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OSTEUROPA/277: Ukraine - Kommt es demnächst zu einer politischen Lösung der Krise... (Falkenhagen)


Kommt es in der Ukraine demnächst zu einer politischen Lösung der Krise und wie wird sie aussehen?

Von Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen, 09.05.2009


Veröffentlicht wird im Folgenden die Übersetzung eines in der polnischen Tageszeitung "Gazeta wyborcza" erschienenen Artikels mit einem Interview über eine angeblich bevorstehende Koalition des Blocks "Julija Timoschenko" und der Partei der Regionen in Kiew. Danach soll in der Ukraine der Führer der Partei der Regionen, Viktor Janukowitsch, Staatspräsident werden und Julija Timoschenko auch die nächsten Jahre Premierministerin bleiben. Beide verfügen im Parlament über eine satte Zwei-Drittelmehrheit. Sie können damit auch eine Verfassungsänderung durchsetzen, die die Machtbefugnisse des Staatspräsidenten zu Gunsten der Regierung einschränkt. Meldungen dazu sind schon von anderen Zeitungen, wie der "Res publika" in Tschechien am 25. April 2009 veröffentlicht worden. Diese stützten sich auf die Zeitung "Mlada Ukrajina" aus der Ukraine. Die betreffenden Meldungen wurden auch in anderen Staaten verbreitet. Es liegt aber dazu bis jetzt keine offizielle Bestätigung aus Kiew, auch nicht aus Moskau oder z. B. seitens der EU vor.

Dass das eine demokratische und parlamentarisch legitime sowie auch effiziente Lösung der gegenwärtigen Krise der Ukraine wäre, daran gibt es keinen Zweifel. Diese Lösung bietet sich auch nach der Verteilung der Abgeordnetensitze in der Werchowna Rada (dem ukrainischen Parlament) politisch logisch an. Und in einer parlamentarischen Demokratie müssen nun in der Tat Mehrheiten entscheiden. Überzeugte Demokraten können das auch mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen.

Nun wird in dem genannten polnischen Artikel in den Interview-Antworten aber auch darauf hingewiesen, dass das keineswegs im Sinne des gegenwärtig amtierenden ukrainischen Präsidenten Juschtschenko liegt und dass er sich dagegen auch zur Wehr setzen wird. Auffällig ist aber die dort vertretene Meinung, dass Viktor Juschtschenko nicht der Politikertyp sei, der sich dagegen mit Gewalt, also z. B. mittels eines Staatsstreiches wehren wolle, er würde, so wird zum Ausdruck gebracht, demokratische Lösungen akzeptieren. Also sei mit der Demokratie in der Ukraine alles in Ordnung. Das stimmt aber so gewiss nicht. Zumindest ist Vorsicht geboten.

Juschtschenko hat schon mehrfach bewiesen, dass er durchaus auch entschlossen sein kann, zu verfassungswidrigen Methoden des persönlichen Machterhalts oder gar zur Gewalt zu greifen. Es fühlt sich als Messias der Westintegration auch dazu berufen. Er hat dafür auch Gefolgsleute wie den derzeitigen Chef der Präsidentenkanzlei (des Sekretariats des Präsidenten) Baloga, die einen Staatsstreich mitzutragen bereit wären. Einheiten des Innenministeriums mussten schon mehrfach z. B. rechtwidrigen Eingriffen der Juschtschenko unterstellten Sicherheitsdienstes oder seiner Leibgarde entgegentreten, z. B. bei der Besetzung der Zentrale der Naftogaz in Kiew. Ist es ein Zufall, dass der ukrainische Innenminister Luzenko und sein Sohn jetzt am Frankfurter Flughafen festgenommen wurden, angeblich wegen Trunkenheit, Randaliererei und Körperverletzung? Das hat sich schnell als vorsätzlich gezielte Provokation herausgestellt? Dass ein Versehen vorlag, ist im höchsten Maße unwahrscheinlich. Auch bestimmte westliche Regierungen würden eine gewaltsame Lösung der ukrainischen Krise befürworten, um den NATO- und EU-Beitritt der Ukraine zu beschleunigen oder erst einmal zu ermöglichen. Obwohl auch Frau Timoschenko die enge Zusammenarbeit mit der EU, auch einen hohen Grad der Assoziation und Westintegration anstrebt, traut man ihr nicht so recht, und dafür sorgen auch Juschtschenko und seine Leute. In seinem jüngsten Interview mit dem "Der Tagesspiegel", Berlin, vom 4. Mai 2009 zeigt sich Juschtschenko durchaus kämpferisch. Er beschuldigt eher die EU nicht genug "Mut zu haben". So trägt das Tagesspiegel-Interview auch die Überschrift. "Die EU hatte nicht genug Mut".

