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NAHOST/707: Ägypten - Beduinen auf Sinai-Halbinsel im Visier der Polizei (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. Oktober 2010

Ägypten:
Beduinen auf Sinai-Halbinsel im Visier der Polizei - Historisch vernachlässigtes Gebiet

Von Adam Morrow and Khaled Moussa al-Omrani


Kairo, 19. Oktober (IPS) - Seit vergangenem Juni ist es auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel zu einer ungewöhnlichen Häufung von Krisensituationen gekommen. Das überwiegend von Beduinen besiedelte Gebiet grenzt sowohl an Israel als auch an den Gaza-Streifen.

Die Beduinen leben außer auf der Sinai-Halbinsel in der Sahara und in den Wüsten der arabischen Halbinsel. Auf dem zwischen Mittelmeer und Rotem Meer gelegenen Sinai wird ihre Zahl auf etwa 380.000 geschätzt, die sich auf 26 verschiedene Volksstämme verteilen.

Amr Hashem Rabie, Politikanalyst des halboffiziellen 'Al-Ahram Centre for Political and Strategic Studies' erklärt: "Die Sinai-Halbinsel ist aufgrund ihrer Nähe zu den besetzten Palästinensergebieten eine politisch hochsensible Region. Verschärfend kommt hinzu, dass zwischen den einheimischen Stämmen und der Polizei seit langem ein großes Misstrauen herrscht."

Ende September war es zu Auseinandersetzungen zwischen Beduinen und ägyptischen Sicherheitskräften gekommen, nachdem der Staat versucht hatte, Beduinen aus dem zentralen Sinai zu vertreiben. Wenige Tage zuvor waren sieben Beduinen unter dem Vorwurf, im Mai Polizeibeamte attackiert zu haben, zu insgesamt 35 Jahren Haft verurteilt worden. Außerdem wurde den Beduinen zum Vorwurf gemacht, sie hätten den Handelsstrom zwischen Ägypten und Israel unterbrochen, wie es in der staatlichen ägyptischen Presse hieß.


Sensible Grenze zu Israel

Anführer der Beduinen wiesen die Anschuldigungen jedoch zurück. Ein Sprecher bezeichnete die Vorwürfe als frei erfunden und politisch motiviert. Nur kurz nach den Gerichtsurteilen kam es am ägyptisch-israelischen Grenzübergang und Handelspunkt zu einem Zwischenfall, als unbekannte Bewaffnete das Feuer eröffneten und den Grenzverkehr zeitweilig zum Erliegen brachten. Die Polizei fuhr umgehend mit gepanzerten Fahrzeugen auf und bildete einen Ring um mehrere Orte, die mit dem Beduinenstamm der Tarabin in Verbindung gebracht werden. Außerdem wurde eine Ausgangssperre über das Gebiet verhängt.

Es war keineswegs das erste Mal in diesem Jahr, dass die Sinai-Halbinsel von bewaffneten Zwischenfällen erschüttert wurde. Im Juni war die Polizei in den zentralen Sinai vorgerückt, um polizeilich gesuchte Angehörige der Beduinen zu ergreifen. Im Gebiet von Wadi Aamer sollen Augenzeugen zufolge Sicherheitskräfte aus gepanzerten Fahrzeugen wahllos auf Behausungen von Beduinen geschossen haben. Beduinen wiederum übten im Juli Vergeltung, als sie einen Lkw-Konvoy unter Beschuss nahmen, der in den Gaza-Streifen unterwegs war. Außerdem gab es den Versuch, eine wichtige Gasleitung unweit der Grenze in die Luft zu sprengen.


Bombenanschläge in Urlaubsorten

Das, zurückhaltend formuliert, traditionell angespannte Verhältnis der ägyptischen Regierung zu den Beduinenstämmen der Sinai-Halbinsel hat sich im Verlauf der vergangenen sechs Jahre deutlich verschlechtert. Es begann im Jahr 2004 mit einem dreifachen Bombenanschlag in dem am Roten Meer gelegenen Urlaubsort Taba. 34 Menschen kamen hierbei ums Leben. Der ägyptische Staat reagierte umgehend mit einer Massenverhaftung von Beduinen, die in dem Gebiet leben.

Ein weiteres Bombenattentat forderte 2005 in dem beliebten Urlaubsort Scharm El-Scheich, der an der Südspitze der Sinai-Halbinsel liegt, 88 Todesopfer. 2006 waren nach einer Bombenserie Dutzende von Toten zu beklagen. Erneut hatten sich die Attentäter mit Dahab einen Urlaubsort als Ziel ausgesucht. Die Folge waren wiederum Massenverhaftungen, obwohl es keinerlei Beweise gab, welche eine Beteiligung von Beduinen an den Verbrechen belegt hätten.

Khalil Gabr, Koordinator der Bürgerrechtsorganisation 'Popular Committee for Citizens' Rights for Central and North Sinai' führt die aktuellen Unruhen in Teilen der beduinischen Bevölkerung direkt auf das harte und unverhältnismäßige Durchgreifen der ägyptischen Polizei in Reaktion auf die Attentate zurück. "Seitdem wird die beduinische Bevölkerung von der Polizei mit Verachtung und Gewalt behandelt." Der Staat trage die vollständige Verantwortung für das Chaos, in dem sich die Sinai-Halbinsel derzeit befinde.

Nach Angaben beduinischer Sprecher beträgt die Zahl der Häftlinge noch rund 4.000. Aktivisten fordern eine ökonomische Entwicklungsperspektive und mehr Arbeitsplätze auf der Sinai-Halbinsel, die von der ägyptischen Zentralregierung traditionell vernachlässigt wurde.

Ein zwischenzeitlich zwischen Staat und Beduinenvertretern ausgehandelter Waffenstillstand hielt gerade einmal zwei Wochen. Die Polizei hat sich inzwischen allerdings vollständig aus dem zentralen Sinai zurückgezogen und die Regierung entließ 100 gefangene Beduinen aus der Haft. Dennoch bleibt die Lage angespannt. (Ende/IPS/bs/2010)


Links:
http://acpss.ahram.org.eg/eng/ahram/2004/7/5/abot0.htm
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=53155

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Oktober 2010