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OSTEUROPA/424: Kein Waffenstillstand mit Russland (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 24. April 2025
german-foreign-policy.com

Kein Waffenstillstand mit Russland

Ukraine-Treffen in London bringt keinen Durchbruch zum Waffenstillstand. Selenskyj und Berlin verweigern Zugeständnisse an Russland, wie sie wachsende Teile der ukrainischen Bevölkerung inzwischen befürworten.


KIEW/LON­DON/BER­LIN - Der von Wa­shing­ton er­hoff­te Durch­bruch hin zu einem Waf­fen­still­stand im Ukrai­ne-Krieg ist auf dem gest­ri­gen Ukrai­ne-Tref­fen in Lon­don aus­ge­blie­ben. Die Trump-Ad­mi­nis­tra­ti­on hatte, wie in­zwi­schen be­kannt wurde, Kiew auf dem vor­he­ri­gen Ukrai­ne-Tref­fen am ver­gan­ge­nen Don­ners­tag in Paris einen Plan vor­ge­legt, der den Krieg be­en­den soll, indem die rus­si­sche Kon­trol­le über die be­setz­ten Ter-

ri­to­ri­en der Ukrai­ne an­er­kannt und eine ukrai­ni­sche NATO-Mit­glied­schaft aus­ge­schlos­sen wird. Die USA wol­len zudem die Zu­ge­hö­rig­keit der Krim zur Rus­si­schen Fö­de­ra­ti­on ju­ris­tisch an­er­ken­nen. Im Ge­gen­zug wer­den Kiew eu­ro­päi­sche "Frie­dens­trup­pen" und Wie­der­auf­bau­hil­fen zu­ge­sagt. Ber­lin lehnt ter­ri­to­ria­le Zu­ge­ständ­nis­se sowie einen Ver­zicht auf eine ukrai­ni­sche NATO-Mit­glied­schaft wei­ter­hin ab. Of­fen­bar auf

ähn­li­che Po­si­tio­nen auch in an­de­ren Staa­ten West­eu­ro­pas ge­stützt, wies der ukrai­ni­sche Prä­si­dent Wo­lo­dy­myr Se­len­skyj den US-Plan schon vorab zu­rück. Des­sen Schei­tern und damit die Fort­füh­rung des Krie­ges rü­cken näher. Dabei sind wach­sen­de Teile der Be­völ­ke­rung der Ukrai­ne zu ter­ri­to­ria­len Zu­ge­ständ­nis­sen an Russ­land und zum Ver­zicht auf eine NATO-Mit­glied­schaft be­reit.

"Letz­tes An­ge­bot"

Vor dem Ukrai­ne-Tref­fen am gest­ri­gen Mitt­woch in Lon­don hatte die Trump-Ad­mi­nis­tra­ti­on klar­ge­stellt, sie er­war­te bei der Zu­sam­men­kunft eine ver­bind­li­che Ant­wort Kiews auf einen Plan, den US-Re­gie­rungs­mit­ar­bei­ter auf dem Ukrai­ne-Tref­fen am ver­gan­ge­nen Don­ners­tag in Paris ihren ukrai­ni­schen Ge­sprächs­part­nern über­ge­ben hat­ten. Laut In­for­ma­tio­nen des US-Nach­rich­ten­por­tals Axios stell­te Wa­shing­ton den Plan als "letz­tes An­ge­bot" dar und teil­te mit, sich im Falle sei­ner Ab­leh­nung aus den Ver­hand­lun­gen über eine Be­en­di­gung des Ukrai­ne-Krie­ges zu­rück­zu­zie­hen. Trump stellt dem­zu­fol­ge die ju­ris­ti­sche An­er­ken­nung der rus­si­schen Kon­trol­le über die Krim durch die Ver­ei­nig­ten Staa­ten in Aus­sicht, und er ver­langt dar­über hin­aus eine De-facto-An­er­ken­nung der rus­si­schen Kon­trol­le über die be­setz­ten Ter­ri­to­ri­en auf dem ukrai­ni­schen Fest­land. Zudem ist ein "Ver­spre­chen" vor­ge­se­hen, dass die Ukrai­ne der NATO nicht bei­tre­te.[1] Im Ge­gen­zug ist eine "ro­bus­te Si­cher­heits­ga­ran­tie" ge­plant, die of­fen­bar so­ge­nann­te Frie-

