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NAHOST/680: Die Preisgabe palästinensischer Rechte als Sprache des "Friedens" (inamo)


inamo Heft 62 - Berichte & Analysen - Sommer 2010
Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten

Die Preisgabe palästinensischer Rechte als Sprache des "Friedens"

Von Joseph Massad


International änderte sich nach Oslo (Oslo-Abkommen von 1993) das Vokabular, sprich das palästinensische Vokabular des nationalen Unabhängigkeitskampfes, des Kampfes gegen die Besetzung und der Beendigung des Landraubs ging über in eine fragwürdige Sprache des Friedens, die institutionalisiert wurde. Wer sich ihr widersetzt, wird als Kriegsbefürworter diffamiert. Joseph Massad untersucht die Mechanismen des Oslo-Abkommens und -Prozesses, die von der PA zusammen mit Israel und den USA in Gang gehalten werden, um das palästinensische Streben nach einem Ende der Kolonisierung und Besetzung durch Israel zu unterbinden. Die Funktion der neuen politischen Klasse in der PA, zusammen mit der Klasse der "Überwacher", besteht darin, "den Osloer Prozess gegen alle Palästinenser zu verteidigen, die versuchen ihn zu untergraben." Die überwachende und die bürokratische Klasse bezieht ihr gesamtes legitimes und illegitimes Einkommen direkt von der PA.


Das Oslo-Abkommen von 1993 leitete nicht nur eine neue Ära palästinensisch-israelischer Beziehungen ein, sondern hatte insofern viel dauerhaftere Auswirkungen, als dass sich die Sprache an sich, von der diese Beziehungen auf internationaler Ebene bestimmt und wie diese von der palästinensischen Führung betrachtet werden, gewandelt hat. Nicht nur wurde das palästinensische Vokabular der Befreiung, der Beendigung der Kolonialisierung, des Widerstands, des Kampfes gegen Rassismus, der Beendigung israelischer Gewalt und des Landraubs, der Unabhängigkeit, des Rückkehrrechts, der Gerechtigkeit und des internationalen Rechts ersetzt durch Begriffe wie Verhandlungen, Abkommen, Kompromisse, Pragmatismus, Sicherheitszusagen, Mäßigung und Anerkennung, die vor Oslo allesamt Teil des israelischen Vokabulars waren und weiterhin sind, sondern Oslo institutionalisierte sich auch als die Sprache des Friedens, die ipso facto jeglichen Versuch, sich ihr zu widersetzen, als Sprache der Kriegsbefürworter disqualifiziert, und die all diejenigen, die gegen die Preisgabe palästinensischer Rechte opponieren, als Friedensgegner abtut. Die Sprache der Preisgabe von Rechten zur Sprache des Friedens zu machen ist auch Teil der israelischen Strategie vor und nach Oslo gewesen, und es ist auch die Sprache der US-amerikanischen Imperialmacht, in der US-Präsident Barack Obama in seiner Rede in Kairo im letzten Juni Araber und Muslime instruiert hat.

Folglich handelt es sich bei dem durch Oslo herbeigeführten Wandel nicht nur um einen Sprachwandel an sich, sondern auch um einen Wandel der palästinensischen Sprache und Perspektive, aus der das Wesen der palästinensisch-israelischen Beziehungen vonseiten der palästinensischen Führung betrachtet wurde, sowie um eine Institutionalisierung der israelischen Perspektive und des israelischen Vokabulars als neutral und objektiv. Demnach bestand die Absicht Oslos darin, das eigentliche Ziel der palästinensischen Politik zu ändern, von der nationalen Unabhängigkeit von israelischer Kolonialherrschaft und Besetzung hin zur völligen Abhängigkeit von Israel und dessen Unterstützern, um politisch und national überleben zu können, im Interesse des Friedens und der Sicherheit ihrer Besatzer.


Auch die PLO ...

