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NAHOST/1056: Vorwurf der Apartheid zwingt Israel zu Rückzieher (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Mai 2015

Nahost: Vorwurf der Apartheid zwingt Israel zu Rückzieher

von Mel Frykberg


Bild: © Mel Frykberg/IPS

Der Kontrollpunkt Azzum Atme an der Grenze zwischen dem Westjordanland und Israel
Bild: © Mel Frykberg/IPS

RAMALLAH, Westjordanland (IPS) - Ein Beschluss der israelischen Streitkräfte, Palästinensern aus dem Westjordanland die Mitfahrt in von Israelis genutzten Bussen zu verbieten, hat einen Aufruhr in der Knesset, dem israelischen Parlament, und internationale Proteste ausgelöst. Die Entscheidung wurde inzwischen wieder rückgängig gemacht - doch der politische Schaden ist geblieben.

Landenteignungen, der Bau jüdischer Siedlungen im Westjordanland und die vielen anderen Formen der Diskriminierung von Palästinensern haben Israel weltweit Kritik eingebracht. Auch im eigenen Land sieht sich die neue ultrarechte Regierung mit Protesten liberaler Israelis und von Menschenrechtsorganisationen konfrontiert.

Jüdische Siedler führen seit über einem Jahr eine Kampagne, um insbesondere den palästinensischen Pendlern, die zur Arbeit nach Israel fahren müssen, die Nutzung ihrer Busse zu verbieten. Die Palästinenser stellten ein Sicherheitsrisiko dar, seien nicht bereit, ihre Sitzplätze für Israelis zu räumen und zeigten sexuelles Interesse an israelischen Frauen, heißt es.


Trennungspläne noch nicht vom Tisch

Die in diesem Monat eingeführte Trennung in den Bussen wurde aufgrund der massiven Proteste rasch wieder rückgängig gemacht. Israels Verteidigungsminister Moshe Ya'alon wies den Vorwurf des Rassismus zurück und rechtfertigte den umstrittenen Beschluss mit "Sicherheitserfordernissen". Wie er erklärte, werde er die Streitkräfte anweisen, ein neues Konzept auszuarbeiten, das an allen 13 Übergängen zwischen dem Westjordanland und Israel umgesetzt werden soll.

Etwa zeitgleich zu den jüngsten Ereignissen hatte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini Jerusalem und Ramallah im Rahmen einer europäischen Initiative, den israelisch-palästinensischen Friedensprozess voranzubringen, besucht. Europa wolle in diesem Zusammenhang eine prominentere Rolle einnehmen, erklärte sie während ihres Aufenthalts vom 20. und 21. Mai.

Innerhalb der EU setzt sich inzwischen die Ansicht durch, dass Israel wegen seiner Enteignungspolitik und des illegalen Siedlungsbaus stärker unter Druck gesetzt werden müsse. Das israelische Verteidigungsministerium wiederum beschuldigt Brüssel der Voreingenommenheit.

"Die Regierung Israels wird sich von der Europäischen Union nicht dazu zwingen lassen, den Palästinensern im Hinblick auf den Friedensprozess Zugeständnisse zu machen", erklärte ein Sprecher des Ministeriums. "Wenn die EU einseitigen Druck auf Israel ausübt, ohne die Palästinenser unter Druck zu setzen, wird der Schuss nach hinten losgehen", warnte er.

Die stellvertretende israelische Außenministerin Tzipi Hotovely wiederum forderte alle israelischen Diplomaten auf, sich nicht für die Besetzung der Palästinensergebiete zu entschuldigen.

Palästinensische und israelische Politikexperten diskutieren indes darüber, ob mehr Druck von EU-Seite zu Zugeständnissen Israels führen könnte. Dazu meint der Politologe Samir Awad von der Birzeit-Universität bei Ramallah: "Die EU ist der größte Handelspartner Israels. Die Androhung wirtschaftlicher Sanktionen wäre eine Sprache, die die israelische Regierung besser verstehen würde als die leeren Drohungen der US-Amerikaner."

Awad ist ferner davon überzeugt, dass der Druck auch dadurch erhöht werde, dass mehrere EU-Staaten einen Palästinenserstaat anerkennen beziehungsweise für richtig halten und die andauernde Besetzung des Westjordanlands kritisieren.

Die Analystin Benedetta Berti, Wissenschaftlerin am israelischen Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) in Tel Aviv, glaubt hingegen nicht daran, dass es der EU gelingen wird, Israel an den Verhandlungstisch zu bekommen. "Bis jetzt wurde viel geredet und wenig getan", kritisiert sie.

Wie sie weiter betonte, hätten zwar 16 der 28 EU-Mitgliedsstaaten Federica Mogherini aufgefordert, die Kennzeichnung von aus jüdischen Siedlungen nach Europa exportierten Waren voranzubringen. Doch sei nichts geschehen, weil mindestens 20 der 28 zuständigen Minister dazu ihre Zustimmung geben müssten. "Da die EU aber hinsichtlich ihrer Politik gegenüber Israel gespalten ist, glaube ich nicht, dass daraus in naher Zukunft etwas werden wird."


Angriffe von Israelis auf Palästinenser selten geahndet

Eine israelische Menschenrechtsgruppe wirft den israelischen Behörden derweil vor, Angriffe israelischer Siedler und Militärangehöriger auf Palästinenser zu ignorieren. "Die meisten Gewaltverbrechen an Palästinensern werden nicht geahndet und von den Behörden oftmals absichtlich übersehen", erklärt die Freiwilligenorganisation 'Yesh Din'. Selbst wenn die Armee strafrechtliche Ermittlungen gegen Soldaten einleite, führten sie meist zu keinem Ergebnis.

Nach Erkenntnissen von Yesh Din werden etwa 94 Prozent solcher Untersuchungen abgeschlossen, ohne dass Anklage erhoben wird. In den übrigen Fällen werden milde Strafen verhängt. Die Organisation kritisiert zudem, dass Palästinenser im Westjordanland kaum die Möglichkeit haben, direkt bei der israelischen Militärpolizei Anzeige zu erstatten. (Ende/IPS/ck/27.05.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/05/accusations-of-apartheid-cause-israelis-to-backpedal/

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IPS-Tagesdienst vom 27. Mai 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2015

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