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OSTEUROPA/300: Polnisch-litauisches Geplänkel in Brüssel (Queck/Falkenhagen)


Polnisch-litauisches Geplänkel in Brüssel

Übersetzung aus dem Polnischen - mit einer Anmerkung von
von Hans Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck


Polnisch-litauisches Geplänkel in Brüssel

Polnische Europaabgeordnete appellieren an die Europäische Union, die Polen in Litauen zu verteidigen und zu schützen. Werden sie diskriminiert? Verstärken sich die Rechtsverletzungen? "Das ist dummes Gerede. Man kann sich gut denken, wer dahinter steckt und uns zerstritten sehen will", antwortet Vytautas Landsbergis, das erste Staatsoberhaupt von Litauen Anfang der 90er Jahre.

Die neueste Streitwelle betrifft den Brief von zehn polnischen Europaabgeordneten an den Vorsitzenden des Europäischen Parlaments Jerzy Buzek. "Wir bitten um eine Reaktion und ersuchen um die Verteidigung der Rechte der polnischen Minderheit in Litauen."
Jaroslaw Kalinowski von der Fraktion der Christdemokraten sowie Janusz Wojciechowski, Adam Bielan und Ryszard Czarnecki von der Fraktion der Konservativen, schreiben dazu: "Die Polen in Litauen haben erwartet, dass gleich mit dem Eintritt Litauens in die EU damit begonnen wird, dort die nationalen Minderheitenrechte zu achten und zu erweitern.
Leider hat die polnische Minderheit nicht nur in Übereinstimmung mit den Standards der Union keine neuen Rechte gewonnen, sondern diese wurden sogar abgebaut".
Einer der Organisatoren, wenn auch nicht Mitunterzeichner des Briefes, ist der Europa-Abgeordnete Waldemar Tomaszewski, ein litauischer Pole. Er ist Leiter der Wähleraktion der Polen in Litauen und ehemaliger Kandidat auf den Präsidentenposten des Landes. Die Kritikasterei, wie einige Litauer bemerken und die Diffamierung Litauens seitens Tomaszewskis, löste in den Reihen eines Teils der litauischen Politiker Zorn aus, die T. jetzt öffentlich mit Geldforderungen verklagen wollen. "Herr Tomaszewski stachelt zu nationaler Zwietracht auf. Er tut alles, damit sich die polnische Gesellschaft in Litauen nicht integriert, damit dort ein nationales Ghetto geschaffen wird", verkündete am 24. September 2009 Audronius Azubalis, der Leiter der außenpolitischen Kommission im litauischen Parlament.

Worum geht es den Polen? Seit zwanzig Jahre immer um das Gleiche: "Wir wünschen, dass man uns als Minderheit behandelt. Wir sind in Litauen eine Minderheit, und wir leben dort schon seit Jahrhunderten, uns gebührt Achtung und Respekt", sagt Tomaszewski.
Die polnische Minderheit, die nahe 7 % der Bevölkerung von Litauen ausmacht, führt seit Jahren Streit um das Recht auf zweisprachige Straßenschilder und Ortsnamen in den Gebieten mit polnischer Mehrheit, sowie um die Möglichkeit, Anschriften und Namen in Polnisch zu schreiben, besonders was Personalnachweise und andere Ausweise anbelangt, um die Entwicklung des polnischen Bildungswesens und um die Beschleunigung der Reprivatisierung in den Rayons von Litauen, in denen sich vor dem zweiten Weltkrieg das Privateigentum größtenteils in der Hand von Polen und nicht von Litauern befunden hatte.

