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OSTEUROPA/373: Balkan - Überschwemmungen verbinden, Ex-Jugoslawen eilen sich zu Hilfe (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Mai 2014

Balkan: Überschwemmungen verbinden - Ex-Jugoslawen eilen sich zu Hilfe

von Vesna Peric Zimonjic



Belgrad, 22. Mai (IPS) - Auf dem Balkan hat die schlimmste Flutkatastrophe der letzten 120 Jahre bisher an die 50 Menschenleben gefordert und zehntausende Bosnier, Kroaten und Serben vertrieben. Doch die Not schweißt bekanntlich zusammen - auch in Ex-Jugoslawien. So waren Slowenen und Kroaten zusammen mit Mazedoniern und Montenegrinern als erste in den Katastrophengebieten Bosniens und Serbiens zur Stelle.

"Bosnien erlebt derzeit sein schlimmstes Desaster der Nachkriegszeit", meinte der Staatspräsident von Bosnien-Herzegowina, Bakir Izetbegovic, am 21. Mai gegenüber Journalisten in Sarajewo. Einen Tag zuvor hatte Serbiens Regierungschef Aleksandar Vucic die Überschwemmung als "historisch" und "katastrophal" bezeichnet. Meteorologen in Bosnien, Kroatien und Serbien waren sich einig: Die dreitägigen sintflutartigen Niederschläge im ehemaligen Jugoslawien brachten so viel Regen wie sonst in drei Monaten.

Die Flutkatastrophe habe in Bosnien zur größten Menschenbewegung seit Kriegszeiten geführt, so Izetbegovic. Zehntausende der vier Millionen Bosnier wurden binnen weniger Tage vertrieben. Sie erlebten, wie die Flüsse des Landes über ihre Ufer traten und ihre Häuser mit sich rissen oder unter den Schlamm- und Gesteinsmassen infolge der etwa 3.000 Erdrutsche begruben. Etwa eine Million Menschen seien ohne Trinkwasser, fügte Izetbegovic hinzu.

In Serbien wurden mehr als 30.000 Menschen aus der Stadt Obrenovac, nur 33 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Belgrad evakuiert. Hier befindet sich das größte Wärmekraftwerk des Landes. Die Nikola-Tesla-Anlage versorgt halb Serbien mit Strom.


Der Fluss, der verbindet

Alle Überschwemmungsgebiete in Bosnien und in Kroatien, wo 10.000 Menschen evakuiert werden mussten, sowie in Serbien liegen an der Sava, die in alten Schulbüchern als der Fluss beschrieben wird, "der die Völker Jugoslawiens zusammenhält". Diese Rolle scheint der Strom nun erneut zu spielen, auch wenn es Jugoslawien seit 1991 nicht mehr gibt.

"Es hat mich überrascht, einen Mann in einer nicht-serbischen Uniform zu sehen, der mir zuwinkt und mich zu einem Boot lotst", meinte der 63-jährige Ivica Marjanovic, der am dritten Maiwochenende aus Obrenovac evakuiert wurde. "Erst als er den Mund aufmachte, wurde mir klar, dass er Kroate ist. Er lächelte mich an, ich lächelte zurück und stieg ins Boot. Nie hätte ich erwartet, einmal von einem Kroaten gerettet zu werden." Marjanovic ist in einer der vielen Sporthallen Belgrads untergebracht, die als Notunterkünfte umfunktioniert wurden.

Jugoslawien ist in den Kriegen im Anschluss an den Widerstand Serbiens gegen die Unabhängigkeitsbemühungen von Bosnien, Kroatien und Slowenien auseinandergebrochen. Die blutigen Konflikte dauerten bis 1995 und kosteten mehr als 120.000 Menschen - mehrheitlich Nicht-Serben - das Leben.

Doch die Zeiten ändern sich, und so waren es Slowenen und Kroaten, die zusammen mit Mazedoniern und Montenegrinern Bosniern und Serben in den Überschwemmungsgebieten zu Hilfe eilten. "Das war eine einmalige Erfahrung", meinte ein slowenischer Hubschrauberpilot, der sich Anonymität ausbat, und berichtete, wie sein Team eine Frau aus Obrenovac in ein Krankhaus in Belgrad transportiert habe, wo sie eine Stunde später ein gesundes Baby zur Welt brachte. "Wir sind zwar an solche Dinge von Berufs wegen gewöhnt, doch ist es irgendwie anders, in Serbien oder etwa in Italien unterwegs zu sein. Vielleicht sind es die gemeinsamen Wurzeln, die den Unterschied machen."

Slowenien und Kroatien schickten 30 Mitglieder ihrer Rettungsteams in Hubschrauben mit Schlauchbooten, Wasserpumpen und Wasserfilteranlagen nach Serbien. Mazedonier lieferten Nahrungsmittel und in Flaschen abgefülltes Wasser in die Krisengebiete. Aus Montenegro wiederum reiste eine Militäreinheit nach Serbien an, die die lokalen Sicherheitskräfte bei der Evakuierung der Menschen in Obrenovac unterstützte. Die Kroatische Autobahnbehörde gab bekannt, dass die Fahrzeuge mit den Hilfslieferungen keine Gebühren entrichten müssten.


Gemeinsam auftreten

"Diese Solidarität kommt keineswegs überraschend", erklärte dazu Goran Svilanovic, Generalsekretär des Regionalen Kooperationsrates (RCC), der die Bemühungen um eine verbesserte Zusammenarbeit und Versöhnung dokumentiert. "Es ist sicher besser, dass unsere Länder noch vor der Europäischen Union aktiv werden und gemeinsam um Finanzhilfe ansuchen. Einzeln bei der EU vorzusprechen, hätte sicherlich nicht die gleiche Wirkung."

Serbien ist Anwärter der EU-Mitgliedschaft. Bosnien-Herzegowina hat diesen Status noch nicht erreicht. Kroatien und Slowenien sind bereits Mitglieder in dem 27-Staaten-Verband.

Serbiens Parlamentspräsidentin Maja Gojkovic ist der gleichen Meinung. So betonte sie am 20. Mai gegenüber den serbischen Medien, dass sie das gemeinsame Vorgehen in Bosnien und Serbien für besonders wirkungsvoll halte. Konservativen Schätzungen zufolge dürften die Hochwasser Schäden in Höhe von 500 Millionen Euro - rund 685 Millionen US-Dollar - verursacht haben.

Für die normalen Menschen in der Region ist die Rückkehr der Solidarität unter den Ex-Jugoslawen nichts Ungewöhnliches. "Unsere Sprachen und Lebensweisen sind mehr oder weniger die gleichen. Wir blicken auf ein gemeinsames Erbe zurück", meint die 43-jährige Selma Sebo aus der bosnischen Stadt Tuzla. "Auch teilen wir die Flutkatastrophe, weshalb wir uns gut in die anderen Opfer hineinversetzen können."(Ende/IPS/kb/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/05/balkans-floods-reunite-former-yugoslavs/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2014