Richtig ist an dem polnischen Artikel die Aussage, dass das derzeitige politische Kräfteverhältnis in der Ukraine sowohl in der Bevölkerung als auch im Parlament und in der Regierung gegen undemokratische gewaltsame Lösungen spricht. Betrachtet man sich aber der Geschichte der Staatsstreiche und gewaltsamen politischen Umstürze, so sind politische Kräfteverhältnisse und Stimmungen im Volke oder unter der Mehrheit der Politiker sowie auch verpflichtende Verfassungsgrundsätze nicht immer ausschlaggebend, ob Gewaltlösungen in Szene gesetzt werden bzw. zum Erfolg führen oder nicht. Die demokratischen Kräfte der Ukraine, die in der Ukraine sehr stark sind, müssen deswegen weiter wachsam sein. Gegner demokratischer Lösungen arbeiten oft mit raffinierten Tricks und Finten.


Timoschenko Regierungschefin, Janukowitsch Präsident

Quelle: Gazeta wyborcza, Warschau vom 29. 4. 2009

Übersetzung aus dem Polnischen: Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen


Nach unbestätigten Pressemeldungen soll noch im Mai/Juni ein Plan der Regierung und der Opposition umgesetzt werden, nach dem der amtierende Staatspräsident Juschtschenko sein Amt und seinen Einfluss verlieren soll. Damit soll auch die politische Krise der Ukraine ihr Ende finden.
Die Regierung Julija Timoschenko und die Opposition haben einen Plan, wie sie den ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko von der Macht verdrängen und ihm verwehren, den Kampf um eine zweite Amtszeit zu führen. So soll die politische Krise am Dnjepr beendet werden.
Die Realisierung dieses Plans ist im Prinzip in der Regierung beschlossene Sache, besagt die Quelle der "Gazeta wyborcza". Wir wollen darüber die Partner beim Treffen der europäischen Volksparteien in Warschau informieren, heißt es.

Seit einigen Monaten führt die Premierministerin Timoschenko mit der Opposition, der Partei der Regionen des früheren Premierministers Viktor Janukowitsch, geheime Verhandlungen. Während der orangenen Revolution vor fünf Jahren waren sie Gegner, aber heute kann sich Julija Timoschenko eher mit Janukowitsch verständigen als mit dem Kampfgefährten vom Majdan, Juschtschenko.