dens­trup­pen aus eu­ro­päi­schen und wo­mög­lich au­ßer­eu­ro­päi­schen Län­dern um­fasst; dies hat Russ­land bis­her strikt ab­ge­lehnt. Davon ab­ge­se­hen soll die Ukrai­ne Wie­der­auf­bau­hil­fen er­hal­ten, wäh­rend Russ­land von einer Auf­he­bung sämt­li­cher seit 2014 ver­häng­ten Sank­tio­nen pro­fi­tie­ren soll.

Eu­ro­pas "rote Li­ni­en"

Der Vor­schlag ist dem In­halt nach nicht wirk­lich neu; meh­re­re Kern­ele­men­te wur­den schon vor rund zwei Jah­ren bei­spiels­wei­se in au­ßen­po­li­ti­schen Krei­sen in den USA dis­ku­tiert (ger­man-for­eign-po­li­cy.com be­rich­te­te [2]). Dies trifft ins­be­son­de­re auf das Vor­ha­ben zu, den Front­ver­lauf ein­zu­frie­ren und die rus­si­sche Be­set­zung der Ter­ri­to­ri­en öst­lich bzw. süd­lich der Front zwar nicht völ­ker­recht­lich, aber doch de facto an­zu­er­ken­nen sowie die ab­schlie­ßen­de völ­ker­recht­li­che Klä­rung ihrer Zu­ge­hö­rig­keit in eine un­be­stimm­te Zu­kunft zu ver­la­gern. Eine ver­gleich­ba­re Re­ge­lung er­mög­lich­te einst das Ne­ben­ein­an­der von BRD und DDR; auch die De­mar­ka­ti­ons­li­nie zwi­schen Nord- und Süd­ko­rea wird ähn­lich be­han­delt, was be­reits vor vie­len Jahr­zehn­ten die Ein­stel­lung der dor­ti­gen Kämp­fe er­mög­licht hat. Laut Be­rich­ten haben auf dem Pa­ri­ser Ukrai­ne-Tref­fen am ver­gan­ge­nen Don­ners­tag die be­tei­lig­ten Staa­ten Eu­ro­pas - Deutsch­land, Frank­reich, Großbri­tan­ni­en - ih­rer­seits den Ver­ei­nig­ten Staa­ten ihre "roten Li­ni­en" über­mit­telt.[3] Wel­che das sind, ist un­klar. Tat­sa­che ist aber, dass der ukrai­ni­sche Prä­si­dent Wo­lo­dy­myr Se­len­skyj

vor dem gest­ri­gen Lon­do­ner Tref­fen - das be­rich­te­ten US-Me­di­en - ver­schie­de­ne Ele­men­te des US-Plans schroff ab­ge­wie­sen hat, neben einer De-facto-An­er­ken­nung der rus­si­schen Kon­trol­le über be­setz­te Ter­ri­to­ri­en etwa das Vor­ha­ben, das Kern­kraft­werk Sa­po­risch­sch­ja den USA zu un­ter­stel­len.[4] Tat­sa­che ist eben­falls, dass eine Fort­füh­rung des Krie­ges zwar die Ukrai­ne und ihre Be­völ­ke­rung wei­ter auf­rei­ben, doch zu­gleich auch Russ­land Kräf­te rau­ben würde - ein Re­sul­tat, das den Staa­ten West­eu­ro­pas und vor allem Deutsch­land, das sich um seine Do­mi­nanz über Ost­eu­ro­pa sorgt, will­kom­men wäre.

