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NAHOST/1024: Libanon - Palästinenser warten auf Wiederaufbau des Flüchtlingslagers Nahr el Bared (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Dezember 2013

Libanon: Langsame Rückkehr nach Nahr el Bared - Palästinenser warten auf Wiederaufbau des Flüchtlingslagers

von Rebecca Murray


Bild: © Rebecca Murray/IPS

Der Wiederaufbau des Lagers Nahr el Bared kommt nur schleppend voran
Bild: © Rebecca Murray/IPS

Nahr el Bared, Libanon, 16. Dezember (IPS) - In der nordlibanesischen Küstenstadt Tripoli führt der Bürgerkrieg im benachbarten Syrien zu immer heftigeren Auseinandersetzungen zwischen den lokalen Bevölkerungsgruppen. Die in der Nähe lebenden palästinensischen Flüchtlinge beobachten die derzeitigen Entwicklungen mit wachsender Sorge.

Im Sommer 2007 waren sie in Nahr el Bared, etwa 16 Kilometer nördlich von Tripoli entfernt, selbst zwischen die Fronten der libanesischen Armee und der in ihrer Mitte lebenden kleinen Extremistengruppe 'Fatah al Islam' geraten. Die drei Monate andauernden Kämpfe, ausgelöst durch ein Machtvakuum innerhalb des Flüchtlingslagers, führten zur Zerstörung des Camps, der landwirtschaftlichen Flächen und Absatzmärkte für libanesische Agrarerzeugnisse und syrische Schmuggelwaren. Mehr als 30.000 Familien flohen daraufhin und suchten Zuflucht in den übrigen elf offiziellen Aufnahmelagern für Palästinenser im Libanon.

Im darauffolgenden Jahr sagten internationale Geber in Wien Finanzmittel für den Wiederaufbau von Nahr el Bared durch das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) zu. Bisher ist jedoch erst ein Fünftel der ursprünglichen Bewohner in das mittlerweile zum Militärgebiet erklärte Camp zurückgekehrt. Und die Wiederaufbaufonds sind beinahe leer.

Schuld an der desolaten Lage ist zum einen der Krieg in Syrien. Zum anderen stehen die verarmten Palästinenser, die Gefahr laufen, in die Feindseligkeiten in ihrer Nähe hineingezogen zu werden, auf der Prioritätenliste der Geber ganz unten.


Sicherheitskontrollen des Militärs

Der 40-jährige Friseur Shadi Diab aus Nahr el Bared wartet in einer Behelfsunterkunft auf den Wiederaufbau seines ehemaligen Hauses. Er sei 2007 gleich zu Anfang der Kämpfe mit seiner Frau und den Kindern aus dem Lager geflohen, erzählt er. Als er zurückkam, stand sein Haus nicht mehr, an den Eingängen waren Sicherheitskräfte abgestellt. "Wir wurden für etwas bestraft, das wir gar nicht zu verantworten haben", meint er. "In Nahr el Bared lebt man jetzt schlechter als vorher. Der Handel liegt am Boden, und nicht nur wir sind betroffen. Für Besucher ist es aufgrund der geltenden Militärauflagen schwierig, ins Lager zu kommen."

Palästinenser im Libanon dürfen von Gesetzes wegen keinen Grundbesitz erwerben. Zudem ist ihnen der Zugang zu etwa 70 Berufen versperrt. Obwohl das Arbeitsrecht kürzlich reformiert worden ist, hat sich im Grunde nur wenig geändert. Die verarmten Palästinenser konkurrieren mit Flüchtlingen aus Syrien um schlecht bezahlte Jobs.

UNRWA darf nur im 'alten' Lager, das 1949 von der Rotkreuz-Bewegung gegründet wurde, 5.000 Häuser bauen, nicht aber im Umland, das im Volksmund 'neues Camp' genannt wird. Nachdem vier von acht Parzellen bebaut worden sind, schätzt das Hilfswerk, dass bis Frühjahr 2015 etwa 2.500 Familien zurückkehren können.

Doch bis dahin werden sämtliche Finanzmittel ausgeschöpft sein. Wie UNRWA-Direktorin Ann Dismorr erklärt, hatten die Geber dem Hilfswerk etwa 345 Millionen US-Dollar zugesagt. "Wir warten noch immer auf die zweite Hälfte des Betrags. Hätten wir ihn, könnten wir das gesamte Lager in wenigen Jahren fertigstellen."

Der schleppende Wiederaufbau wird auch damit begründet, dass Baufirmen mit guten Kontakten zur Politik den Zuschlag bekommen hatten. Archäologische Funde und der Umstand, dass die Häuser jetzt kleiner und die Straßen breiter sind als früher, sorgten für Streit, wodurch sich die Arbeiten weiter verzögerten. Auf den Straßen sollen künftig Panzerfahrzeuge der Armee patrouillieren, was vorher nicht erlaubt war.


Versprechen gebrochen

In Wien hatte die libanesische Regierung einen vorbildlichen Wiederaufbau von Nahr el Bared angekündigt. "Nahr el Bared sollte zum Modellfall werden. Libanesen und Palästinenser sollten ausgesöhnt werden und die Palästinenser in einem libanesischen Staat aufgehen", erinnert Sahar Attrache von der 'International Crisis Group'. "Doch alle Parteien haben versagt." Dem libanesischen Staat wirft der Konfliktforscher vor, sich an keines seiner Versprechen an die Palästinenser gehalten zu haben.

Die Hilfsorganisation 'Norwegian Refugee Council' (NRC) hat sich in Nahr el Bared einer besonderen Leistung verdient gemacht: Sie brachte den mit EU-Geldern finanzierten Häuserbau in der Nähe der 'alten' Stadt Mohajareen trotz der undurchschaubaren libanesischen Gesetze voran. Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) hatte das Territorium einst libanesischen Grundbesitzern abgekauft, um dort die Flüchtlinge des Massakers im palästinensischen Lager Tel al Zataar 1976 unterzubringen. Der Deal wurde aber niemals offiziell vom Staat Libanon anerkannt.

Nach 2007 wurde das zerstörte Wohngebiet der Hilfsorganisation 'Islamic Waqf' übergeben, die dort mehr als 100 palästinensische Familien ansiedelte. Im Februar soll nun der NRC mehr als 90 der beinahe fertiggestellten Häuser mit Strom- und Wasserversorgung an die ehemaligen Bewohner von Mohajareen übergeben. NRC-Direktorin Niamh Murnaghan räumt allerdings ein, dass die Rückkehrer weniger Platz haben werden als früher. Denn auch in Mohajareen sind die Straßen zwischen den Gebäuden verbreitert worden. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.unrwa.org/
http://www.crisisgroup.org/
http://www.ipsnews.net/2013/12/refugees-struggle-ruined-camp/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 13. Dezember 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2013