Die Schlüsselformel der Osloer Vereinbarung, die den Wandel herbeigeführt hat und die in der Declaration of Principles vom 13. September 1993 verewigt ist, lautet "Land gegen Frieden". Diese Formel, die den international anerkannten Rechten der Palästinenser abträglich ist, wurde zum Leitansatz und Hemmnis für alle nachfolgenden Vereinbarungen - und Uneinigkeiten - zwischen der Palestinian Authority (PA) und den aufeinander folgenden israelischen Regierungen. Diese Formel allein beeinträchtigt den gesamten Prozess, indem sie unterstellt, dass Israel "Land" besitzt und bereit wäre, es den "Arabern" zu geben, und dass die "Araber" - die als verantwortlich für den Krieg mit Israel betrachtet werden - Israel den seit Jahrzehnten ersehnten Frieden gewähren können. Die Verantwortung für die arabisch-israelischen Kriege den "Arabern" zuzuschreiben entspricht der Standardsicht, die in den westlichen Medien oder von westlichen Regierungen niemals infrage gestellt wird. Doch am Ende hat das Zugeständnis der Palestine Liberation Organization (PLO) dafür gesorgt, dass auch palästinensische oder andere arabische Amtsträger sie nicht infrage stellen.

Obwohl es sich oberflächlich um einen politischen Kompromiss zu handeln scheint, so spiegelt diese Formel in Wirklichkeit die Ansichten über die vermeintlich rassischen Merkmale von (europäisch-jüdischen) Israelis und Palästinensern und anderen Arabern wider. Während die Israelis gefragt werden und angeblich bereit sind (oder so dargestellt werden, als wären sie bereit), über Grundbesitz zu verhandeln, das anerkannte (westliche) Bürgerrecht par excellence, werden die Palästinenser und andere Araber aufgefordert, der Gewalt abzuschwören, oder genauer "ihren" gewalttätigen Mitteln, die als illegitim und als Merkmal unzivilisierter Barbaren erachtet werden. Die Tatsache, dass die Palästinenser bereits ihren rechtmäßigen Anspruch auf 77 Prozent des Gebietes aufgegeben haben und über ihre zukünftige Oberherrschaft über lediglich 23 Prozent ihres Heimatlandes verhandelten, hat für eine Formel im Sinne von "Land gegen Land" als Grundlage für den "Friedensprozess" nicht ausgereicht. Tatsächlich würde die objektive Formel für jegliche Verhandlungen "Land für Frieden" lauten, wobei es die Palästinenser sind, die auf das Recht auf ihr historisches Heimatland verzichten, im Austausch für ein Ende der Unterdrückung ihres Volkes und der kolonialen Gewalt vonseiten Israels.


... keine gegenseitige Anerkennung

Die PLO, Israel und die westlichen Medien bejubelten das Oslo-Abkommen als "gegenseitige Anerkennung". Das widerspricht jedoch den tatsächlich von beiden Parteien geäußerten Worten und den darauf basierenden geplanten Handlungsschritten. Während die PLO "das Recht Israels, in Frieden und Sicherheit zu existieren", anerkannte, lautete die "Antwort" an Yasser Arafat, die israelische Regierung habe "beschlossen, die PLO als Vertreter des palästinensischen Volkes anzuerkennen und im Rahmen des Nahostfriedensprozesses mit der PLO in Verhandlungen zu treten". Das stellt jedoch keine gegenseitige Anerkennung dar, da die Israelis nicht das Recht des palästinensischen Volkes, in Frieden und Sicherheit in einem eigenen Staat zu existieren, anerkannten, wie die PLO es umgekehrt gegenüber Israel getan hatte. Hätte die PLO lediglich die Rabin-Regierung als Vertreter des israelischen Volkes anerkannt, ohne dem israelischen Staat notwendigerweise irgendein "Recht" auf eine friedliche und sichere Existenz zuzusprechen, dann wäre die Anerkennung der PLO auf einer Linie mit der Israels gewesen. Folglich entsprach das eigentliche Abkommen nicht einer gegenseitigen Anerkennung; vielmehr handelte es sich um die Legitimierung des israelischen Staates durch genau das Volk, gegen das dessen rassistischen kolonialen Praktiken gerichtet waren - und weiterhin sind -, ohne dass die Israelis sich zu irgendetwas substantiell neuem verpflichteten. Die PLO als Vertreter der Palästinenser anzuerkennen (etwas, was die Mehrheit der Welt - mit Ausnahme der USA - seit Mitte der 1970er getan hatte), verpflichtete Israel gegenüber dem palästinensischen Volk zu keinerlei Zugeständnissen. Es verpflichtete den Staat Israel, der geneigt war, mit "Vertretern" der Palästinenser zu sprechen, nur dazu, mit der PLO zu sprechen, da sie diese Partei nun als deren Vertreter anerkannte, was zuvor nicht der Fall gewesen war. Dies ist genau der Grund, warum aufeinander folgende israelische Regierungen und Regierungschefs darin geschwankt haben, den Palästinensern das Recht zur Gründung eines eigenen Staates zu gewähren und sich immer auf Oslo und Folgevereinbarungen berufen, in denen sie diesbezüglich keinerlei Zusicherung gegeben haben.