Der Plan zielt auf die Bildung einer Koalition des Blocks "Julija Timoschenko" mit der Partei der Regionen. Gleichzeitig haben sie die Stimmenmehrheit im Kiewer Parlament, nämlich 175 plus 156 = 331 von insgesamt 450 Parlamentariern, so dass sie mit mehr als einer satten Zweidrittelmehrheit die Verfassung ändern können. Noch im Mai soll das Projekt der Verfassungsänderung an das Verfassungsgericht gehen, das die Vollmachten des Staatspräsidenten begrenzt und die des Premierministers erweitert. Die Ukraine wird ein Land mit einem Regierungskanzlersystem und der Staatspräsident wird danach bereits nicht mehr vom Volk in direkter Wahl gewählt, sondern durch das Parlament wie in Deutschland.
Das alles tritt in Kraft, wenn Timoschenko sich an der Spitze der Regierung hält und der Führer der Opposition Janukowitsch Staatsoberhaupt wird, wenn der gegenwärtige Staatspräsident Juschtschenko am Jahresende zurücktritt.
Das ist der einzige vernünftige Ausweg aus der permanenten Krisensituation, sagt uns der bekannte Kiewer Journalist Witalij Portnikov. Gegen eine solche Lösung protestiert die Partei von Juschtschenko "Unsere Ukraine", aber sie ist im Parlament in der Minderheit. Wenn das Verfassungsgericht verkündet, dass die Verfassungsänderung vom juristischen Standpunkt rechtens ist, kann sie das Parlament noch bis Juli bestätigen, so dass sie nach den Parlamentsferien in Kraft treten würde. Die Frage, wer die nächsten Präsidentenwahlen im Oktober, Dezember 2009 oder im Januar 2010 gewinnen wird, wird damit unaktuell. Sogar ein Teil der Politiker der Partei von Juschtschenko meint, dass dies die bessere Lösung sei als ein brutaler Wahlkampf bei einer sich immer mehr vertiefenden Krise.

In Kiew sprach darüber Marcin Wojciechowski mit Prof. Myroslaw Popowycz.

Marcin Wojciechowski: Viktor Janukowitsch als Präsident und der gewählt durch das Parlament? Das geht einem schwerlich in den Kopf.

Prof. Myroslaw Popowycz: Ich bin über diese Lösung nicht begeistert, aber sachlich ist das der einzige Ausweg. Janukowitsch würde mit den möglichst begrenzten Vollmachten nicht gefährlich. Er würde als ein in allgemeinen Wahlen gewählter Präsident gefährlich, was real werden könnte, wie Umfragen ergeben, wenn solche Wahlen stattfinden. So ist es besser, Julija den Posten einer starken Premierministerin zu überlassen und Janukowitsch den Posten des Staatspräsidenten mit eingeschränkten Vollmachten, der zudem durch das Parlament gewählt ist, zu geben.

Marcin Wojciechowski: Und Juschtschenko loswerden.

Prof. Myroslaw Popowycz: Das ist heute letztlich nur natürlich, ich bewundere das was er gemacht hat, aber heute ist er hinderlich. Sein einziges Ziel ist es, Timoschenko zu schaden. Der ukrainische Präsident ist der Meinung, dass er ein ukrainischer Messias ist, dem Frau Timoschenko nur stört. Ich glaube nicht, dass seine Popularität auf 2,4 % gefallen ist, ich denke, dass das eine Manipulation der Soziologen ist. Aber seine Absicht, sich um eine zweite Amtszeit zu bewerben, ist glatter Wahnsinn.

Marcin Wojciechowski: Was für eine Premierministerin oder Kanzlerin wird Julija Timoschenko?

Prof. Myroslaw Popowycz: Sie ist arbeitsam und arbeitet immer besser. Bei der Krise wäre eine populistische Wahlkampagne tödlich. Und so wird Julija Timoschenko die Auflagen des IWF und der Weltbank erfüllen. Das ist der beste Weg für den Ausgang aus der Krise.

Marcin Wojciechowski: Und Juschtschenko? Wird er einverstanden sein, das Recht auf einen Kampf um eine zweite Amtszeit entzogen zu bekommen?

Prof. Myroslaw Popowycz: Die neue Koalition wird die verfassungsmäßige Mehrheit haben. Juschtschenko wird protestieren, sich über eine Verschwörung, sich über Verrat beklagen, er wird damit schrecken, dass Russland dahinter stecken würde, aber das sind nur Worte. Der einzige Ausweg wäre die Anwendung von Gewalt, aber dazu wird es nicht kommen.

Marcin Wojciechowski: Warum?

Prof. Myroslaw Popowycz: Dazu ist er nicht der Typ von Mensch. Und ihm würde auch kaum jemand gehorchen. Der Präsident hat schon versucht, den Sicherheitsdienst, den Geheimdienst ins politische Spiel zu bringen, aber nach Gesprächen mit der Premierministerin verhält sich der Geheimdienstchef Naliwajtschenko neutral. Die Armee ist auch nicht geneigt, den Präsidenten zu unterstützen.

