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NAHOST/947: Libyen - Gefahr eines ethnischen Krieges latent vorhanden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. Oktober 2012

Libyen: Gefahr eines ethnischen Krieges latent vorhanden

von Rebecca Murray


Die Tabu-Grenzwache in der Sahara im Süden Libyens - Bild: © Rebecca Murray/IPS

Die Tabu-Grenzwache in der Sahara im Süden Libyens
Bild: © Rebecca Murray/IPS

Zweila, Libyen, 12. Oktober (IPS) - Tabu-Kämpfer haben ihre lehmbespritzen Pickups am Rande von Zweila abgestellt, einem ehemaligen Zwischenstopp der historischen Sklavenkarawanen im Südwesten der libyschen Wüste. Sie bilden die Grenzpatrouillen, die dem charismatischen Kommandanten der ethnischen Tabu, Issa Abdel Majid Mansour, treu ergeben sind.

Die Männer kontrollieren die lange und undurchdringlich erscheinende Grenze zu den Ländern Sudan, Tschad und Niger. Um ihre Aufgabe gewissenhaft erledigen zu können, müssen sie Sanddünen, Vulkanberge und Minenfelder bezwingen. Die Richtung weisen ihnen allein die Wegmarkierungen der Schmuggler und die Sterne.

Die indigenen Tabu-Halbnomaden, die aufgrund der Arabisierungskampagne des ehemaligen libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi an den Rand der libyschen Gesellschaft gedrängt worden waren, spielten in der Revolution von 2011 eine führende Rolle. Sie erhofften sich von einem Sieg der Rebellion den Zugang zu den lang ersehnten bürgerlichen Rechten.

Tabu-Netzwerke sorgten im vergangenen Jahr an Libyens Südgrenzen dafür, dass keine Söldner aus Subsahara-Staaten zur Unterstützung Gaddafis ins Land kamen. Und nach dem Sieg der Rebellen belohnte die dankbare Übergangsregierung Mansour mit der Kontrolle über Kufras Sahara-Region. Dort blühen der legale und illegale Transithandel mit Nahrungsmitteln und Brennstoffen sowie das Schmuggelgeschäft mit Drogen, Waffen und Migranten.

Kufra ist eine Oasensiedlung gut 1.600 Kilometer von der libyschen Küste entfernt. Hier leben etwa 4.000 Tabu, die Beziehungen zur Handelsstadt Sabha im Westen Libyens sowie zum Sudan, Tschad und Niger unterhalten. Die hellhäutigeren arabischen Zwai, die in Kufra die Mehrheit stellen, sind auch weiter nördlich anzutreffen - von der ölreichen Wüste bis zur Stadt Ajdabiya, 150 Kilometer südlich von Bengasi. Sie hatten von der Teile-und-Herrsche-Taktik Gaddafis profitiert.


Furcht vor Terroristen

Mansour sichert mit seinen Einheiten die nationalen Ölfelder. Seine Kämpfer sorgen dafür, dass extremistische Milizen einschließlich Al Qaeda nicht vom lukrativen Schmuggel von subventionierten Brennstoffen und Nahrungsmittel aus Libyen und von Waffen und Drogen nach Libyen profitieren. "Terroristen machen mir Sorge", meint er. "Sie sind gefährlich, und wir müssen verhindern, dass sie ihre Macht in der Wüste weiter ausbauen können."

Für die libysche Regierung ist Sicherheit ein kostbares Gut, besonders im Anschluss an den tödlichen Angriff auf das US-Konsulat in Bengasi im letzten Monat, hinter dem islamistische Extremisten vermutet werden. Durch den Volkszorn zum Handeln gezwungen, steht die Regierung nun vor der Sisyphusarbeit, die armselig ausgebildeten bewaffneten Gruppen, die den staatlichen Sicherheitskräften der Küstenregionen angehören, zu integrieren oder zu entwaffnen.

Gern übersehen wird jedoch der unruhige und kaum besiedelte Süden, wo sich signifikante Ölvorräte, seltene Mineralien und Gaddafis ehrgeiziges Flussprojekt befinden, das Wasser in den Norden leitet. Die Regierung in Tripolis hat sich bisher nicht um eine Lösung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten gekümmert, die im Februar zu tödlichen Zusammenstößen zwischen Tabu und arabischen Clans in Kufra und Sebha führten. Derzeit besteht zwischen den verfeindeten Lagern eine Feuerpause.


Ausländische Interessen in der Region

Die USA sind der Meinung, dass islamistische Extremistengruppen inklusive Al Qaeda an einer Nachschubroute durch den Süden Libyens in die Nachbarstaaten arbeiten. Sie streben als Teil ihres Anti-Terror- Kriegs eine robustere Rolle innerhalb des US-afrikanischen Militärkommandos AFRICOM an. Währenddessen versuchen die Franzosen, ihr Monopol auf die mineralienreiche Region zu behalten, die sie traditionell als ihren postkolonialen Hinterhof betrachten.

