Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

NAHOST/942: USA - Militärschlag gegen den Iran "kontraproduktiv", Sicherheitsexperten raten ab (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. September 2012

USA: Militärschlag gegen den Iran "kontraproduktiv" - US-Sicherheitsexperten raten ab

von Jim Lobe und Jasmin Ramsey



Washington, 14. September (IPS) - Ein US-amerikanischer oder israelischer Angriff auf den Iran könnte bestenfalls die Herstellung von Atomwaffen verzögern, nicht aber verhindern. Zu diesem Ergebnis kommt ein neuer Bericht, der von mehr als 30 prominenten ehemaligen US-Außenamtspolitikern, Militäroffizieren und unabhängigen Experten unterzeichnet worden ist.

Dem 56 Seiten starken Report zufolge würde das iranische Nuklearprogramm durch einen israelischen Militärschlag lediglich bis zu zwei Jahre und durch einen massiven US-amerikanischen Angriff bis zu vier Jahre aufgehalten.

Doch in beiden Fällen müsste mit direkten oder indirekten Vergeltungsschlägen von Seiten Teherans gerechnet werden. Auch stünde zu befürchten, dass die von Washington geführte internationale Koalition, die wirtschaftliche Sanktionen gegen den Iran verhängt habe, zerbrechen würde. Die Entschlossenheit des Irans, an Atomwaffen heranzukommen, würde sich weiter verstärken.

"Eine Militäraktion, Luftangriffe, Cyber-Attacken, verdeckte Operationen und der Einsatz von Sondereinheiten könnten die Anlagen und Materiallager vernichten oder schwer beschädigen", so der Bericht 'Weighing Benefits and Costs of Military Action Against Iran'. Doch eine Zerstörung des iranischen Waffenprogramms sei unwahrscheinlich, da wissenschaftliches Know-how und Erfahrungen eine Neuauflage des Programms jederzeit möglich machten.


Krieg verstärkt Wunsch nach Atomwaffen

"Vielmehr glauben wir, dass ein US-Angriff auf den Iran die Motivation des Irans, eine Bombe zu bauen, erhöhen würde, weil 1. die iranische Führung mehr denn je davon überzeugt wäre, dass die USA auf einen Regierungswechsel hinarbeiten und 2. der Bau einer Bombe als Möglichkeit betrachtet würde, künftigen Attacken (...) vorzubeugen", so die am 13. August vom 'Wilson International Center for Scholars' in Washington veröffentlichte Studie.

Von den Autoren als Beitrag zu einer offenen und fachlichen Diskussion von größter Bedeutung für die nationale Sicherheit präsentiert, erscheint der Bericht in einer Zeit zunehmender Spannungen zwischen dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und der US-Regierung von Präsident Barack Obama.

Nach den Vorstellungen des israelischen Regierungschefs soll Washington dem Iran Grenzen setzen und bei Überschreiten dieser Grenzen militärisch aktiv werden. Nachdem jedoch US-Außenministerin Hillary Clinton Netanjahus Forderungen am zweiten Septemberwochenende zurückgewiesen hatte, verkündete Netanjahu, dass Israel in Abwesenheit von US-Garantien unilateral handeln werde. "Diejenigen der internationalen Gemeinschaft, die sich weigern, dem Iran Grenzen zu setzen, haben moralisch nicht das Recht, Israel Grenzen zu setzen", sagte er am 11. September.

Die Obama-Regierung macht aus Gründen, die auch in dem neuen Report genannt werden, kein Geheimnis daraus, dass sie einem unilateralen Militärschlag Israels ablehnt. Der Report ist Wasser auf die Mühlen der Angriffsgegner, zumal er von prominenten Sicherheitsexperten wie den ehemaligen Sicherheitsberatern Brent Scowcroft, Zbigniew Brzezinski und Sandy Berger, den früheren Chefs des US-Zentralkommandos (CentCom), General Anthony Zinni und Admiral William Fallon, sowie vom einstigen Vizekommandanten des US-Kommandos für Sondereinsätze (SOC), Generalleutnant Frank Kearney, unterzeichnet wurde.

Neben Scowcroft, einem ehemaligen Luftwaffengeneral und Sicherheitsberater der Präsidenten Gerald Ford und George H. W. Bush, haben auch andere bekannte Republikaner wie der frühere Senator von Nebraska, Chuck Hagel, die ehemalige Handelsbeauftragte Carla Hills und die früheren Vizeaußenminister John Whitehead und Richard Armitage den Bericht unterschrieben.

