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NAHOST/1066: Saudi-Arabien befeuert Spekulationen über eigenes Atomwaffenprogramm (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. November 2015

Abrüstung: Saudi-Arabien befeuert Spekulationen über eigenes Atomwaffenprogramm

von Emad Mekay *


KAIRO (IPS/IDN) - Als sich die USA und der Iran im vergangenen Juli auf ein Atomabkommen einigten, kommentierten die staatlich kontrollierten Medien Saudi-Arabiens, die westlichen Mächte hätten einem mächtigen neuen Feind in der Nachbarschaft klein beigegeben. Die saudi-arabischen Behörden gaben sich wie üblich verschwiegen. In sozialen Netzwerken im Internet, in Wissenschaftskreisen und in staatlichen Nachrichtenmedien ging jedoch die Furcht so weit, dass nicht mehr ausgeschlossen wurde, das an Erdöl reiche Land könne seinen Wohlstand für ein eigenes Nuklearprogramm nutzen.

Eine Atommacht Iran "ist für eine Vielzahl von Ländern extrem gefährlich. Dies gilt vor allem für Saudi-Arabien, das seit langer Zeit der größte Gegner Irans im politischen Machtgefüge des Mittleren Ostens ist", schrieb Nawaf Obaid, Senior Fellow am 'King Faisal Center for Research and Islamic Studies'.

Dabei verfolgt das Abkommen, das die Saudis in Alarmstimmung versetzt hat, zunächst ein ganz anderes Ziel. Es sieht vor, die Sanktionen gegen Teheran nach und nach aufzuheben, wenn der Iran sein Arsenal an niedrig angereichertem Uran in 15 Jahren um 98 Prozent verkleinert und die Zahl der installierten Zentrifugen reduziert. Dennoch meinen Saudi-Arabien und andere Verbündete in der Golfregion, dass die Übereinkunft die regionale Machtbalance einschneidend verändern könnte.


Teheran hat in der Atomforschung die Nase vorn

Iran kann die neuen Geldzuflüsse zur Modernisierung seiner konventionellen Waffen verwenden und seinen regionalen Einfluss erweitern, ohne den wissenschaftlichen und technologischen Vorsprung vor den wohlhabenden arabischen Nachbarn einzubüßen. Die Regierungen in der Region vertrauen den Garantien der USA für Sicherheit am Golf offenbar so sehr, dass sie bisher Investitionen in die wissenschaftliche Forschung vernachlässigt haben. Sie stützen sich vielmehr auf den umfangreichen Ankauf von Waffen aus den USA, die in ihren Lagern verstauben.

Der beispiellose Vorsprung seiner Militärmacht und der Einfluss des Irans auf die Nachbarstaaten Irak und Syrien sowie die Unterstützung der jemenitischen Huthi-Rebellen bereitet den Saudis weiteren Verdruss. Kein Wunder, dass immer mehr saudi-arabische Experten öffentlich erklären, dass ihr Land eine Atommacht werden kann und wird. Überdies scheint es so, als würde die Regierung von US-Präsident Barack Obama von ihren Sicherheitszusagen Abstand nehmen.

"Ich denke, die Obama-Regierung hat viel geleistet, als sie eine regionale Sicherheitsstrategie geschaffen hat", sagte Jeffrey Lewis, Professor am 'Middlebury Institute of International Studies' in Monterey. "Es ist keine Überraschung, dass Verbündete und Partner Unbehagen über den offensichtlichen Strategiewechsel äußern. Die meisten Saudis sind beunruhigt über die Verschlechterung der regionalen Sicherheitslage und glauben, dass die Obama-Regierung unfähig ist", meint er. Nun bleibe abzuwarten, wie die nächste Regierung die regionalen und bilateralen Beziehungen handhaben werde.

Kenner der Region sind im Grunde genommen davon überzeugt, dass die Saudis ihren Frust kaum an die Öffentlichkeit dringen lassen, sondern lieber hinter den Kulissen arbeiten. Dieses Mal haben allerdings die Medien des Landes einen detaillierten Artikel nach dem anderen über das Raketenarsenal Saudi-Arabiens und seinen Ehrgeiz auf dem Gebiet der Atomwaffen veröffentlicht.


