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NAHOST/1018: "Grüne" Intifada im Westjordanland - Dorf Battir leistet Israel friedlichen Widerstand (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. November 2013

Nahost: 'Grüne' Intifada im Westjordanland - Dorf Battir leistet Israel friedlichen Widerstand

von Pierre Klochendler


Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Palästinenser bestellt mit Hilfe britischer Freiwilliger sein Feld
Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Battir, Westjordanland, 8. November (IPS) - "Oh grünes Battir, Mutter der Luft", singt Mariam Ma'mmar ein Loblied auf ihr Dorf. Wenn die heiße Jahreszeit näher rückt, trocknet überall das Land aus. Nur nicht in Battir, wo eine Form des friedlichen Widerstands der rund 5.000 Einwohner gegen die israelische Besatzung Wurzeln schlägt.

Von den Hügeln bis tief in das Tal hinein erstreckt sich über etwa 554 Quadratkilometer das in den Palästinensergebieten größte Netzwerk aus Feldern sowie Obst- und Gemüsegärten. Durch Zisternen und Aquädukte aus der Römerzeit gelangt ständig Wasser auf die terrassenförmig angelegten Anbauflächen.

Gespeist wird das Bewässerungssystem aus acht natürlichen Quellen, die sich die acht Familien in dem Dorf teilen. Sie träumen davon, zu Selbstversorgern zu werden. Vor der Besetzung des Westjordanlands durch Israel waren Auberginen aus Battir weit über die Grenzen des Dorfes bekannt.

Heute sind die Spuren der Invasoren deutlich zu sehen. Auf einem Hügel umgeben dicht gepflanzte Pinien israelische Siedlungen, auf einer anderen Anhöhe wachsen Ölbaume, ein Symbol für die Landverbundenheit der Palästinenser. Wie Ma'mmar erklärt, übersäuern die Piniennadeln den Boden und gefährden damit den Fortbestand der Ölbäume.


Israelischer Schutzwall unterbindet die Wasserzufuhr

Hinter den Pinien liegen Har Gilo und Beitar Illit. Eine dritte israelische Siedlung, Givat Ya'el, wird gerade gebaut. Die standardmäßige, acht Meter hohe Betonmauer bewegt sich immer weiter auf Battir zu und durchschneidet große Teile des palästinensischen Grund und Bodens. "Diese Mauer treibt Battir in den Wahnsinn, sie wird das Bewässerungssystem blockieren", kritisiert die Palästinenserin. "Bauern werden ihr Land verlieren."

Der sogenannte Sicherheitswall, mit dessen Bau Israel 2002 auf dem Höhepunkt der zweiten Intifada, des bewaffneten Palästinenseraufstands, begann, zieht sich durch den größten Teil des Territoriums, das die Palästinenser für ihren künftigen eigenen Staat beanspruchen.

Das israelische Verteidigungsministerium versucht seit 2006, auch im Tal von Battir eine Mauer zu errichten. "Dafür gibt es überhaupt keinen Grund. Kein Israeli ist hier verletzt oder getötet worden", sagt der Bürgermeister des Dorfes, Akram Badr.

Die Dorfbewohner haben beim Obersten Gerichtshof in Israel eine Petition eingereicht, um die Errichtung der Barriere auf ihrem Land und die Zerstörung von Natur und Bewässerungssystem zu verhindern. Unverhoffte Unterstützung kam von der israelischen Behörde für Naturparks.

Im Mai entschied das Gericht zu Gunsten der Bewohner von Battir. Es forderte das Verteidigungsministerium auf, "nicht-physische" Alternativen zu dem Schutzwall vorzuschlagen. Ein weiterer Gerichtsbeschluss wird für Dezember erwartet. Für Ersatzlösungen ist derweil schon gesorgt. Auf den Hügelkämmen sind Überwachungskameras und Sensoren installiert worden. Das Gebiet wird zudem von neuen Straßen für Sicherheitspatrouillen durchzogen.