Die Verwandlung der PLO in die PA

Nachdem sie ihren Opfern eine kostbare Anerkennung ihrer Existenzberechtigung abverlangt hatten, gingen die Israelis mithilfe des Mechanismus des Osloer Friedensprozesses dazu über, die Palästinenser in verschiedene Gruppen zu spalten, von denen die meisten aus dem Friedensprozess ausgeschlossen sein sollten. Dadurch, dass sie die PLO, die alle Palästinenser in der Diaspora, in Israel und in den besetzten Gebieten, einschließlich Ostjerusalems, vertrat, in die Palestinian Authority (PA) verwandelten, die nur die Palästinenser des Westjordanlandes und des Gazastreifens zu vertreten hoffen konnte, sprich ein Drittel des palästinensischen Volkes, fädelten die Osloer Vereinbarungen eine bedeutende demographische Reduktion des palästinensischen Volkes ein, indem sie es durch drei teilten, während sie eine bedeutende demographische Ausweitung der jüdischen Bevölkerung Israels herbeiführten, deren Zahl mit drei multipliziert wurde.

Das Heimtückische an diesem Prozess ist, die PA, die sich dieses Wandels bewusst ist, spricht weiterhin vom "palästinensischen Volk", das durch die Osloer Vereinbarungen auf die angeblich von jener PA vertretenen Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen reduziert worden ist. Palästinenser in der Diaspora werden entsprechend des US-amerikanischen und israelischen Sprachgebrauchs einfach als "Flüchtlinge" bezeichnet, und israelische Palästinenser gemäß israelischen Diktats als "israelische Araber". Aufgrund dessen ist nicht nur der Einflussbereich der palästinensischen Führung und deren Status als Vertreter des gesamten palästinensischen Volkes substantiell reduziert worden, sondern durch die Anwendung des Begriffs "palästinensisches Volk" auf lediglich ein Drittel der Palästinenser ist das palästinensische Volk an sich demographisch verkleinert worden.

In der Zwischenzeit hat der Osloer Prozess, der u. a. Phantomvereinbarungen wie das Genfer Abkommen (Genfer Initiative) hervorgebracht hat, den israelischen Anspruch vorangetrieben, dass die Palästinenser nicht nur das Recht Israels anerkennen müssen, in Frieden und Sicherheit zu existieren, sondern auch dessen Existenzrecht als jüdischer Staat, sprich als ein Staat, der von Gesetz wegen rassistisch ist und mit dem Segen des Gesetzes und der Regierung nicht-jüdische Bürger diskriminiert, und der nicht nur seine jüdischen Bürger umfasst, sondern alle Juden weltweit. Hierbei handelt es sich um etwas, das von Clinton, Bush und in jüngerer Zeit von der Obama-Regierung vorangetrieben worden ist. Tatsächlich lässt Obama keine Gelegenheit aus, zu wiederholen, dass sich seine Regierung der Sache verpflichtet hat, die Palästinenser dazu zu zwingen, das Recht Israels, ein "jüdischer Staat" zu sein, anzuerkennen.


