jk/15.12.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/12/immigration-still-a-pending-issue-in-cuban-u-s-relations/

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IPS-Tagesdienst vom 15. Dezember 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2015

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