Dennoch erklärt der Bauer Mustafa Aweinah: "Wir sind optimistisch." Die Felder reichen über die Eisenbahnlinie hinaus, die einst im Osmanischen Reich angelegt wurde und sich am Jerusalem und Tel Aviv vorbeischlängelt.

Die Schienen überlappen sich mit der Demarkationslinie von 1949. Die 'Grüne Linie' wurde im Waffenstillstandsabkommen festgelegt, das den ersten arabisch-israelischen Krieg beendete. Seitdem hält hier kein Zug mehr.


Ungewöhnlicher Kompromiss

Zu der Zeit gelang es dem aus Battir stammenden Journalisten Hassan Mustafa, der an der Amerikanischen Universität in Kairo studierte, Israel zu einem beispiellosen Zugeständnis zu bewegen. Die Bauern verpflichteten sich, die Bahnlinie zu schützen. Im Gegenzug erhielten sie die Genehmigung, ihre Felder auch jenseits der Schienen, also auf israelischem Territorium, zu bestellen.

Als Israel 1967 das Westjordanland besetzte, hörte die Grüne Linie auf zu existieren. Während der derzeitigen Verhandlungen Israels mit der Palästinensischen Autonomiebehörde über eine Zwei-Staaten-Lösung besteht die internationale Gemeinschaft darauf, dass Israel diese Linie bei der künftigen Festlegung der Grenze anerkennt.

Dank Mustafas Heldentat genießt Battir bis heute einen Sonderstatus. "Die politische Weisheit Mustafas hat es uns möglich gemacht, hierzubleiben", betont Aweinah. Battir ist also das einzige palästinensische Dorf, für das die Grüne Linie keine Rolle spielt. Insgesamt befinden sich rund 300.000 Quadratmeter - etwa 30 Prozent - des von den Dorfbewohnern genutzten Landes in Israel. Andere Teile des Dorfes stehen entweder unter vollständiger Kontrolle Israels (Gebiet A) oder unter gemeinsamer palästinensischer Verwaltung und israelischer Sicherheitskontrolle (Gebiet B).

An anderen Stellen, wo Israel die Mauer weiterbauen will, kommt es jede Woche zu Protesten von Palästinensern gegen das israelische Militär. In Battir dagegen kultivieren die Farmer eine friedliche Form des Widerstands. "Indem die Einwohner von Battir den Ökotourismus fördern, schützen sie sich selbst. Sie zwingen Israel dazu, ihnen das Recht auf Land zu garantieren", sagt der Direktor des Landschafts-Ökomuseums, Michel Nasser.


Britische Konsulatsdelegation packt mit an

Mit Spaten und Heugabeln bewaffnet hilft eine Delegation des britischen Konsulats in Jerusalem Aweinah dabei, sein Feld zu pflügen und Bohnen anzupflanzen. "Wir sind hier, um unsere Solidarität zu bekunden und den Ökotourismus vor Ort zu unterstützen", erklärt der britische Generalkonsul Sir Vincent Fean. "Wir wollen gemeinsam mit den Menschen hier eine friedliche und wirtschaftlich tragfähige Basis für eine Koexistenz schaffen. Battir kann damit zum Vorbild werden."

In dem Dorf werden keine Steine geworfen. Stattdessen laden Wanderwege dazu ein, die ursprüngliche Landschaft zu entdecken. Im November soll ein Gästehaus eröffnet werden, nachdem das Öko-Museum bereits im Februar eingeweiht wurde. Tausende Touristen kommen bereits jedes Jahr nach Battir. "Hier findet eine grüne, umweltfreundliche Intifada statt", lächelt Badr.

Mit Blick auf das bevorstehende Gerichtsurteil haben die Bewohner der UNESCO vorgeschlagen, Battir in ihre Weltnaturerbe-Liste aufzunehmen. Palästina ist seit zwei Jahren Mitglied der UN-Kulturorganisation. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://whc.unesco.org/en/tentativelists/5748/
https://www.gov.uk/government/world/organisations/british-consulate-general-jerusalem
http://www.ipsnews.net/2013/11/a-green-intifadah-takes-root/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 8. November 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2013