Demographische Reduktion territoriale Verkleinerung

Während Israel die Legitimität fehlt und von keinem internationalen Organ als "Vertreter" aller Juden weltweit anerkannt wird, sondern vielmehr als der Staat der Israelis, die dessen Bürger sind, werden die PLO und die PA dazu aufgerufen, Israels Zuständigkeit für das Weltjudentum anzuerkennen. Als solcher ist der international anerkannte Status der PLO als Vertreter des palästinensischen Volkes seit Oslo auf ein Drittel reduziert worden, während der Vertreterstatus der israelischen Regierung um das Dreifache ausgeweitet wurde, wie von inoffiziellen Vertretern der PA in Genf anerkannt worden ist. Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu besteht darauf, dass es in dem sogenannten Friedensprozess keinen Fortschritt geben wird, solange die Palästinenser nicht offiziell Israels Recht, ein rassistischer jüdischer Staat zu sein, anerkennen. Präsident Obama hat auch an alle Araber appelliert, diese Anerkennung offiziell zu ratifizieren. Dies erfolgte trotz der Tatsache, dass die Mehrheit der außerhalb Israels lebenden Juden keine israelischen Staatsbürger sind und keine der sie vertretenden Organe jemals dem israelischen Staat die Vertretungsvollmacht übertragen haben.

Demographische Teilung und Reduktion des palästinensischen Volkes ging Hand in Hand mit der territorialen Verkleinerung Palästinas, oder der Teile, über die Israel zu verhandeln gewillt ist, nachdem es seine koloniale Besatzungsarmee wieder rundherum stationiert hat. Abgesehen von der Abtrennung des illegal ausgeweiteten, besetzten und kolonisierten Ostjerusalems (das jetzt um ein Vielfaches seiner ursprünglichen Größe auf Kosten des Westjordanlandes ausgeweitet wurde) von den Territorien, über die Israel bezüglich der erneuten Stationierungen verhandeln würde, ist das Westjordanland selbst in Kantone unterteilt worden, von denen jüdische Kolonialsiedlungen und sie verbindende reinjüdische Autobahnen sowie zu Naturschutzgebieten erklärte Landstriche, Militärbasen und abgeschirmte Gebiete ausgenommen sind. Aber das ist nicht alles.

Israel hat auch die Apartheid-Mauer innerhalb palästinensischen Gebietes gebaut, wodurch weitere 10 Prozent des Westjordanlandes vom Tisch der Verhandlungen und der Truppenneustationierungsplanung gewischt sind. Eine weitere wichtige Maßnahme der israelischen und palästinensischen Architekten des Oslo-Abkommens zu seinem strukturellen Erhalt war die Einrichtung von Strukturen, Institutionen und direkt damit verbundenen Klassen, die das Scheitern des Oslo-Abkommens an sich überleben können, und zwar unter Aufrechterhaltung des durch dieses Abkommen hervorgebrachten "Prozesses". Diese Gewährleistung wurde im Gesetz verankert und durch internationale Mittel im Namen der Fortführung des "Osloer Prozesses" aufrechterhalten, solange letzterer weiterhin israelischen und US-amerikanischen Interessen diente sowie den Interessen der korrupten palästinensischen Elite, die sich ihm gefügt hatte.


Die fünf Hauptklassen

Um den Erhalt des "Prozesses" zu gewährleisten, haben die Osloer Architekten fünf Hauptklassen kreiert:

1. eine politische Klasse, die sich unterteilen lässt in jene, die gewählt wurden, um dem Osloer Prozess zu dienen - ob in die Legislative oder in die Exekutive (da handelt es sich im Wesentlichen um das Amt des Präsidenten der PA) -, und jene, die ernannt wurden, um den Gewählten zu dienen, ob in den Ministerien oder im Büro des Präsidenten;

