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LATEINAMERIKA/1765: Mexiko - Historische Lügen im Fall Ayotzinapa (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Mexiko: Historische Lügen im Fall Ayotzinapa

Von Wolf-Dieter Vogel


(Mexiko-Stadt, 20. März, npl) - Mexikos Regierung steht wegen des Falls der verschwundenen 43 Studenten erneut unter internationalem Druck. Ein jüngst veröffentlichter Bericht der UN-Menschenrechtskommission kommt zu dem Schluss, dass mindestens 34 der in der Tatnacht festgenommenen Verdächtigen gefoltert wurden. Die UNO stellt damit die von den mexikanischen Strafverfolgern vertretene Version vom Verlauf der Tatnacht grundsätzlich in Frage. Die Regierung zeigte sich "befremdet". Der Bericht steuere keine neuen Erkenntnisse zur Aufklärung bei, erklärte sie. Zuvor war ein weiterer mutmaßlicher Täter festgenommen worden.

Der Bericht "Doppelte Ungerechtigkeit" stellt die Strafverfolgung, im Fall der im September 2014 in der Stadt Iguala verschwundenen Lehramtsanwärter, grundsätzlich in Frage. Bereits wenige Monate, nachdem die jungen Männer von Kriminellen und Einheiten der örtlichen Polizei verschleppt wurden, legte sich der Generalstaatsanwalt Jesús Murillo Karam auf eine Version vom Verlauf des Verbrechens fest, die er als "historische Wahrheit" bezeichnete. Demnach sollen die Studenten des Lehrerseminars Ayotzinapa in der Tatnacht auf einer Müllhalde verbrannt worden sein. Die Behörde schloss aus, dass Angehörige des Militärs oder der Bundespolizei an dem Angriff beteiligt waren. Diese Version basierte auf Aussagen der verhafteten Männer und Frauen.


UN fordert die unter Folter entstandenen Beweise fallen zu lassen

Der für Mexiko zuständige Vertreter des UN-Menschenrechtskommissariats Jan Jarab fordert nun, dass die unter Folter entstandenen Beweise fallen gelassen werden und eine unabhängige Staatsanwaltschaft den Fall aufs Neue untersucht. "Wenn keine anderen Beweise als diese muffigen Geständnisse vorliegen, müssen die Angeklagten sofort freigelassen werden", erklärte er. Jarab wirft den Behörden eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Gefangenen vor. Auch das Recht der Angehörigen der Studenten sowie der Gesellschaft auf Wahrheit und Gerechtigkeit sei verletzt worden.

Für den 62 Seiten langen Bericht wurden die Fälle von 63 der insgesamt 129 verhafteten Personen untersucht. Dabei handelt es sich um lokale Polizisten sowie Mitglieder der Bande "Guerreros Unidos". In 51 Fällen spricht die Menschenrechtskommission von willkürlichen Verhaftungen und möglichen Folterungen, in 34 sei der Vorwurf der Folter bestätigt. Dabei habe es sich um "deutliche Muster von Menschenrechtsverbrechen und eine praktisch einheitliche Vorgehensweise" gehandelt. Von Waterboarding, Elektroschocks und Prügeln ist die Rede.


Die "historische Wahrheit" ist technisch gar nicht möglich

Die von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission eingesetzte Expertengruppe GIEI kam bereits vor zwei Jahren zu dem Schluss, dass die Aussagen der Gefangenen unter fragwürdigen Umständen zustande gekommen seien. Die GIEI belegte zudem anhand von wissenschaftlichen Untersuchungen, dass das Verbrennen der Studenten in der von der Staatsanwaltschaft dargelegten Form technisch gar nicht möglich sei. Wie die UNO forderte auch die GIEI grundlegend neue Ermittlungen. Amnesty International sprach mit Blick auf die staatliche Version von einer "historischen Lüge" der Regierung des Präsidenten Enrique Peña Nieto.

Dass der angeblich für das Verbrennen der Studenten maßgeblich Verantwortliche verhaftet wurde, werten Menschenrechtsorganisationen als Reaktion auf den UNO-Bericht. Bereits vor dessen Veröffentlichung war bekannt geworden, dass er hart ausfalle. Peña Nieto wolle unter allen Umständen an der "historischen Wahrheit" festhalten, erklärten Menschenrechtsverteidiger. "Der UN-Bericht untersucht die Ermittlungen einer lügnerischen Regierung, die uns ihre historische Lüge aufzwingen will," erklärte Mario González, ein Angehöriger eines der verschwundenen Studenten.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2018

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