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NAHOST/600: Hilfskonvoi "Viva Palästina" - Belagerung durchbrochen (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 8. Januar 2010

Belagerung durchbrochen

Hilfskonvoi »Viva Palästina« erreicht nach mehreren Wochen Einwohner im Gazastreifen.
Internationale Proteste gegen Israel am 16./17. Januar geplant

Von Karin Leukefeld


Der Hilfskonvoi »Viva Palästina« ist nach vielen Hindernissen endlich im Gazastreifen angekommen. Was für westliche Medien eher eine Randnotiz war, der »Bruch der Blockade gegen den Gazastreifen«, wurde am Mittwoch abend im arabischen TV-Sender Al-Dschasira zur Spitzenmeldung. Für 59 der 210 Fahrzeuge blieb der Grenzübergang Rafah zwar geschlossen, doch die Hilfsgüter, die sie transportierten wurden kurzerhand umgeladen und erreichten um 17.30 Uhr Ortszeit endlich ihr Ziel. Die Stunden davor waren von Gewalt gekennzeichnet. Unter den Augen bewaffneter ägyptischer Grenzsoldaten hatten Hunderte wütende und enttäuschte Palästinenser auf der palästinensischen Seite der Grenze gegen die Behinderungen des Konvois seitens der ägyptischen Regierung und gegen den beabsichtigten Bau einer Mauer auf ägyptischer Seite protestiert. Als die Demonstranten Steine auf die Grenzsoldaten warfen, fielen Schüsse auf beiden Seiten. Polizeiwagen der Hamas vertrieben umgehend die Menge von der Grenze, ein 21jähriger ägyptischer Grenzsoldat wurde tödlich getroffen, vermutlich von Kugeln von palästinensischer Seite. Die Hamas gab die Zahl der verletzten Palästinenser mit 32 an.

Der britische Unterhausabgeordnete George Galloway, einer der Hauptorganisatoren des nunmehr dritten Viva-Palästina-Konvois in den belagerten Gazastreifen, bedauerte im Interview mit Al-Dschasira erneut, daß Ägypten die Hilfsaktion so massiv behindert hatte. Am 27. Dezember, dem eigentlich Termin, an dem seine Gruppe in Gaza sein wollte, hätte die Welt auf Israel zeigen sollen, das »auf kriminelle Weise in 22 Tagen Krieg 1400 Menschen getötet hat, die meisten von ihnen Frauen und Kinder und Zivilisten«. Statt dessen hätte man an diesem Tag auf Ägypten gezeigt, weil es dem Druck seitens der USA und Israels nachgegeben und die Grenze bei Rafah geschlossen gehalten habe, sagte Galloway, der 2003 wegen des Irak-Krieges die britische Labour-Partei verlassen hat. Und weiter: Solange die israelische Belagerung nicht beendet sei, seien Hilfskonvois nur »ein Tropfen im Ozean«. Man habe »der Welt zeigen wollen, daß es eine Belagerung gibt«. Kritische Stimmen, warum man nicht versucht habe, den Hilfskonvoi durch Israel in den Gazastreifen zu bringen, wies Galloway zurück. »Solange die Palästinenser als Flüchtlinge in alle vier Himmelsrichtungen verstreut leben müssen, solange Jerusalem auf brutale Weise ethnisch gesäubert wird und von Siedlungen umzingelt ist, die das Leben in der Stadt ersticken, solange Gaza belagert wird und die Palästinenser in Gaza und in den besetzten Gebieten vor den Augen ihrer Familie bei Luftangriffen ermordet werden, solange werden wir Israel nicht anerkennen und keinen Fuß auf israelischen Boden setzen.«

Galloway sprach sich für die Einheit der Palästinenser aus und unterstrich, daß nur diese das Recht hätten, ihre Führung zu bestimmen und nicht der Westen, der die letzte Wahl im Westjordanland und Gazastreifen nicht anerkannt habe. »Die Palästinenser können nicht ausgehungert werden, damit sie sich ergeben«, sagte Galloway, der seit seiner Jugendzeit ein enger Vertrauter des früheren PLO-Führers Yassir Arafat war. Wer darauf setze, die Palästinenser auszuhungern, verrechne sich: »Dieses Volk wird sich nie ergeben.«