2. eine aus Überwachern bestehende Klasse, die sich auf Zehntausende von Menschen beläuft, deren Funktion darin besteht, den Osloer Prozess gegen alle Palästinenser zu verteidigen, die versuchen ihn zu untergraben. Diese ist unterteilt in verschiedene Sicherheits- und Nachrichtenorgane, die miteinander konkurrieren und allesamt bestrebt sind zu beweisen, dass sie Meister darin sind, jegliche Bedrohung für den Osloer Prozess zu neutralisieren. Unter der Führung Arafats leiteten Mitglieder dieser Klasse ihre Dienste damit ein, dass sie im Jahr 1994 in Gaza 14 Palästinenser, die sie für Gegner des "Prozesses" erachteten, erschossen - eine Leistung, die ihnen erstmals Achtung bei den Amerikanern und Israelis einbrachte, die darauf bestanden, dass die Klasse der Überwacher mehr Unterdrückung anwenden sollte, um höchstmöglich effektiv zu sein. Das jüngste Beispiel für diese Funktion ist ihr Auftritt im letzten Sommer in Jenin, als sie Hamas-Mitglieder und parteiunabhängige Umstehende töteten, um Präsident Obama zu beeindrucken, der die palästinensische Führung gebeten hatte, den die Sicherheit betreffenden Teil der Vereinbarung einzuhalten.

3. eine aus Bürokraten bestehende Klasse, die der politischen und der überwachenden Klasse angegliedert ist und ein Verwaltungsorgan bildet, bestehend aus Zehntausenden von Mitarbeitern, welche die Befehle jener ausführen, die gewählt und ernannt wurden, dem "Prozess" zu dienen;

4. eine NGO-Klasse (die Klasse der Nichtregierungsorganisationen) - eine weitere bürokratische und technische Klasse, deren Finanzen voll und ganz davon abhängen, dass sie dem Osloer Prozess dienen und mittels Planung und Dienstleistungen dessen Erfolg gewährleisten;

5. eine aus Geschäftsleuten bestehende Klasse, die sich aus im Ausland und vor Ort lebenden palästinensischen Geschäftsmännern zusammensetzt - die vor allem Mitglieder der politischen, der überwachenden und der bürokratischen Klasse mit einschließt -, deren Einkommen aus finanziellen Investitionen in den Osloer Prozess und aus profitablen Geschäften herrührt, die von der PA ermöglicht werden können. Während die NGOs als Nutznießer strukturell mit dem Osloer Prozess in Verbindung stehender finanzieller Freigiebigkeit aus dem Ausland - ob von Regierungs- oder Nichtregierungsseite - zumeist kein Geld von der PA erhalten, so bezieht sowohl die politische als auch die überwachende und die bürokratische Klasse ihr gesamtes legitimes und illegitimes Einkommen direkt von der PA.


Spielverderber Hamas

Durch die Verknüpfung des Lebensunterhalts Hunderttausender Palästinenser mit dem Osloer Prozess hatten dessen Architekten ihnen einen wesentlichen Anteil an der Überlebensfähigkeit desselben übertragen, selbst und vor allem für den Fall, dass dieser keine politischen Ergebnisse hervorbringen sollte. Für die palästinensische Elite, die sich der PA annahm, bestand das Hauptziel von vornherein darin, die Fortführung des Osloer Prozesses zu gewährleisten und sicherzustellen, dass die Elite weiterhin die Kontrolle über alle Institutionen behält, die den Erhalt des "Prozesses" garantieren. Nicht erwartet hatte die Elite, dass sie einen Teil der Kontrolle an einen öffentlichen Gegner des Osloer Prozesses, die Hamas, verlieren könnte, die erwartungsgemäß die von Wahlkreisschiebungen geprägten und von der Fatah kontrollierten Wahlen von 1994 boykottierte. Die Wahlen von 2006, bei denen die Fatah siegesgewiss angetreten war, kamen einem Erdbeben gleich, das all diese strukturellen Garantien zu zerstören drohte, und mit ihnen den "Prozess", der durch erstere geschützt werden sollte. Das erklärt die Panik der Amerikaner, die mithilfe Israels und des durch Muhammad Dahlan angeführten Sicherheitsdienstes der PA einen Coup einfädelten, um die Hamas-Regierung zu stürzen; dazu gehörte das Kidnappen von Parlamentsmitgliedern, Regierungsministern und Politikern, die in israelischen Gefängnissen als Geisel gehalten wurden, und schließlich die Inszenierung einer gewalttätigen Übernahme Gazas, die fehlschlug. Alle Versuche seit dem gescheiterten Coup der Amerikaner in Gaza konzentrieren sich darauf, den Friedensprozess durch die Beibehaltung seiner Strukturen unter der Kontrolle der PA und fernab der demokratisch gewählten Hamas zu perpetuieren.

