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NAHOST/958: Israel - Feuerpause könnte zum Wahlfaktor werden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. November 2012

Israel: Ministerpräsident braucht eigenen 'Iron Dome' - Feuerpause könnte zum Wahlfaktor werden

eine Analyse von Pierre Klochendler


Israels Ministerpräsident auf 'Iron Dome' gegen seine Widersacher angewiesen - Bild: © Pierre Klochendler/IPS

sraels Ministerpräsident auf 'Iron Dome' gegen seine Widersacher angewiesen
Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Jerusalem, 22. November (IPS) - Das Ende der ersten Militäroperation Israels seit dem Ausbruch des Arabischen Frühlings, der die Region Nahost tiefgreifend gewandelt hat, ist dem internationalen diplomatischen Blitzkrieg auf Israel und Hamas und den Ausmaß der beidseitigen Militärschläge zu verdanken. Für den Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ist jetzt vor allem eines wichtig: dass die Waffenruhe zumindest bis zu seiner Wiederwahl im Januar hält.

Hatte Netanjahu mit dem Start der Operation 'Säule der Verteidigung' am 14. November den Kurs bestimmt, ist er sich durchaus der Tatsache bewusst, dass nun die radikal-fundamentalistische Hamas das Heft in der Hand hält, was den Bestand der Feuerpause angeht. Mit einem 'Non-paper', das Israel genügend Spielraum lässt, konnte eine israelische Bodenoffensive im Gazastreifen abgewehrt werden.

Offenbar hat Netanjahu aus der Militäraktion 'Gegossenes Blei' Ende 2008/Anfang 2009 gegen die Hamas im Gazastreifen gelernt. Der Angriff auf das Palästinensergebiet brachte Israel den Vorwurf ein, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Ferner führte er zu einem aus 43 Paragraphen bestehenden Abkommen, das nie eingehalten wurde.

Die neue Übereinkunft ist informell und auf zwei Phasen ausgerichtet. Sie sieht vor, dass die Hamas ihre Raketenanschläge, Angriffe auf israelische Zivilisten und Truppen an der Grenze zum Gazastreifen und Anschläge von palästinensischen Guerillas vom Sinai aus beendet. Im Gegenzug dazu stoppt Israel die Bombardierung des Gazastreifens und unterlässt potenzielle Angriffe auf Hamas-Führer.


Unterschiedliche Interessen

Während Phase eins die Umsetzung der Waffenruhe beinhaltet und deren Wirksamkeit testen soll, sieht Phase zwei Gespräche über ein nachhaltiges Abkommen vor, das auch Ägypten und den USA Garantien abverlangen soll. Doch an die Vereinbarung werden etliche divergierende Interessen und Forderungen der vielen Parteien geknüpft, die an den Bemühungen um eine Einhaltung der Feuerpause beteiligt sind.

Israel wird von Ägypten Sicherheiten verlangen, dass vom Sinai aus keine Waffen mehr durch die unterirdischen Tunnel in den Gazastreifen geschmuggelt werden. Doch Ägyptens Präsident Muhammad Mursi und seine islamistische Regierung tun sich schwer mit solchen Zusagen, wollen sie nicht als Polizeimacht Israels wahrgenommen werden.

Während Israel keinen Einfluss auf Ägypten zugunsten einer Aufrechterhaltung der Blockade gegen den Gazastreifen nehmen kann, wird es die Forderung der Hamas nach einem Ende der Seeblockade mit dem Argument einer drohenden Bewaffnung des Gazastreifens zurückweisen.

Israels jüngste Militäroperation ist vorüber, und im Großen und Ganzen hat sich wenig geändert. Offenbar verfuhr Netanjahu mit seiner 'Säule der Verteidigung' getreu dem Ausspruch von Guiseppe Tomasi di Lampedusa: "Wenn wir wollen, dass alles so bleibt wie es ist, müssen wir zulassen, dass sich alles verändert."

Tatsächlich hat Netanjahu während seiner vierjährigen Amtszeit im Umgang mit den Palästinensern die Strategie eines skeptischen Nihilismus verfolgt. Ihm nahe stehende Kreise führen den Schlingerkurs im Umgang mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas auf ein Erstarken der Hamas seit der Islamisierung der Region Nahost infolge des Arabischen Frühlings zurück.

Dass die den Gazastreifen regierende Hamas auch im von Abbas geführten Westjordanland an Boden gewinnt, ermöglicht Israels Rechten unter Führung Netanjahus, sich jedem Wandel der israelischen Besatzungspolitik im Westjordanland zu widersetzen. Tatsächlich ist die Hamas inzwischen populärer als Abbas, wie die jüngsten, im Westjordanland durchgeführten Demonstrationen gezeigt haben.


Hamas hat von Militäraktion profitiert

Die Islamistenbewegung konnte ihre Rolle als Vorreiter des palästinensischen Widerstands gegen die israelische Besatzung ausbauen. So ist es ihr sogar gelungen, M35-Raketen zu bauen, die sogar Tel Aviv und Jerusalem erreichten. Auch hat die Hamas politisch von Israels 'Säule der Verteidigung' profitiert. So wurde sie in den letzten Tagen von Ägypten, Tunesien, Katar und Türkei regelrecht hofiert und sprach mit einem ausländischen Regierungschef und mehreren Außenministern.

Netanjahu könnte wahlpolitisch von der Angst der Israelis vor der stärker werdenden Hamas im Gazastreifen und einem zunehmenden Rückhalt der radikalen Gruppe im Westjordanland profitieren. Doch sollte diese ihre Raketenanschläge wieder aufnehmen, könnte die Wiederwahl Netanjahus gefährdet sein. Vor allem die Israelis im Süden, die die ständigen Beschießungen leid sind, könnten sich für einen Oppositionspolitiker entscheiden, der eine endgültige Lösung des Nahostkonflikts verspricht.

Das israelische Raketenabwehrsystem 'Iron Dome' hat sich gegenüber den Bombardements aus dem Gazastreifen bewährt. So starben fünf Israelis bei den von der Hamas durchgeführten Anschlägen. Demgegenüber kamen im Gazastreifen bei den achttägigen Angriffen 162 Palästinenser ums Leben.

Netanjahu könnte einen Schutzschirm gegen die Kritik der Opposition gut gebrauchen, die ihm vorwerfen, nichts gegen die Verschlechterung der Situation im Westjordanland und Gazastreifen unternommen und somit der Hamas den Rücken gestärkt zu haben. (Ende/IPS/kb/2012)


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http://www.ipsnews.net/2012/11/now-netanyahu-needs-an-iron-dome/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2012