Der ehemalige Vizechef der polnisch-litauischen Parlamentarischen Versammlung, Litwin, erklärte: "Bitte, gebt uns Zeit, wir selbst werden diese Angelegenheit regeln!"
Der Mitautor des Briefes, Jaroslaw Kalinowski, erklärte dazu:
"Wir haben zu viel erwartet was noch nicht geregelt ist.
Wir haben mit Litauen eine gute strategische und wirtschaftliche Zusammenarbeit, aber die Polen kennen sich über Litauen nicht gut aus". Ryszard Czarnecki ist überzeugt, dass die polnische Diplomatie den Brief zur Verteidigung der Polen in Litauen unterstützt.
Obgleich der entfachte Konflikt Schwarz-Weiß-Malerei begünstigt, und das räumen einige polnische Diplomaten sogar ein, erkannte der polnische Präsident Lech Kaczynski während eines Besuches in Litauen an, dass die polnische Minderheit sogar bessere Schulen als in anderen Ländern besitzt.
"Die Reprivatisierung schleppt sich im einstigen polnischen Vilnius dahin, aber in diesem Gebiet ist Grund und Boden auch sehr schwer abzugeben und Entschädigung ist auch schwer zu finden", sagte uns ein Mitarbeiter des polnischen Außenministeriums. Er konnte nicht auf die Frage antworten, ob sich Litauen einverstanden erklärt, wenn es um die Zweisprachigkeit von Straßennamen geht, obwohl das eine Konvention des Europarats empfiehlt:
"Es geht schließlich um keine einfache Sache. Wir haben eine komplizierte Geschichte. Erst kürzlich haben wir die Unabhängigkeit erlangt. Wenn wir einverstanden sind, dass es polnische Aufschriften gibt, wie können wir dann die Forderung der russischen Minderheit nach kyrillischen Buchstaben zurückweisen?" fragt Vytautas Landsbergis, das erste Staatsoberhaupt des unabhängigen Litauens. Er deutet an, dass Streitereien zwischen Polen und Litauern ein Ziel des russischen Nachbarn wären und empört sich über die Behauptung einer wachsenden Diskriminierung der polnischen Minderheit: "Das ist falsch. Man hört von einigen Leuten, dass man in Litauen für den Gebrauch der polnischen Sprache in Ämtern abgestraft würde. Aber die Politiker heizen wegen eigenen Ambitionen und um der eigenen Karriere willen die Stimmung an", behauptet Landsbergis. Die Litauer sind überzeugt, dass sie keine Komplexe gegenüber den Polen haben, wenn diese sich zeitweilig zu Litauen wie zu einer ehemaligen Provinz verhalten. Sie erinnern sich an kürzlich gehaltene Lektionen über die neueste Geschichte polnischer Schulen in Litauen, die ohne Wissen der litauischen Regierung gehalten wurden. Eine Menge Unfrieden ruft aber das polnische Gesetz über Ausweise für Polen hervor, die polnischen Konsuls in besonderen Fällen an Polen im Ausland ausstellen können ("zur Schadenswiedergutmachung polnischer Interessen", wie es heißt). Nunmehr besteht die Meinung, Vilnius könnte einen Loyalitätskonflikt unter Soldaten oder Politikern im Lande auslösen.
Jerzy Buzek beabsichtigt, bei seinem bevorstehenden Besuch in Vilnius das Thema der polnischen Minderheit während der Gespräche mit der litauischen Präsidentin Dalia Grybauskaite zu diskutieren. "Mäßigen wir die Stimmung!" dazu ruft Landsbergis auf.

Quelle:
Gazeta Wyborcza, Warschau, vom 25. September 2009
(http://wyborcza.pl/1,75477,7076465,Polsko_litewska_potyczka_w_Brukseli.html)

Übersetzung aus dem Polnischen: Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen


Anmerkung von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck:

Das Gebiet um Vilnius ist als ethnisch umstrittenes Gebiet 1920 von Polen annektiert worden. Im Rahmen des Hitler-Stalinpakts wurde es im September 1939 bei der Aufteilung Polens wieder an die Republik Litauen angegliedert und Vilnius zur Hauptstadt des Landes erklärt. Begründet wurde das mit historischen Ansprüchen der Litauer an Polen und mit der dort wohnenden damaligen starken litauischen Minderheit auf polnischem Gebiet. Es wurde ferner mit historischen Ansprüchen begründet (Vilnius war über Jahrhunderte Hauptstadt des Großfürstentums Litauens).

Dieses Gebiet wurde dann ab September 1939 Teil der litauischen Sowjetrepublik und verblieb bei der Republik Litauen auch nach ihrer offiziellen Entlassung in die staatliche Unabhängigkeit am 29.7.1991 (die Proklamierung der Unabhängigkeit war schon am 11.3.1990 erfolgt).

Vorerst sieht es danach aus, als würden sich die Polen auf Restitutionsforderungen vor allem in Fragen des Privateigentums beschränken.

Mit der wachsenden Rolle Polens in der EU (es gehört neben Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien schon jetzt zu den 6 Großen der Europäischen Union und hat ausgeprägte Sonderbeziehungen zu den USA) könnten an Litauen auch territoriale Forderungen bezüglich des Wiederanschlusses (die Re-Annektierung) zumindest von Teilen des Gebiets von Vilnius an den polnischen Staat gestellt werden. Ebenso wird erwartet, dass in nicht allzu ferner Zukunft auch umfangreiche territoriale Forderungen an die Ukraine und Weißrussland gestellt werden könnten. Dort gehörten bis 1939 große Gebiete zum polnischen Staat, in denen vor dem 2. Weltkrieg ebenfalls polnisches Eigentum dominierte.

Derzeitig ist der Pole Jerzy Buzek Vorsitzender des EU-Parlaments und er wäre somit in der Lage, polnische Interessen bevorzugt zu protegieren.


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Quelle:
Copyright 2009 by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. September 2009