Deutsch­lands Po­si­tio­nen

Deutsch­land lehnt ent­spre­chend wei­ter­hin zen­tra­le Ele­men­te des ak­tu­el­len US-Plans ab. So wird etwa der au­ßen­po­li­ti­sche Spre­cher der CDU/CSU-Bun­des­tags­frak­ti­on, Jür­gen Hardt, mit der Aus­sa­ge zi­tiert, eine An­er­ken­nung der Zu­ge­hö­rig­keit der Krim zur Rus­si­schen Fö­de­ra­ti­on komme kei­nes­falls in Frage: "Es wäre ... po­li­tisch ver­hee­rend, wenn Russ­lands Ag­gres­si­on be­lohnt würde."[5] Hardt äu­ßer­te au­ßer­dem, "für die künf­ti­ge Bun­des­re­gie­rung" sei es "klar", dass sie fest zu einer "Nato-Bei­tritts­per­spek­ti­ve für die Ukrai­ne" stehe. Der au­ßen­po­li­ti­sche Spre­cher der SPD-Bun­des­tags­frak­ti­on, Nils Schmid, sagte sei­ner­seits, "die For­de­run­gen nach end­gül­ti­gen Ge­biets­ab­trit­ten und der dau­er­haf­te Ver­zicht auf eine Nato-Mit­glied­schaft" lie­fen auf "einen mas­si­ven Ein­griff in staat­li­che Sou­ve­rä­ni­täts­rech­te der Ukrai­ne" hin­aus.

Das ließ sich als eine deut­li­che Zu­rück­wei­sung des US-Plans be­grei­fen. Schmid er­klär­te al­ler­dings auch, eine "ro­bus­te Si­cher­heits­ga­ran­tie" durch vor­wie­gend eu­ro­päi­sche "Frie­dens­trup­pen" sei ohne Un­ter­stüt­zung durch die Ver­ei­nig­ten Staa­ten "kaum vor­stell­bar"; die USA müss­ten ihr also Rück­halt bie­ten. Nun ist aber eben­falls kaum vor­stell­bar, dass die Trump-Ad­mi­nis­tra­ti­on eu­ro­päi­schen Trup­pen Un­ter­stüt­zung wel­cher Art auch immer ge­wäh­ren würde, soll­te ihr Plan zur Be­en­di­gung des Ukrai­ne-Kriegs, ihr "letz­tes An­ge­bot", schei­tern.

Die Wün­sche der Ukrai­ner

Dabei gerät die ri­gi­de Po­si­ti­on Ber­lins immer deut­li­cher in Wi­der­spruch zu den Po­si­tio­nen, die in der ukrai­ni­schen Be­völ­ke­rung ver­tre­ten wer­den. Dies be­le­gen re­gel­mä­ßig wie­der­hol­te Um­fra­gen des Kyiv In­ter­na­tio­nal In­sti­tu­te of So­cio­lo­gy (KIIS). Dem­nach ist der An­teil der Ukrai­ner, die zu ter­ri­to­ria­len Zu­ge­ständ­nis­sen an Russ­land be­reit sind, um end­lich Frie­den zu er­hal­ten, von neun Pro­zent der Be­völ­ke­rung im Fe­bru­ar 2023 auf im­mer­hin 39 Pro­zent im Fe­bru­ar/März 2025 ge­stie­gen, wäh­rend der An­teil derer, die ter­ri­to­ria­le Zu­ge­ständ­nis­se strikt ab­leh­nen, im sel­ben Zeit­raum von 87 Pro­zent auf 50 Pro­zent ge­fal­len ist.[6] Auch in Bezug auf eine NATO-Mit­glied­schaft der Ukrai­ne zeich­net sich in den jüngs­ten Um­fra­gen des KIIS eine wach­sen­de Be­reit­schaft zu Zu­ge­ständ­nis­sen ab. So könn­ten sich be­reits 44 Pro­zent der Ukrai­ner mit dem Ver­zicht auf eine Mit­glied­schaft in

dem Mi­li­tär­bünd­nis ab­fin­den, wenn ihr Land dafür in die EU auf­ge­nom­men würde. In die­sem Falle käme für sie sogar ein Ver­zicht auf die Sta­tio­nie­rung eu­ro­päi­scher "Frie­dens­trup­pen" und auf zu­sätz­li­che Waf­fen­lie­fe­run­gen in Be­tracht. Ab­leh­nen wür­den ein sol­ches Lö­sungs­pa­ket nur 44 Pro­zent der Be­völ­ke­rung. Wür­den eu­ro­päi­sche "Frie­dens­trup­pen" in die Ukrai­ne ent­sandt, dann nähme die Zu­stim­mung zu dem Lö­sungs­pa­ket wei­ter zu.