Marcin Wojciechowski: Heutzutage ist es in Kiew immer schwieriger, Sympathisanten von Juschtschenko zu treffen.

Prof. Myroslaw Popowycz: Er hat sich das selbst zuzuschreiben. Juschtschenko tut mir leid, denn zusammen mit ihm stirbt die romantische Idee einer modernen, gemäßigten ukrainischen Volksdemokratie, die unser Land sehr nötig hätte. Auf ihren Trümmern könnte sich eine radikale Partei erheben, auch wenn radikale Parteien im Landesmaßstab derzeit nur eine marginale Bedeutung. haben.

Marcin Wojciechowski: Vom Westen her betrachtet kann die Ukraine den Eindruck erwecken, dass seine Elite nicht reif ist, einen eigenen Staat zu haben.

Prof. Myroslaw Popowycz: Das ist falsch, die heutige Elite ist eine ganz andere, als sie es noch 1989 war. Das Denken in ukrainischen Kategorien beeinflusst auch dieses Land. Reale Entscheidungen werden auch mit der Partei von Janukowitsch getroffen. Heute ist der Chef der Zentralbank von dem und diesem und was es auch sei, auch von ihm abhängig. Bisweilen hat er, der Zentralbankchef, geringere Macht als der Chef einer Genossenschaftsbank in einer Gemeinde.

Marcin Wojciechowski: Aber es könnte besser sein, besonders nach der orangenen Revolution.

Prof. Myroslaw Popowycz: Es ist so wie es ist. Notwendig ist mehr Zeit. Mich erfreut, was die Demokratie bewirkt hat, die Ukraine wird als Staat immer stärker Bei uns ist es unvorstellbar, dass bei Bürgermeisterwahlen einer wichtigen Stadt der Kandidat der Regierung 77 % der Stimmen erhält und der Kandidat der Opposition nur 13,5% wie im russischen Sotschi. Wir können sogar zu viel von dieser Demokratie haben, denn allmählich ziehen wir aus ihr Vorteile. Der Kompromiss zwischen Timoschenko und Janukowitsch zeugt ebenfalls davon.


Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen wurde 1932 in Köln geboren und lebte ab 1936 in Radebeul bei Dresden. 1943 trat er in ein Gymnasium ein. Im Februar 1945 erlebte er die drei aufeinander folgenden Bombenangriffe auf Dresden.
Nach dem Abitur 1951 in Rostock studierte er Ökonomie und slawische Sprachen und war seit 1957 bis 1995 im öffentlichen Dienst tätig, insbesondere als Übersetzer, Dokumentalist und Länderbearbeiter. Er arbeitete in Auslandsinformationsabteilungen von Ministerien der ehemaligen DDR, zuletzt im Ministerium der Finanzen und für die Staatsbank der DDR. Seine Arbeitssprachen sind auch Englisch, Französisch und Rumänisch. Übersetzt hat er aus 12 Fremdsprachen, davon 9 slawische Sprachen. Er hat auch als Buchübersetzer für Verlage und als Journalist für Wirtschaftszeitungen gearbeitet. Seine Promotion erfolgte in diesem Rahmen.
Von 1990 bis 1995 war er Referent in einem Referat für ausländische Finanzen und Steuern des Bundesministeriums für Finanzen und dabei zuständig für sog. postkommunistische Staaten.
Nach Eintritt in das Rentenalter 1997 suchte er sich neue Interessengebiete und arbeitete als Sprachmittler und Journalist weiter für Zeitungen, Fachzeitschriften für Osteuropa und für Steuerrecht und ist Mitbetreiber der Homepage Goethe-Stübchen. Seit den 70er Jahren bekennt er sich zum Islam.
Dr. Falkenhagen ist verheiratet und hat zwei Kinder.


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Quelle:
Copyright 2009 by Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung des Autors
      


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2009