Weitere Unterzeichner, die unter republikanischen Präsidenten hohe Ämter bekleidet hatten, sind der ehemalige UN-Botschafter Thomas Pickering, der frühere Vizeaußenminister Nicholas Burns, der ehemalige Staatssekretär im Außenministerium für Nahost- und Südasien-Angelegenheiten, Edward Djerejian, der einstige Geheimdienstoffizier für den Nahen Osten und Südasien, Paul Pillar, und der ehemalige Botschafter Ägyptens, Frank Wisner.


Militärschlag als "letzter Ausweg"

Der Bericht wurde als Versuch skizziert, die Diskussion über ein hoch aufgeladenes Thema zu entpolitisieren und eine Zusammenfassung von Fachanalysen und Meinungen im Vorfeld jeder möglichen militärischen Aktion wiederzugeben. Einig sei man sich darin, dass ein atomwaffenfähiger Iran die Interessen und die Sicherheit der USA und Israels gefährde, dennoch ein Militärschlag gegen den Iran der "der letzte Ausweg" sein sollte.

In dem Report, dem sechs Monate lange Diskussionen vorangegangen waren, heißt es ferner, dass in dem Fall, dass der Iran die Bombe tatsächlich bauen werde, das Land bis zu vier Monate benötige, um atomwaffenfähiges Material zu produzieren. Ganze zwei Jahre werde die Entwicklung eines abschussfähigen atomaren Sprengkopfes in Anspruch nehmen.

"Ein umfassender Militärschlag der USA mit und ohne Israel könnte die sechs wichtigsten bekannten Nuklearanlagen im Iran schwer beschädigen wenn nicht gar zerstören und somit das Atomprogramm um bis zu vier Jahre zurückwerfen", so der Bericht. Ein Alleingang Israels werde diesen Zeitrahmen auf bis zu zwei Jahren verkürzen.

Wollte Washington sicherstellen, dass der Iran niemals in der Lage wäre, eine Atombombe zu bauen, müssten die USA einen ausgedehnten und über Jahre währenden Luft- und Seekrieg in Kauf nehmen. Strebten die USA einen Regimewechsel oder einen Einflussverlust des Irans in der Region an, wäre eine noch größere US-Streitmacht vonnöten, um weite Teile des Irans militärisch zu besetzen. Dadurch würden den USA Kosten verursacht, die höher als die der Einsätze in Irak und Afghanistan in den letzten zehn Jahren zusammen wären.

Ein eingeschränkter Angriff könnte die Zerstörung der wichtigsten Atomanlagen des Landes und Rückschläge der militärischen Fähigkeiten nach sich ziehen, so der Bericht. Darüber hinaus würde er die Glaubwürdigkeit der USA, ihren Verbündeten in der Region zur Seite zu stehen, erhöhen. "Allerdings glauben wir nicht, dass er einen Wechsel oder Sturz des Regimes oder eine Kapitulation des Irans herbeiführen würde."


Rechnung mit vielen Unbekannten

Eine solche Militäraktion würde der Verbreitung von Atomwaffen einen Riegel vorschieben, so der Bericht weiter. Doch die Kosten eines solchen Manövers wären extrem hoch. "Es gibt zwar Stimmen, die der Meinung sind, dass der Iran auf einen militärischen Einsatz verzichten würde, um nicht die Gefahr eines größeren Konflikts heraufzubeschwören. Wir jedoch sind der Meinung, dass der Iran zurückschlagen würde, was wiederum US-Amerikanern das Leben kosten, US-Einrichtungen in der Region zerstören und die US-Interessen in Irak, in Afghanistan, am Golf und anderswo beeinträchtigen würde. Der Iran würde zudem Israel für jeden Anschlag, ob nun mit oder ohne israelische Beteiligung, auf vielfältige Weise zur Rechenschaft ziehen."

Der Iran könnte den USA und Israel indirekt schaden, indem er gut bewaffnete Kräfte wie Hisbollah und schiitische Milizen instrumentalisiere. Außerdem würde die internationale Unterstützung zugunsten von Sanktionen gegen den Iran bröckeln. Auch müsse mit negativen wirtschaftlichen und politischen Folgen in einer Region gerechnet werden, die derzeit inmitten eines umfangreichen Transformationsprozesses stecke.

Der Bericht warnte ferner, dass eine US-Intervention Muslime noch weiter auf Distanz zu den USA gehen lasse und den Eindruck verstärke, dass die USA zu häufig zu den Waffen greifen. Außerdem würden die Vereinigten Staaten durch einen Militärschlag den radikal-islamischen Gruppierungen einschließlich Al-Qaeda ungewollt weitere Rekruten zuschanzen. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.wilsoncenter.org/sites/default/files/IranReport_091112_FINAL.pdf
http://www.ipsnews.net/2012/09/u-s-israeli-attacks-unlikely-to-destroy-irans-nuclear-programme/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. September 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2012