Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

NAHOST/785: Ägypten - Enttäuschung über Verfassungsreformvorschläge, die Armee soll's richten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. März 2011

Ägypten: Enttäuschung über Verfassungsreformvorschläge - Armee soll's richten

Von Bernhard Schell


Kairo, 8. März (IPS/IDN*) - Das Kairo Institut für Menschenrechtsstudien (CIHRS) hat die Verfassungsreformvorschläge der ägyptischen Regierung als enttäuschend bezeichnet und ihre Revision durch den Obersten Militärrat gefordert. Ansonsten bestehe Gefahr, dass die Ziele der Revolution vom 25. Januar in Vergessenheit gerieten, warnt die renommierte Organisation in einer kritischen Stellungnahme.

Die Reformvorschläge, die am 19. März den Bürgern zur Abstimmung vorliegen sollen, sind nach Ansicht des CIHRS lückenhaft und eine Enttäuschung der Hoffnungen der Ägypter auf einen demokratischen Übergang und einschneidende Korrekturen des Wahlsystems vor den nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen.

Die Änderungsvorschläge sehen unter anderem eine Verringerung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei Mal vier Jahre und die Durchführung von Wahlen unter richterlicher Aufsicht vor. Sie sind zwar im Sinne der Pro-Demokratie-Bewegung, doch bei weitem nicht ausreichend, wie die Nichtregierungsorganisation (NGO) moniert. So bestehe die Gefahr, dass ausgerechnet die Kräfte, die den politischen Wandel herbeigeführt haben, von einer Mitgestaltung der Zukunft des Landes ausgeschlossen würden.

Anlass zur Sorge gibt, dass die Wahlen unter dem Einfluss von Gesetzen stattzufinden drohen, die die Versammlungsfreiheit und das Recht einschränken, Parteien, NGOs und Gewerkschaften zu gründen. Auf diese Weise würden die Kräfte, die den Volksaufstand und den Rücktritt von (Ex-Präsident Husni) Mubarak herbeigeführt haben, ihrer Legitimität beraubt.

Laut CIHRS gibt es keinen Zweifel daran, dass gemäß der vorgeschlagenen Änderung von Verfassungsartikel 189 das von den traditionellen Kräften dominierte Zwei-Kammer-Parlament mit der Bildung der verfassungsgebenden Versammlung zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung beauftragt wird. Somit stehe zu befürchten, dass die gleichen Machtverhältnisse und Werte Eingang in die neue Verfassung fänden, gegen die sich die Ägypter erhoben hätten.

Ausgehend davon, dass Ägyptens Oberster Militärrat einer Verlängerung der Übergangszeit nicht zustimmen wird, hat das CIHRS mehrere Kompromissvorschläge unterbreitet, die eine angemessene Beteiligung der Pro-Demokratie-Bewegung am politischen Reformprozess des Landes gewährleisten sollen.


Forderung nach Verschiebung der Parlamentswahlen

So empfiehlt die Organisation die Durchführung von Präsidentschafts-, aber eine Verschiebung der Parlamentswahlen. Es mache keinen Sinn, ein Parlament zu wählen, das ohnehin innerhalb eines Jahres nach Abschluss der Verfassungsreform wieder aufgelöst werden müsse. Für die Verschiebung spreche auch, dass die Neuordnung der Polizei viel Zeit beanspruchen werde, was wiederum einer Durchführung von Wahlen im Wege stehe.

Dem CIHRS schwebt ferner vor, dass der Oberste Militärrat die zweite Übergangszeit mit Hilfe einer vorläufigen Verfassungserklärung regelt, die die Machtbefugnisse des Präsidenten einschränkt. Alle weiteren Änderungen, die Eingang in die Verfassungserklärung finden sollen, müssten durch ein Referendum bestätigt werden.

Wie der CIHRS betont, soll eine solche Verfassungserklärung nach Beratungen mit dem Obersten Militärrat, dem gewählten Präsidenten, dem Staatsrat, dem Kassationsgericht, dem Obersten Verfassungsgericht, der Jugendvereinigung der Ägyptischen Revolution und Menschenrechtsgruppen herausgegeben werden.

Das Kairo-Institut für Menschenrechte schlägt ferner vor, dass der Interimspräsident die verfassungsgebende Versammlung mit der Ausarbeitung der neuen Verfassung beauftragt, die wiederum Rücksprache mit allen relevanten Kräften und Institutionen im Lande hält. Über die neue Verfassung sollen dann die Bürger in einem Referendum entscheiden. Wenn die Verfassung steht und sämtliche Wahlgesetze reformiert sind, sollen alle weiteren Wahlen durchgeführt werden. (Ende/IPS/kb/2011)

* Der von 'Global Cooperation Council' und 'Globalom Media' erstellte Informations- und Analysendienst IDN-InDepthNews ist Partner von IPS-Deutschland.


Links:
http://www.cihrs.org/english/
http://www.indepthnews.net/news/news.php?key1=2011-03-07%2021:49:50&key2=1

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 8. März 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2011