Vorangetrieben durch die militärischen Bemühungen des Generalleutnants Keith Dayton, bestanden Israel und die Amerikaner darauf, dass die Zerstörung der palästinensischen Demokratie tatsächlich ein notwendigerweise zu zahlender Preis gewesen sei. Ermöglicht wurde diese Situation durch die Finanzierungsstrategie der USA, Israels und der arabischen Ölstaaten gegenüber dem palästinensischen Kampf.

Die Geschichte der palästinensischen Nationalbewegung kann nur mit Bezugnahme darauf erzählt werden, wie verschiedene arabische und nichtarabische Regierungen versucht haben, diese zu kontrollieren. Während die PLO vom Regime Gamal Abdel-Nassers gegründet wurde und vornehmlich unter dessen Kontrolle stand, wurde dieses Arrangement durch die Niederlage von 1967 geschwächt, was im Jahr 1969 zur Übernahme der Organisation durch revolutionäre Guerillas führte. Mit der Fatah und den linkspolitischen palästinensischen Guerillas am Ruder stellte das revolutionäre Potenzial der PLO eine derartige Bedrohung dar, dass dadurch im Jahr 1970 ein totaler Krieg in Jordanien beschleunigt wurde, eine Situation, die mächtige und repressive arabische Regime nicht wiederholt sehen wollten. Dies ist der Kontext, in dem arabisches Ölgeld (aus Saudi-Arabien, Kuwait, Libyen, den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Irak) in die Taschen der PLO zu fließen begann, hauptsächlich um sicherzustellen, dass sie nicht zu einem revolutionären Wandel in arabischen Staaten ermutigen und ihre Waffen einzig und allein gegen Israel richten würden, und zwar unter der Voraussetzung, dass dadurch die Interessen arabischer Regime unbeschadet blieben. Der libanesische Bürgerkrieg und die Rolle der PLO in diesem Krieg in der zweiten Hälfte der 1970er war weiterhin ein Problem, doch was die arabischen Regime anbetraf, so ließ sich dieses in Grenzen halten.

Mit Beginn der 1980er und nach der militärischen Niederlage der PLO in Beirut im Jahr 1982 wurde die arabische Unterstützung von der zusätzlichen Bedingung abhängig gemacht, dass die Organisation ihre Waffen auch nicht mehr gegen Israel richten würde. Die verschiedenen Abkommensversuche zwischen der PLO und König Hussein Mitte der 1980er waren Teil dieses Plans. Mit der fortwährenden Weigerung Israels und der USA, mit der PLO zu verhandeln, egal, wie sehr deren Politik und Ideologie sich gewandelt hatte, blieb die Situation unverändert, bis der erste palästinensische Aufstand im Jahr 1987 der PLO Gelegenheit gab, über eine Niederlegung der Waffen zu verhandeln. Die formelle Bekräftigung dieses Wandels erfolgte 1988 in Algier und später auf der Friedenskonferenz in Madrid im Jahr 1991.


General Keith Dayton übernimmt die Kontrolle

Da die Ölsubventionierung nach dem Golfkrieg von 1990/91 zum Erliegen kam, brauchte die PLO neue Geldgeber. Hier kamen die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten ins Spiel, deren Bedingungen nicht nur das Oslo-Abkommen umfassten, sondern auch, dass die neugegründete und der Kontrolle der Fatah unterstehende PA zwar sehr wohl bewaffnet sein sollte, aber dass deren Waffen auf ein neues Ziel zu richten waren: auf das palästinensische Volk selbst. Die PA fügte sich und erhielt weiterhin ihre Unterstützung - bis zur zweiten Intifada, als manche ihrer Sicherheitstruppen entgegen der ursprünglichen Bestimmung sich ein Feuergefecht mit den Israelis lieferten, nachdem letztere Palästinenser angegriffen hatten. Die finanzielle Unterstützung wurde vorübergehend eingestellt, Arafat unter Hausarrest gestellt, und die Israelis marschierten erneut ein. Die regelmäßige Unterstützung wurde nach Arafats Tod fortgesetzt, wobei die "Ernsthaftigkeit" von Mahmoud Abbas, palästinensische Waffen auf Palästinenser zu richten, zur Bedingung gemacht wurde, die von ihm und den brutalen Sicherheitsapparaten der PA erfüllt wurde. Jedoch waren sie nicht so effektiv, wie die USA und Israel es sich gewünscht hatten, weswegen US-General Keith Dayton die vollständige Kontrolle über die militärische Situation vor Ort übernahm, um den Palästinensern dabei zu "helfen", ihren Friedensbeitrag in diesem Handel mit Israel zu leisten.