Als im vergangenen Juni die Gewalt in Kufra beendet wurde, trennten die Zwai ihren Teil der 44.000 Einwohner zählenden Stadt mit einem Wall von den Wohngebieten der Tabu ab. Sie halten ihre Nachbarn für Ausländer und fordern ihr eigenes autonomes Gebiet. Darüber hinaus wollen sie die Kontrolle über das profitabelste Geschäft in der Region sichern: den Schmuggel. Doch die großen Laster der Zwai-Geschäftsleute, die bis vor kurzem noch ein kleines Vermögen mit dem illegalen Grenzhandel machen konnten, bewegen sich nicht von der Stelle. Dafür sind die Tabu, auf der Siegerseite der Revolution angekommen, mit kleinen Toyota-Pickups unterwegs, um mit billigem Treibstoff und Migranten zu handeln.

"Die Zwai wollen sich für ihre Geschäfte das Gebiet von Kufra bis zur ägyptischen und sudanesischen Grenze sichern. Sie sprechen von Handel, meinen aber Schmuggel", erläutert Fathi Baja, Politikwissenschaftler an der Universität von Bengasi. "Und dann gibt es auch noch die islamistischen Gruppen, die ebenso gern die Grenzen kontrollieren würden."

Die Grenzen zwischen den Tabu- und Zwai-Vierteln werden von kleinen Kontingenten an Soldaten bewacht. Diese ersetzen die Hilfstruppen aus Islamisten, die dort nach den Zusammenstößen im Februar als neutrale Puffer dienten. "Der Verteidigungsminister hatte die Kämpfer damit beauftragt, in den Süden zu gehen, die Grenzen zu kontrollieren und sich vor Ort ein Bild zu machen", berichtet Rami Al-Shahiebi, einer der wenigen Journalisten, die im Februar nach Kufra gereist waren.

Die undisziplinierten Hilfstruppen richteten ihre Waffen jedoch schnell gegen die Tabu, so Al-Shahiebi. Beunruhigt über die medienwirksamen Äußerungen der Zwai und über die libyschen Sendungen aus Tripolis, wonach eine Invasion von 'Ausländern' stattfinden würde, machten sich die Kämpfer aus der Küstenstadt Misrata auf, um sich der angeblichen Gefahr gewaltsam zu widersetzen. Nach dem Tod hunderter Menschen und zutiefst beschämt über die Rolle ihrer ernannten 'Friedensschützer' handelte die Regierung im Juni eine Feuerpause aus.

Etwa 4.000 der Tabu-Einwohner Kufras leben in den armseligen Ghettos von Gadarfa und Shura. Berge von Müll türmen sich um ihre aus Ästen, Pappe und Blechen zusammengeschusterten Hütten. Schule und Kliniken sind mit Einschüssen aus der Zeit der letzten Kämpfe übersät.


"Weil wir schwarz sind, glaubt man uns nicht, dass wir Libyer sind"

Fawzia Idris, eine 27-jährige Tabu-Krankenschwester, ist Mitglied einer Freiwilligenbrigade, die in Shura kleine Bäume zwischen dem aufgetürmten Müll pflanzt. "Damit das Viertel schöner wird", sagt sie. "Rassismus und die Kontrolle der Grenze sind große Probleme. Wir sind Muslime, aber weil wir schwarz sind, glaubt man uns nicht, dass wir Libyer sind."

Die Tabu hatten den Zorn Gaddafis über die Niederlage Libyens im Krieg gegen den Tschad und den Verlust des mineralienreichen Aouzou-Streifens 1996 ausbaden müssen. Vielen wurde die libysche Staatsbürgerschaft und das Recht auf Bildung, Gesundheitsversorgung und Arbeit entzogen, ihre Häuser wurden zerstört.

Die Tabu sind von der Übergangsregierung bitter enttäuscht. Man habe sie um die versprochenen Rechte betrogen, sagen sie. "Die gleichen Leute, die mit Gaddafi zusammengearbeitet haben, sind noch immer an der Macht. Es gibt keine Wende", so auch die Krankenschwester Idris. Und Hassan Mousa, ein Sprecher der Tabu-Soldaten in Kufra, warnt. "Die Stabilität des Südens hängt von den Rechten für die Tabu ab. Und die libysche Stabilität hängt von der Stabilität des Südens ab." (Ende/IPS/kb/2012)


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IPS-Tagesdienst vom 12. Oktober 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Oktober 2012