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NAHOST/447: "Verbrechen und Scham" - Literaturnobelpreisträger zum Krieg gegen Gaza (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 6. Januar 2009

Zum Krieg gegen Gaza

Stellungnahme »Verbrechen und Scham« der Literaturnobelpreisträger José Saramago und Pilar del Río sowie weiterer Publizisten und Kulturschaffenden zum Krieg gegen die Palästinenser in Gaza


Es ist kein Krieg, es gibt keine sich gegenüberstehenden Heere. Es ist ein Morden. Es handelt sich nicht um eine Repressalie, es sind nicht die selbstgebastelten Raketen, die erneut auf israelisches Territorium fielen, sondern es ist die zeitliche Nähe zum Wahlkampf, die den Angriff ausgelöst hat. Es ist nicht die Antwort auf das Ende des Waffenstillstandes, denn während dessen Geltungsdauer hat die israelische Armee die Blockade von Gaza noch verschärft und ihre tödlichen Operationen nicht eingestellt, 256 Tote in den sechs Monaten einer vermeintlichen Feuerpause, mit der zynischen Rechtfertigung, daß ihr Ziel immer nur die Mitglieder der Hamas seien. Als ob die Mitgliedschaft in der Hamas den vom Einschlag eines Geschosses zerfetzten Körper seiner menschlichen Eigenschaft entkleide, und als ob selektiver Mord nicht immer noch Mord bleibe.

Es ist keine Explosion der Gewalt. Es handelt sich um eine geplante und seit geraumer Zeit von der Besatzungsmacht angekündigte Offensive. Ein weiterer Schritt bei der Vernichtung des Widerstandswillens der palästinensischen Bevölkerung, die im Westjordanland der täglichen Hölle der Besatzung unterworfen ist und im Gazastreifen einer Aushungerung, deren letzte Episode nun das Gemetzel ist, das die Bildschirme mitten in freundlichen und festlichen Weihnachtsbotschaften füllt.

Es handelt sich auch nicht um ein Scheitern der internationalen Diplomatie. Es ist ein weiterer Beweis für die Komplizenschaft mit dem Besatzer. Dabei geht es nicht nur um die USA, die weder moralischer noch politischer Bezugspunkt, sondern Teil, nämlich israelischer Teil des Konflikts sind; es geht um Europa, um die enttäuschende Schwäche, Unentschlossenheit und heuchlerische Haltung der europäischen Diplomatie.

Das Skandalöseste an den Ereignissen in Gaza ist, daß sie geschehen können, ohne daß etwas geschieht. Die Straflosigkeit Israels wird nicht in Frage gestellt. Die fortgesetzte Verletzung internationalen Rechts, der Genfer Konvention und der Mindeststandards an Menschlichkeit bleibt ohne Konsequenzen. Im Gegenteil, sie scheint noch prämiert werden zu sollen mit präferenziellen Handelsverträgen oder Vorschlägen zum Eintritt Israels in die OSZE. Und wie obszön klingen schließlich die Sätze aus den Mündern mancher Politiker, die die Verantwortung zu gleichen Teilen zwischen Besatzer und Besetztem, zwischen dem Belagerer und dem Belagerten, zwischen Henker und Opfer verteilen. Und wie unseriös ist doch die vermeintliche Äquidistanz, die den Unterdrückten mit seinem Unterdrücker auf die gleiche Stufe stellt. Die Sprache ist nicht unschuldig. Worte töten nicht, aber sie helfen, das Verbrechen zu rechtfertigen und es zu verewigen.

In Gaza wird ein Verbrechen begangen. Es geschieht bereits eine Zeitlang vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Und vielleicht wird in einigen Jahren jemand es wagen zu sagen, wie es in einer anderen Zeit schon einmal geschah, daß wir nichts wußten.


Pedro Martínez Montávez, José Saramago, Pilar del Río, Rosa Regás, Carmen Ruiz Bravo, Belén Gopegui, Constantino Bértolo, Santiago Alba und Luis Cruz

Übersetzung: Uli Mercker


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Quelle:
junge Welt vom 06.01.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2009