Man beachte, dass die israelischen Regierungschefs seit 16 Jahren gemäß der Formel "Land gegen Frieden" beständig gesagt haben, dass sie den Frieden mit den Palästinensern wollen und anstreben, aber nicht die Gründung eines palästinensischen Staates, und auch nicht, dass sie beabsichtigen, den Palästinensern das Recht auf Selbstbestimmung zu gewähren. Tatsächlich hat Israel nicht nur die Zahl der Siedlungen um ein Vielfaches erhöht und die jüdische koloniale Siedlerbevölkerung im Westjordanland und in Ostjerusalem mehr als verdoppelt, wobei sie das Land, über das erklärtermaßen zu verhandeln war, immer mehr beschnitten, sondern sie taten dies, während sie der palästinensischen Seite beständig weitere Zugeständnisse zur Gewährleistung der israelischen "Sicherheit" abverlangten, mit dem Ziel, dass die Palästinenser Israel jenen "Frieden" gewähren, auf dem die Formel "Land gegen Frieden" basiert. Die Amerikaner und die Europäer haben auch darauf bestanden, dass die Palästinenser dem Staat Israel Frieden gewähren müssen, bevor dieser entscheiden kann, welche Gebiete er ihnen zurückgeben wird, mit allen Regelungen, die er für die Sicherung dieses "Friedens" für nötig befinden mag. Demzufolge hat die Formel "Land gegen Frieden" - trotz oder wegen ihrer definitionsgemäßen Voreingenommenheit gegen das palästinensische Volk - zu einem fortwährenden Hinausschieben der Rückgabe von Land geführt, gepaart mit der beharrlichen Forderung nach Friedensvorauszahlungen, die von den Palästinensern zu leisten sind. Während die Truppenneustationierung um den Gazastreifen herum und die Belagerung seiner Bevölkerung, deren Aushungerung und Bombardierung als Kompromiss Israels durch die Rückgabe von Land vermarktet wird, sieht die Wirklichkeit weiterhin so aus, dass der Gazastreifen von einem durch die Israelis bewachten Gefängnis in ein von außerhalb durch die Israelis bewachtes und umzingeltes Gefangenenlager verwandelt worden ist, das im Bedarfsfall infiltriert wird, so wie im vergangenen Winter.


Oslo - bisher eine Erfolgsstory

Letzten Endes handelt es sich bei dem, was mit dem Oslo-Abkommen und den dadurch hervorgebrachten Prozess erreicht wurde, um die Verhinderung jeglicher realen oder imaginären zukünftigen Unabhängigkeit der palästinensischen Führung oder gar der nationalen Unabhängigkeit eines Drittels der Palästinenser, also jener, die im Westjordanland und im Gazastreifen leben, die ohnehin die einzigen Palästinenser sind, denen das Oslo-Abkommen angeblich zur Unabhängigkeit verhelfen will. Dadurch, dass es die palästinensische Führung von der US-amerikanischen und israelischen Unterstützung abhängig gemacht hat, und durch die Erschaffung administrativer, juristischer und finanzieller Strukturen, die diese Abhängigkeit sicherstellen, wurde das Oslo-Abkommen zu dem, was es von Anfang an sein sollte: ein Mechanismus zur Beendigung des palästinensischen Strebens nach einem Ende der Kolonisierung und Besetzung durch Israel und eine Legitimierung von Israels rassistischer Ausrichtung durch genau jenes Volk, gegen das Israel seine koloniale und rassistische Herrschaft ausübt. Jeder, der diese Knebelung hinterfragt, darf mit der ideologischen Waffe des Pragmatismus bekämpft werden.

