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NAHOST/895: Iran - Gefahr eines Angriffs bannen, ehemaliger IAEA-Chef Blix dringt auf Gespräche (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Februar 2012

Iran: Gefahr eines Angriffs bannen - Ehemaliger IAEA-Chef Blix dringt auf Gespräche

von Jasmin Ramsey

Hans Blix - Bild: © Dean Calma/IAEA

Hans Blix
Bild: © Dean Calma/IAEA

Washington, 27. Februar (IPS) - Der ehemalige Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Hans Blix, hat Besonnenheit im Umgang mit Teheran angemahnt. Alle beteiligten Parteien müssten ihre Anstrengungen intensivieren, um die zunehmenden Spannungen zwischen Teheran und Israel im Zusammenhang mit Irans Nuklearprogramm abzubauen und den Ausbruch eines drohenden Krieges zu verhindern.

"Auch wenn wir uns derzeit nicht viel erhoffen können, müssen wir dringend deeskalieren und den Weg für weitere Gespräche ebnen", sagte Schwedens Ex-Außenminister Blix, der von 1981 bis 1997 die IAEA geleitet hatte, kürzlich vor US-Kongressabgeordneten in Washington.


Deeskalationsforderung

"Wir hoffen nun, dass es vielleicht in Istanbul möglichst bald zu einem Treffen zwischen den Iranern und den P5+1-Staaten (den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und China plus Deutschland) kommt. Im Augenblick müssen wir mit dem Ausbruch eines Krieges rechnen", sagte Blix. Es gelte eine akute und gefährliche Situation zu entschärfen.

Erst kürzlich ist ein IAEA-Team von einem zweitägigen Besuch aus dem Iran - dem zweiten binnen eines Monats - mit leeren Händen zurückgekehrt. Auch wenn der IAEA-Chef Yukiya Amano die Gespräche vom 20. bis 21. Februar in Teheran als konstruktiv bezeichnete, war die Enttäuschung der Inspekteure groß, nicht zur der Parchin-Militärbasis vorgelassen worden zu sein, wo angeblich Waffen getestet werden. Ein iranischer Regierungssprecher versicherte, dass die Zusammenarbeit mit der IAEA weitergehe.

Die über das iranische Atomprogramm erbosten Staaten hätten sich in eine ungünstige Position katapultiert, so Blix, der in der Vergangenheit einer UN-Sondereinheit angehört hatte, die vor der US-Invasion des Iraks dort nach Anzeichen für die Existenz von Massenvernichtungswaffen gesucht hatte. Dem ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush und dem britischen Premierminister Tony Blair warf er 2004 in einem Buch vor, die Gefahr irakischer Massenvernichtungswaffen übertrieben zu haben, um die Öffentlichkeit für die Invasion des Iraks einzunehmen.

Blix zufolge besteht derzeit die dringendste Aufgabe darin, die in den letzten beiden Monaten gewachsenen Spannungen zwischen Iran und Israel zu verringern und den Weg für weitere Gespräche freizumachen, um verheerende "unbeabsichtigte Konsequenzen" zu verhindern. Unter anderem sollten die USA und die Europäische Union, die zusammen mit Israel die härteste Linie gegen den Iran fahren, Teheran klar machen, dass "Angebote und nicht nur Drohungen auf dem Tisch liegen".

Am dritten Februarwochenende hatte der Generalstabschef der US-amerikanischen Streitkräfte, Martin Dempsey, nach seiner Rückkehr von Gesprächen mit israelischen Regierungsvertretern gegenüber dem US-Fernsehkanal CNN erklärt, ein israelischer Angriff sei zurzeit nicht sehr "klug". Er beschrieb ferner den Iran als einen "vernünftigen Akteur".

Dempseys Äußerungen lösten bei hochrangigen israelischen Regierungsvertretern Kritik aus. So soll sich nach Angaben der israelischen Zeitung Haaretz Ministerpräsident Benjamin Netanjahu beim nationalen Sicherheitsberater von US-Präsident Barack Obama, Tom Donilon, beschwert haben, als sich dieser kürzlich in Jerusalem aufhielt. "Die Iraner sehen, dass es zwischen USA und Israel kontrovers zugeht und die Amerikaner gegen einen Militärschlag sind. Dadurch lockert sich der Druck auf den Iran", kritisierte ein israelischer Vertreter gegenüber der Haaretz.

An dem Briefing US-amerikanischer Kongressabgeordneter nahm auch Colin Kahl teil, bis vor kurzem der ranghöchste Nahost-Experte im Pentagon. Auch er vertritt die Meinung, dass ein israelischer Angriff konterproduktiv ist.


US-Regierung sieht keinen Grund zu Eile

Israel argumentiert, dass der Iran die Uran-Anreicherungsaktivitäten tief in die Erde verlegen könnte, etwa in den unterirdischen Fordow-Bunker nahe Qom, der für Israels konventionelle Waffen undurchdringbar ist. Dadurch könne sich Teheran in wenigen Monaten eine "Zone der Immunität" schaffen.

Die Obama-Regierung hingegen hält rasches Handeln nicht für geboten, zumal Washington über Munition verfügt, die in der Lage ist, die Fordow-Mauern zu durchschlagen. Zudem sehe sich der Iran, sollte er eine abschussfähige Atombombe bauen wollen, mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, die sich in frühestens zwei bis drei Jahren bewältigen ließen. "Es macht nicht viel Sinn, einen Präventivkrieg auf der Grundlage einer Immunitätszone zu beginnen, wenn dies nur dazu führt, dass der Gegner sein Programm in solchen Einrichtungen wiederbelebt, an die man nicht mehr herankommt", meinte Kahl.

Eine ähnliche Haltung nahm der ehemalige IAEA-Inspekteur Robert Kelley ein, als er kürzlich betonte, dass alle iranischen Einrichtungen, die für die Entwicklung von Atomwaffen in Frage kämen, unter IAEA-Kontrolle stünden. "Wir wollen, dass das auch so bleibt. Das Schlimmste, was ich mir derzeit vorstellen kann, ist etwas zu tun, das die Iraner veranlasst, die IAEA aus dem Land zu werfen. Das wäre eine Katastrophe."

Sollte es dazu aufgrund eines israelischen Angriffs kommen, wäre die internationale Gemeinschaft mit "Blindheit" geschlagen, warnte Kahl. "In einem solchen Fall würden wir in eine Lage geraten, die uns zwingen würde, den Iran dauerhaft zu überwachen", gab er zu bedenken.

Auch wenn die Iraner den Bau von Atomwaffen anstrebten - bis zu deren Herstellung sei es noch ein langer Weg, sagte Blix und fügte hinzu, dass die diplomatischen Karten noch nicht ausgespielt worden seien und eine Beilegung der Krise in jedem Fall Vorrang haben sollte. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:
http://www.iaea.org/
http://www.niacouncil.org/site/PageServer?pagename=NIAC_index
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=106854

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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Februar 2012