Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

NAHOST/854: Libanon - Syrische Oppositionelle "verschwinden", Schützenhilfe für Nachbarregime (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. August 2011

Libanon: Syrische Oppositionelle 'verschwinden' - Schützenhilfe für Nachbarregime

Von Mona Alami


Beirut, 12. August (IPS) - Im Libanon verschwinden in jüngster Zeit unter mysteriösen Umständen Oppositionelle aus dem Nachbarland Syrien. Politische Experten vermuten hinter den mutmaßlichen Entführungen Syriens Armee und Geheimdienst, die schon während der Besatzung des Libanons von 1976 bis 2005 starke Präsenz zeigten.

Am Nachmittag des 24. Mai verließ der 86-jährige Shibli al-Ayssami, ein ehemaliger syrischer Politiker, das Haus seiner Tochter in einem Vorort der libanesischen Gebirgsstadt Aley. Er war wie jeden Tag seit seiner Ankunft aus Washington, seinem derzeitigen Wohnort, zu einem Spaziergang aufgebrochen. "Seither haben wir nichts mehr von ihm gehört", bestätigte seine Tochter Rajaa Charafedine gegenüber IPS.

In der ersten Augustwoche jedoch wurden Details über das Verschwinden Ayssamis bekannt. Einem Informanten aus dem Umfeld des Ermittlungsteams zufolge sollen drei dunkelfarbene Fahrzeuge mit Vierradantrieb und getönten Scheiben die Zufahrtsstraße zu Charafedines Haus blockiert haben. Dann seien Männer ausgestiegen, die den Syrer in eines der Autos gestoßen und über die Grenze nach Damaskus verbracht hätten.

Ayssami ist einer der Gründer der syrischen Baath-Partei. Er diente seinem Land in den 1960er Jahren als Bildungs-, Kultur- und Landwirtschaftsminister und 1966 als Vizepräsident. Nach dem Sturz der Regierung durch Hafiz al-Assad, dem Vater des derzeitigen Präsidenten Baschar al-Assad, wurde er festgenommen und zum Tode verurteilt, konnte aber in den Libanon entkommen. Zwei Jahre später gründeten er und andere die Baath-Partei im Irak. Aus dem politischen Leben zog er sich 1992 zurück.


Ehemaliger Vizepräsident verschleppt

Walid Saffour vom Syrischen Menschenrechtskomitee zufolge ist seine Organisation im Besitz von Informationen, wonach Ayssami von einer Patrouille unter Leitung eines libanesischen Sicherheitsbeamten entführt und in die syrische Hauptstadt abtransportiert wurde. Der Offizier sei Anhänger einer größeren libanesischen Partei, die der syrischen Regierung nahe stehe.

Ayssamis Entführung ist nicht die erste seit Beginn der Pro-Demokratie-Proteste und der Niederschlagung der Unruhen durch die syrischen Sicherheitskräfte. Im Februar, als die regimekritischen Aktivitäten begannen, nahmen Mitglieder des libanesischen Heeresgeheimdienstes sechs Mitglieder der syrischen Jasem-Familie fest. Die Jasems hatten Flyer verteilt, die für einen politischen Neuanfang warben. Drei Brüder verschwanden kurz nach ihrer Freilassung am frühen Morgen des 25. Februars.

Wie Nadim Houry vom Beirut-Büro der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW) berichtete, standen in der Nacht, in der die Jasems entlassen wurden, drei Zivilfahrzeuge vor dem Polizeipräsidium. Einer der Fahrer konnte als Mitglied der libanesischen Sicherheitskräfte identifiziert werden. Er war nach Auskunft eines hochrangigen Mitarbeiters der libanesischen Sicherheitskräfte für die Sicherheit der syrischen Botschaft zuständig gewesen.

Die pan-arabische Tageszeitung 'al-Hayat' hat den Fahrer inzwischen als Salah al-Hajj ausgewiesen. "Er konnte aufgrund der schwierigen politischen Situation nicht festgenommen werden", meinte dazu ein libanesischer Sicherheitsbeauftragter. Doch sei er seines Amtes enthoben worden. Im März bestritt die syrische Botschaft in einem Statement, an dem Verschwinden der Jasems beteiligt gewesen zu sein.


Traditionelle Kooperation

Der Jasem-Fall erinnerte an etliche Entführungen, wie sie sich auf dem Höhepunkt der syrischen Besatzungszeit in den 1990er Jahren und auch noch nach dem Abzug des syrischen Militärs aus dem Libanon 2005 zugetragen hatten. So verschwand Nawar Aboud, ein Buchhalter der Vereinigten Nationalen Allianz (UNA) nach seiner Freilassung aus einer libanesischen Militärbasis, wo er zusammen mit zwei weiteren UNA-Mitgliedern einem Verhör unterzogen worden war.

Libanesische Sicherheitskräfte seien berüchtigt dafür, Menschen festzunehmen und sie nach Syrien zu verbringen. Darüber werde jedoch nur äußerst ungern gesprochen, meint Houry von HRW. Sollten Mitglieder der Sicherheitskräfte an der Entführung syrischer Dissidenten beteiligt sein, müssten sie gerichtlich belangt werden.

Houry zufolge sollte die libanesische Justiz eine unabhängige und transparente Untersuchung durchführen, damit die einzelnen Fälle aufgeklärt und die Verantwortlichen bestraft werden. "Nur vertrauenswürdige und durchsichtige Ermittlungen werden die Sorge zerstreuen, dass die libanesischen Sicherheitskräfte möglicherweise außerhalb des Gesetzes agieren und syrische Oppositionsmitglieder im Auftrag der syrischen Regierung entführen."(Ende/IPS/kb/2011)


Link:
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=56819

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 12. August 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2011