Saudi-Arabien plant seit Jahren Atomreaktoren

Riad hat im Übrigen bereits ein Atomprogramm. Im Jahr 2011 hatte die Regierung Pläne für den Bau von 16 Atomreaktoren während der folgenden 20 Jahre vorgestellt. Die Kosten sollen sich auf mehr als 80 Milliarden US-Dollar belaufen. Diese Reaktoren würden etwa 20 Prozent des in Saudi-Arabien benötigten Stroms liefern. Zusätzlich sollen kleinere Reaktoren bei der Entsalzung von Meerwasser eingesetzt werden.

Kürzlich kündigten Frankreich und Saudi-Arabien Machbarkeitsstudien für zwei Atomanlagen an, die von dem französischen Unternehmen Areva gebaut werden sollen. Zudem sind Verträge mit Ungarn, Russland, Argentinien und China in Vorbereitung, die den Bau von Reaktoren zu Kosten von jeweils etwa zwei Milliarden Dollar vorsehen.

Die unabhängige Organisation 'King Abdullah Atomic Energy City' (KACARE), die im Auftrag der saudi-arabischen Regierung das staatliche Programm für atomare und erneuerbare Energien entwickeln soll, arbeitet offenbar mit jungen Wissenschaftlern zusammen, die den Iran als große Gefahr für die Existenz ihres Landes sehen.

Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) kooperiert unterdessen eng mit Riad, um ein friedliches Kernenergieprogramm und Krebsbehandlungseinrichtungen im 'King Faisal Specialist Hospital and Research Center' zu schaffen.

Auf dem Weg zu einem saudi-arabischen Atomprogramm gibt es weitere Hürden. Der Staat kontrolliert 16 Prozent der bekannten Ölvorkommen auf der Welt. Dennoch ist Saudi-Arabien ein autoritär geführtes Entwicklungsland ohne die notwendigen technischen Kenntnisse für die Entwicklung nuklearer Sprengköpfe und ballistischer Raketen.

Seit Langem zieht es das Regime vor, in den Wohlfahrtsstaat zu investieren und seine Bürger mit Luxus zu verwöhnen, statt die Wissenschaft voranzubringen. "Saudi-Arabien besitzt nur eine rudimentäre zivile Atominfrastruktur und verfügt derzeit nicht über die physischen und technologischen Ressourcen, um eigene Nuklearwaffen zu entwickeln", geht aus einem kürzlich veröffentlichten Bericht der in Washington ansässigen Organisation 'Nuclear Threat Initiative' hervor.


Atombündnis mit Pakistan nicht ausgeschlossen

Um die Wissenslücken zu schließen, ziehe Riad eine Allianz mit anderen Atommächten wie etwa Pakistan in Betracht, heißt es weiter. Indem sich Saudi-Arabien großzügig gegenüber den pakistanischen und ägyptischen Streitkräften zeige, hoffe die Regierung, von Pakistans Nuklearprogramm profitieren und nach Belieben Bomben bestellen zu können.

Erst kürzlich ist jedoch offensichtlich geworden, dass Saudi-Arabien mit seiner Großzügigkeit nicht alles erreichen kann. Denn Pakistan scheute davor zurück, Bodentruppen zu entsenden, die im Jemen Seite an Seite mit unerfahrenen saudi-arabischen Soldaten kämpfen sollten. Diese Erfahrung macht deutlich, dass die geldbasierte Sicherheitsstrategie Saudi-Arabiens an Grenzen stößt.

Die USA deuteten derweil an, Riad einen 'nuklearen Schirm' anzubieten, der die Golfstaaten einschließlich Saudi-Arabiens vor einer Atommacht Iran schützen könnte. Wenn dieser Plan fortgeführt würde, käme Saudi-Arabien mit seinen Nuklearambitionen nicht bis zum Ziel. Denn in dem Fall würde mit dem Land über ein Abkommen zur zivilen Nutzung von Kernenergie verhandelt. Saudi-Arabien müsste dann freiwillig einen Verzicht auf die Anreicherung und Verarbeitung von Uran erklären. (Ende/IPS/ck/02.11.2015)


* Emad Mekay ist Korrespondent und Bürochef im 'Middle East Bureau' von International Press Syndicate und IDN.


Link:

http://www.nuclearabolition.info/index.php/european/577-saudi-nuclear-blustering-remains-hollow-for-now

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. November 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2015

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