Gegen Oslo zu opponieren macht einen zum utopistischen Extremisten und Verweigerer, während die Beteiligung an dieser Struktur einen zu einer pragmatischen, moderaten Person macht, die auf den Frieden hinarbeitet. Die effektivste ideologische Waffe, die Oslo seit 1993 einsetzt, besteht genau darin, dass jeder, der gegen dessen Preisgabe der palästinensischen Nationalrechte opponiert, ein Befürworter des Krieges und ein Gegner des Friedens ist. Kurz gefasst besteht das Ziel des Osloer Prozesses, das mit viel Erfolg erreicht wurde, nicht in der Unabhängigkeit der Palästinenser von Israels illegaler Besatzung, sondern darin, der palästinensischen Unabhängigkeit als Zukunftsziel und als gegenwärtige Realität ein Ende zu setzen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist Oslo nach wie vor ein durchschlagender Erfolg.


Joseph Massad lehrt Moderne Arabische Politik und Geistesgeschichte an der Columbia University. Erstveröffentlichung in The Electronic Intifada, 27. Januar 2010. Wir danken Joseph Massad für die Überlassung des Artikels. Aus dem Englischen von Kathrin Möller.


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Inhaltsverzeichnis - inamo Nr. 62, Sommer 2010

Gastkommentar
- Ein halbgarer Konsens: Afghanistans Friedensjirga, von Thomas Ruttig

Jemen
Am Anfang war der Stamm, von Elham Manea
Wer ist wirklich Zaidit? Identifikation und Spaltung anhand der politischen und religiösen Geschichte, von Damaris Pottek
Auszug der Gläubigen - Der Huthi-Konflikt im Norden des Jemen, von Marieke Brandt
Stamm und Staat im Jemen: Rolle und Wandel, von Sami Ghalib
Der jemenitische Bürgerkrieg 1994, von Horst Kopp
Jemen versus Südarabien?
Zur Entwicklung der Bewegung des Südens, von Lutz Rogler
Geschlechter und Generationen - eine Debatte, von Elham Manea/Anna Würth
Wasser im Jemen: Konflikte und Kooperationen, von Gerhard Lichtenthaeler
Al-Qaida, Sezessionsbewegung, Huthis: eine "Achse des Bösen"?, von Mareike Transfeld
Spezialeinsätze im Jemen, von Sheila Carapico

Palästina/Israel
Die Preisgabe palästinensischer Rechte als Sprache des "Friedens", von Joseph Massad
Sand im Getriebe des jüdischen "Volkes",
Einige politische Überlegungen zur Sand-Debatte, von Shraga Elam
Israels Alternative zur Zwei-Staaten-Lösung, von Alexander Rüsche

Antisemitismus-Debatte
- War das die Debatte zur "Holocaust-Religion"?, von Shraga Elam

Libanon
- Hizbullah-Israel: Gleichgewicht des Schreckens?, von Manuel Samir Sakmani

Sudan
- Der Sudan nach den Wahlen, von Roman Deckert

Philosophie
- Zum Tod von Muhammad Abid al-Jabiri, von Lutz Rogler

Wirtschaftskommentar
- Desertec - Strom aus der Wüste, von Edgar Göll

Zeitensprung
- 24. April 1915 Deportation der armenischen Intellektuellen aus Istanbul, von Corry Guttstadt

Jemen Literatur
- Wajdi al-Ahdal: Schriftsteller im Fadenkreuz der Justiz
- Auszüge aus: Die Menschwerdung der Würmer, von Wajdi al-Ahdal

Ex mediis

//Ticker//


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Quelle:
INAMO Nr. 62, Jahrgang 16, Sommer 2010, Seite 43 - 47
Berichte & Analysen zu Politik und Gesellschaft des Nahen und
Mittleren Ostens
Herausgeber: Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2010