Nur auf Be­ra­ter­ebe­ne

Das gest­ri­ge Lon­do­ner Tref­fen hat, so­weit bis­lang be­kannt, in die­sem Sinne keine Fort­schrit­te ge­bracht. Ei­gent­lich als Au­ßen­mi­nis­ter­tref­fen ge­plant, wurde es kurz­fris­tig zu einem Tref­fen auf Be­ra­ter­ebe­ne her­ab­ge­stuft; US-Au­ßen­mi­nis­ter Marco Rubio sagte seine Teil­nah­me ab, als Äu­ße­run­gen des ukrai­ni­schen Prä­si­den­ten Wo­lo­dy­myr Se­len­skyj er­ken­nen las­sen hat­ten, dass Kiew das "letz­te An­ge­bot" der Trump-Ad­mi­nis­tra­ti­on - je­den­falls zum jet­zi­gen Zeit­punkt - nicht an-

neh­men werde. Dar­auf­hin teil­te auch Frank­reichs Au­ßen­mi­nis­ter Jean-Noël Bar­rot mit, er werde nicht in die bri­ti­sche Haupt­stadt rei­sen. Die Bun­des­re­pu­blik war letz­ten Endes mit dem au­ßen­po­li­ti­schen Be­ra­ter des schei­den­den Bun­des­kanz­lers Olaf Scholz, Jens Plöt­ner, und dem Po­li­ti­schen Di­rek­tor des Aus­wär­ti­gen Amts ver­tre­ten.[7] US-Vi­ze­prä­si­dent JD Vance, der sich zur Zeit in In­di­en auf­hält, er­klär­te am Mitt­woch in New Delhi: "Wir haben so­wohl den Rus­sen als auch den Ukrai­nern einen ein­deu­ti­gen Vor­schlag un- ter­brei­tet, und es ist an der Zeit, dass sie ent­we­der Ja sagen oder dass die Ver­ei­nig­ten Staa­ten sich aus die­sem Pro­zess zu­rück­zie­hen."[8] Am Sams­tag wol­len US-Prä­si­dent Do­nald Trump und Se­len­skyj in Rom ein­tref­fen, um an den Trau­er­fei­ern zum Tod von Papst Fran­zis­kus teil­zu­neh­men. Noch am Mitt­woch­mor­gen war spe­ku­liert wor­den, beide könn­ten dies zu Ge­sprä­chen am Rande der Fei­er­lich­kei­ten nut­zen. Ob es trotz des Aus­blei­bens eines ech­ten Durch­bruchs am gest­ri­gen Mitt­woch dazu kommt, ist un­ge­wiss.


Anmerkungen:

[1] Barak Ravid: Trump's "final offer" for peace requires Ukraine to accept Russian occupation. axios.com 22.04.2025.

[2] S. dazu Der Korea-Krieg als Modell,
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9256
Der Übergang zur Diplomatie (I)
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9279
und Der Übergang zur Diplomatie (II).
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9280

[3] Europeans outlined non-negotiable issues to US for Ukraine-Russia peace deal, French minister says. msn.com 22.04.2025.

[4] Ian Lovett, Jane Lytnynenko, Benoit Faucon: Ukraine's Zelensky Pushes Back on U.S. Peace Plan. wsj.com 22.04.2025.

[5] Berlin. ad-hoc-news.de 23.04.2025.

[6] Dynamics of readiness for territorial concessions and the role of individual parameters in possible peace agreements (and attitudes towards 96 options for peace agreements). kiis.com.ua 14.03.2025.

[7] Johannes Leithäuser, Stefan Locke, Friedrich Schmidt, Michaela Wiegel: Auf das Angebot folgt die Absage. Frankfurter Allgemeine Zeitung 24.04.2025.

[8] Rubio fehlt bei Ukrainegesprächen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 24.04.2025.


Link zur Erstveröffentlichung:
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9948

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 25. April 2025

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