Die Teilnehmer des Konvois zeigten sich erschöpft aber glücklich, nach ihrer einmonatigen Fahrt endlich die Blockade durchbrochen zu haben. »Die Leute hier in Gaza haben unsere Solidarität verdient«, erklärte ein irischer Teilnehmer dem iranischen Fernsehsender Press TV. »Wir brauchen eine Massenbewegung im Westen und in der arabischen Welt, um die Belagerung zu brechen.« Teilnehmer des Gaza-Freiheitsmarsches rufen für den 16. und 17. Januar weltweit zu Protestaktionen vor israelischen Botschaften und Konsulaten auf. Am 17. Januar 2009 beendete ein Waffenstillstand den Gaza-Krieg, seitdem hat Israel die Blockade gegen Gaza weiter verschärft. Ziel der Aktionen sei es, international Solidarität mit den Palästinensern zu zeigen und ein Ende der Belagerung des Gazastreifens zu fordern, heißt es in einem Aufruf (siehe unten).


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Dokumentiert: Kairoer Erklärung

Rund 1400 AktivistInnen aus 43 Ländern sind zum Jahreswechsel in der ägyptischen Hauptstadt Kairo zusammengekommen, um sich nach Gaza aufzumachen und gemeinsam mit Palästinensern die illegale Belagerung durch Israel zu durchbrechen. Durch die ägyptischen Behörden wurden sie daran gehindert, in den Gazastreifen einzureisen. In ihrer »Kairoer Erklärung« rufen die Teilnehmer am Gaza-Freiheitsmarsch zum Aufbau einer neuen Antiapartheid-Bewegung auf:

Wir, die internationalen Delegierten, die sich in Kairo während des Gaza Freedom March 2009 versammelt haben, erklären auf eine Initiative der südafrikanischen Delegation hin gemeinsam:

Im Hinblick auf Israels andauernde Kollektivbestrafung der Palästinenser durch die illegale Besatzung und Belagerung des Gazastreifens; die illegale Besatzung des Westjordanlands, einschließlich Ostjerusalems, und den weiteren Ausbau der illegalen Apartheid-Mauer und der Siedlungen; die neue Mauer, die von Ägypten und den USA gebaut wird und die Belagerung von Gaza noch weiter verschärfen wird; die von Israel, den USA, Kanada, der EU und anderen nach den palästinensischen Wahlen von 2006 gezeigte Mißachtung der palästinensischen Demokratie; die Kriegsverbrechen, die von Israel während der Invasion des Gazastreifens vor einem Jahr begangen wurden; die anhaltende Diskriminierung und Unterdrückung, denen Palästinenser in Israel ausgesetzt sind; und das anhaltende Exil von Millionen palästinensischer Flüchtlinge; die Gesamtheit dieses repressiven Vorgehens, das letztlich auf die zionistischen Ideologie zurückgeht, auf der Israel begründet ist; die Tatsache, daß unsere eigenen Regierungen Israel direkte wirtschaftliche, finanzielle, militärische und diplomatische Unterstützung gewähren und ihm erlauben, ungestraft zu handeln; auf die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker (2007) bekräftigen wir unsere Verpflichtung zu den Punkten:

- Palästinensische Selbstbestimmung

- Beendigung der Besatzung

- Gleiche Rechte für alle im historischen Palästina

- Das volle Recht auf Rückkehr für palästinensische Flüchtlinge

Wir bekräftigen daher unsere Unterstützung für den gemeinsamen palästinensischen Aufruf vom Juli 2005 für Boykott, Investitionsstopp und Sanktionen (BDS), um Israel zur Beachtung des Völkerrechts zu zwingen.

Zu diesem Zweck fordern wir dazu auf und wollen dazu beitragen, eine massenhafte demokratische Antiapartheid-Bewegung aufzubauen und dabei in enger Absprache mit der palästinensischen Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten, um die palästinensische Forderung nach BDS umzusetzen. (...)


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Quelle:
junge Welt vom 08.01.2020
mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2010