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NAHOST/651: Gespräche mit allen Konfliktparteien im Nahostkonflikt (Ev. Akademie Bad Boll)


Evangelische Akademie Bad Boll - 13. Juni 2010

An Gesprächen mit allen Konfliktparteien im Nahostkonflikt führt kein Weg vorbei.

"Wir sollten bei Kontakten und Dialogen grundsätzlich von Verboten, ideologischen Sichtweisen und Ausgrenzungen Abstand nehmen", erklärte Dr. Muriel Asseburg, Leiterin der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika, Stiftung Politik und Wissenschaft, Berlin, in Bezug auf das deutsche und europäische Engagement im Nahostkonflikt auf einer Tagung in der Evangelischen Akademie Bad Boll.


Bad Boll / Kreis Göppingen - Konsens über die Notwendigkeit der Einbeziehung aller Konfliktparteien im Nahostkonflikt, also auch der Hamas, bestand bei der Tagung "Partner für den Frieden" (11.-13. Juni 2010) mit knapp 200 Teilnehmenden in Bad Boll. Bedauert wurde, dass die Teilnahme des eingeladenen Gesundheitsministers aus Gaza, Basem Naim, durch ein Einreiseverbot der Bundesregierung verhindert wurde und damit nur zwei Stimmen aus Nahost, eine israelische und ein Al Fatah-Vertreter zu Wort kamen.

Die in Kooperation mit Pax Christi geplante Tagung war im Vorfeld zum Gegenstand einer heftigen Kontroverse geworden. Den Veranstaltern war vorgeworfen worden, einen Referenten eingeladen zu haben, der im Blick auf Israel extremistische Positionen vertrete und sie wurden aufgefordert, die Tagung abzusagen. Alle Referierenden, samt dreier Bundestagsabgeordneter von CDU, SPD und FDP, ließen sich nicht von einer Teilnahme an der Tagung abhalten. Oberbürgermeister Dr. Albrecht Schröter aus Jena, das eine Städtepartnerschaft mit der palästinensischen Stadt Beit Jala pflegt, sagte zu Beginn der Tagung: "Ich bin hier, um mit dem Schiff Bad Boll die Denkblockade nach Gaza zu durchbrechen."

Avraham Burg, ehemaliger Sprecher der Knesset, wies darauf hin, dass die Oslo-Verhandlungen 1993/95 von beiden Völkern noch zu 75 Prozent unterstützt worden sind, und dass die israelischen Regierungen viele Gelegenheiten, Frieden zu machen, verpasst hätten. Einen Grund sieht er in den Traumata beider Völker - für die Israelis der Holocaust, für die Palästinenser Flucht und Vertreibung von 1947/48 (Nakba). Um zu einer Versöhnung zu kommen, müsse jede Seite erst einmal bereit sein, die Geschichte und das Trauma der anderen Seite zu verstehen und zu akzeptieren. Als Kräfte, die in Israel am stärksten gegen eine Einigung sind, nennt er die Siedler. "Sie lehnen eine Zweistaatenlösung ab und träumen von einem Großisrael vom Jordan bis zum Mittelmeer." Parallel zu ihnen sieht er die Position der Fundamentalisten von Hamas. Eine wichtige Rolle sieht Burg in der Zivilgesellschaft: "Das ist der Akteur, der reagieren kann, wenn die Politik versagt." Burg beteiligt sich selbst wöchentlich an einer Demonstration von Israelis und Palästinensern gegen Hauszerstörungen im Ostjerusalemer Stadtteil Scheikh Jarrah.

Abdallah Frangi, Berater von Präsident Abbas für internationale Angelegenheiten, erläuterte, dass man an einer Einigung der palästinensischen Spaltung in Fatah und Hamas arbeite. Er sagte: "Nur wenn die Palästinenser mit einer Stimme sprechen, werden sie Erfolg haben. Wenn sich die Hamas in die PLO eingliedert, ist eine Lösung in Sicht." Die PLO sei weltweit anerkannt als legitime Vertretung der Palästinenser und habe den Staat Israel in den Grenzen vom 4. Juni 1967 (UN-Resolution 242) anerkannt. Ferner betonte Frangi, dass die Blockade von Gaza beendet werden müsse und die Kontrolle der Grenzen nicht weiter in israelischer Hand liegen dürfe.

Der Bundestagsabgeordnete Harald Leibrecht, FDP, hatte sich im Vorfeld für ein Visum für Basem Naim aus Gaza bemüht. Auf der Tagung betonte er, dass es wesentlich sei, "mit allen Kräften zu sprechen, auch mit führenden Vertretern der Hamas - offiziell und inoffiziell." Sein Kollege von der CDU/CSU, Michael Hennrich, der zur Parlamentariergruppe für die arabische Welt gehört, sagte zum Wahlsieg der Hamas 2006 und der Nichtanerkennung der Hamas als gewählte Regierung durch die USA und Europa: "Nach den Wahlen von 2006 hätte man der Hamas ein Zeitfenster einräumen müssen, zumal auch innerhalb dieser Organisation über die Ausrichtung der zukünftigen Politik kontrovers diskutiert wurde." Auf die Frage, ob mit Hamas-Vertretern gesprochen werden könne, antwortete Rainer Arnold, SPD-Abgeordneter aus Nürtingen: "Natürlich muss man auch mit den Feinden reden." Arnold hatte selbst nach den Wahlen 2006 auch mit Abgeordneten der Hamas gesprochen. Nach seiner Einschätzung wird die Isolierung der Hamas durch die europäische Politik bereits aufgeweicht. Zur Gaza-Blockade meinte er: "Es ist inakzeptabel, 1,5 Millionen Menschen in Gaza in Sippenhaft zu halten."

Die Wissenschaftlerin Dr. Asseburg betonte hierzu, dass eine Beendigung der Blockade, die vier Jahre ignoriert wurde, jetzt das Wichtigste sei. "Eine Lockerung der Blockade ist keine Lösung für das Problem. Es muss jetzt vielmehr darum gehen, auf die Aufhebung der Blockade des Gaza-Streifens hinzuwirken." Im Weiteren sagte sie: "Es geht darum, im Gazastreifen einen umfassenden Wiederaufbau zu ermöglichen, die Bevölkerung aus der Abhängigkeit und Isolation zu befreien und die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen." Dies ist nach Asseburgs Einschätzung allerdings nur sinnvoll, wenn zweckgerichtet und offiziell mit der de-facto-Regierung in Gaza kommuniziert wird. Die immer noch geltende Kontaktsperre würde den Deutschen die Chance nehmen, den Akteur besser zu verstehen und auszuloten, inwiefern pragmatische Kooperationen möglich sind.

Matthias Jochheim von IPPNW e.V. (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.) war Passagier an Bord des Schiffes Mavi Marmara, als dieses am 31. Mai vom israelischen Militär aufgebracht wurde. Neun Passagiere wurden bei diesem Überfall in internationalen Gewässern getötet. Das deutsche Bündnis "Ein Schiff nach Gaza" ist mit der internationalen Bewegung "Free Gaza" affiliiert. Matthias Jochheim schilderte, wie er und sein Gepäck, wie alle anderen Passagiere auch, beim Übersetzen von der Motoryacht Challenger II auf das türkische Schiff Mavi Marmara von den Organisatoren durchsucht worden war. Ferner gab es den Konsens unter den Passagieren, dass nur passiver Widerstand, aber keine Menschen verletzende Gewalt angewendet werden dürfe. (mw)


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Quelle:
Mitteilung vom 13. Juni 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2010