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LATEINAMERIKA/1681: Brasilien - Bestechungsgelder an Temer seit 2010 (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Brasilien

Besitzer der Firma JBS gegenüber Justiz: Bestechungsgelder an Temer seit 2010


(Montevideo, 20. Mai 2017, la diaria) - Eine in einem politischen Verfahren abgesetzte Ex-Präsidentin, ein Präsident, gegen den wegen Behinderung der Justiz ermittelt wird, und fünf Minister, die angeklagt sind, in den Bestechungsskandal um das Unternehmen 'Petrobras' verwickelt zu sein. Vorsitzende der wichtigsten Oppositionsparteien, gegen die wegen desselben Falles ermittelt wird, ebenso wie gegen die aktuellen Präsidenten der beiden Kammern des brasilianischen Kongresses und deren Vorgänger. Nicht umsonst war im Twitter-Account der US-amerikanischen Fernsehserie 'House of Cards' am 18. Mai 2017 zu lesen, dass die politische Situation in Brasilien jegliches Erfinden neuer Fiktionen zu politischen Ränkespielen und Korruption schwierig mache.


Vermutlich kaum politische Konsequenzen

Alles deutet jedoch darauf hin, dass die Erschütterung, die am 17. Mai 2017 zu spüren war und zu einem Erdbeben anzuwachsen drohte, wenig direkte politische Konsequenzen haben wird. Lediglich über einige von der Regierung im Kongress eingebrachte Reformen wird vermutlich verspätet abgestimmt werden.

Am Mittwoch hatte die Tageszeitung O Globo darüber informiert, dass ihr eine Gesprächsaufzeichnung vorliege, die während eines Treffens zwischen dem Präsidenten, Michael Temer, und einem der Besitzer des Fleischkonzerns JBS, Joseley Batista, gemacht worden sei. Zwei Tage später wurde die im März gemachte Aufnahme von der Justiz veröffentlicht. Darin beschreibt Batista Temer eine Reihe von - allesamt illegalen - Maßnahmen, die er ergriffen habe, um die Ermittlungen der Justiz gegen ihn wegen Beteiligung am Korruptionsskandal um den Konzern Petrobras auszubremsen.

Er gibt an, einen Staatsanwalt und zwei Richter gekauft zu haben und Eduardo Cunha, den sich wegen des Falls in Haft befindenden Ex-Präsidenten der Abgeordnetenkammer, zu bezahlen, damit dieser auch weiterhin schweige. Temer hat gegen keiner dieser Maßnahmen Einwände, er äußert sich im Gegenteil mit verschiedenen davon einverstanden - unter Verwendung von Wörtern wie 'ótimo' (optimal).


Fortgesetzte Bestechung als Temer bereits Präsident war

Zu denen durch die Aufzeichnung bekannt gewordenen Informationen kamen am 19. Mai 2017 die Inhalte der Aussage von Batista hinzu, die die Situation des Präsidenten weiter verschlimmerte. Der Unternehmer erklärte, Temer seit dem Jahr 2010 Bestechungsgelder zu zahlen, damit dieser seinen Einfluss geltend mache, um Unternehmen Batistas zu begünstigen. So habe er Temer beispielsweise zwischen 2010 und 2011 ein 'Taschengeld' von fast 30.000 US-Dollar gezahlt und im Gegenzug dazu Leistungen aus dem Landwirtschaftsministerium erhalten.

Die Bestechung habe auch nicht aufgehört, als Temer Präsident geworden sei: Batista habe sich Ende 2016 verpflichtet, fünf Prozent des Umsatzes eines von ihm geleiteten Elektrizitätsunternehmens der Gruppe an Temer zu zahlen, um dafür eine Lizenz zu erhalten - die auch ausgehändigt wurde - damit das Unternehmen tätig sein konnte. Batista erklärte, er habe die Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva und Dilma Rousseff ebenfalls mit insgesamt 80 Millionen US-Dollar bestochen. Die Zahlungen seien vom ehemaligen Finanzminister Guido Mantega vermittelt worden. Die Geldleistungen an Temer würden sich auf ungefähr fünf Millionen US-Dollar belaufen.

Darüber hinaus ergänzte Batista den Inhalt der Aufzeichnung über das Gespräch mit Temer, indem er sagte, er habe "klare Signale" erhalten, dass es "wichtig sei", Cunha weiterhin zu bezahlen, damit dieser sein Schweigen nicht breche; die Bestechungen beliefen sich inzwischen auf mehr als 100.000 US-Dollar monatlich. Temer habe außerdem berichtet, dass Cunha den Wunsch habe, dass man ihm "helfe", indem man die Richter (genannt Minister) des Obersten Bundesgerichtes STF (Supremo Tribunal Federal) von seiner Unschuld überzeuge. Batista habe geantwortet, dass er "mit einem oder zwei" helfen könne, aber nicht mit allen elf. Zum Schluss erklärte Batista, dass er die beiden Richter nicht bestochen, sondern dies nur zu Temer gesagt habe, um zu sehen, wie weit der Präsident dies gutheißen würde.


Generalstaatsanwalt Janot "vollkommen perplex"

Parallel zu den Erklärungen Batistas erfolgte die Veröffentlichung des Antrages, den der brasilianische Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot vor dem Obersten Bundesgerichtshof gestellt hatte, damit dieser gegen Temer wegen Behinderung der Justiz ermittele. In dem Schreiben erklärt Janot, es mache ihn "vollkommen perplex", dass diese "kriminellen Handlungen" fortgeführt würden, "trotz und während der Ermittlungen wegen schwerer Straftaten von wahrhaft kriminellen Organisationen, deren Wurzeln in der Staatsmacht zu finden sind". Des Weiteren bedauerte er, dass die Ermittlungen keine "reinigende und abschreckende" Wirkung hätten, sondern dass die korrupten Praktiken "unter den gleichen Bedingungen weitergehen" würden.

In einem anderen Zusammenhang erklärte Janot, dass (der durch den Obersten Bundesgerichtshof vom Amt suspendierte) Senator Aécio Neves und Temer "gemeinsam [...] versucht haben, das Fortschreiten der Ermittlungen zu verhindern". Neves versichert jedoch in einer am 19. Mai 2017 veröffentlichten Verlautbarung (der ersten seit seiner Suspendierung), dass keine seiner Handlungen darauf abgezielt hätten, die Ermittlungen der Justiz zu blockieren.


Verteidigungsminister Raul ebenfalls zum Rücktritt bereit

Doch während sich die Judikative angesichts dieser Korruption perplex zeigt und die Bevölkerung auch weiterhin zu Kundgebungen aufruft und ihrer Verärgerung in den sozialen Netzwerken Luft macht, deutet alles darauf hin, dass die Regierung von Temer sich im Amt halten wird. Die Exekutive wird von 80 Prozent des Kongresses unterstützt und lediglich kleine Parteien haben ihre Unterstützung entzogen. Als Konsequenz aus den Vorfällen trat der sozialistische Kulturminister, Roberto Freire, zurück. Verteidigungsminister Raul Jungmann ist zum gleichen Schritt bereit, aber in seinem Fall wird sich die Entscheidung noch verzögern, um die Stabilität der Streitkräfte nicht zu gefährden, wie Jungmann selbst erklärte.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2017

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