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OZEANIEN/017: Australien - Scharfe Kritik an der Flüchtlingspolitik der Regierung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. April 2011

Australien: "Aus Fehlern nichts gelernt" - Scharfe Kritik an der Flüchtlingspolitik der Regierung

Von Stephen de Tarczynski


Melbourne, 19. April (IPS) - Mohammed Asif Atay wurde nur 20 Jahre alt. Am 28. März erhängte sich der junge afghanische Flüchtling im australischen 'Zentrum für Asylbewerber' im nordwestlichen Curtin. Knapp zwei Wochen zuvor hatte sich Atays gleichaltriger Landsmann Megdad Hussein, der in einem anderen Flüchtlingslager im Nordosten Australiens inhaftiert war, das Leben genommen.

Die angesichts steigender Flüchtlingszahlen rigider werdende Flüchtlingspolitik der australischen Regierung gerät zunehmend in die Kritik internationaler und einheimischer Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen. Entgegen früherer Versprechen lässt die Labour-Regierung unter Ministerpräsidentin Julia Gillard illegale Flüchtlinge, die übers Meer kommen, bis zu zwei Jahre lang in Lager sperren, um ihre Identität und ihren Gesundheitszustand zu überprüfen und mögliche Sicherheitsrisiken abzuklären.

Die unbestimmte Dauer des Zwangsaufenthalts hinter Zäunen und Gittern und das Warten auf den ungewissen Ausgang der Asylverfahren lässt viele Flüchtlinge verzweifeln. Allein in den vergangenen sieben Monaten begingen sechs Lagerinsassen Selbstmord. Selbstverletzungen verstörter Asylsuchender gehören nach Berichten von 'Amnesty International' zum Alltag in den so genannten Einwanderungszentren auf dem Festland und auf Christian Island.

"Die zahlreichen Berichte, die wir erhalten, kommen immer zum gleichen Ergebnis: Die Flüchtlinge leiden unter der langen, ungewissen Zwangshaft", stellte Ian Rintoul, der Sprecher der im Jahr 2000 gegründeten 'Refugee Action Coalition' (RAC), fest. Nach jüngsten Angaben des australischen Einwanderungs- und Staatsbürgerschaftsministeriums (DIAC) lebten am 18. Februar 6.758 Menschen in Auffanglagern für Flüchtlinge. 95 Prozent haben Asyl beantragt.

Obwohl die Vorschriften vorsehen, dass die Überprüfung illegaler Flüchtlinge nicht länger als 90 Tage dauert, haben mehr als 3.100 Flüchtlinge bislang zwischen sechs und zwölf Monate im Lager zugebracht, weitere 500 Menschen leben seit über einem Jahr hier, manche warten noch länger auf einen Bescheid.

Australiens Flüchtlingsrat, der mehr als 130 Organisationen vertritt, hat die Regierung aufgefordert, die 2008 angekündigten Reformen endlich umzusetzen und mit der Zwangsinhaftierung so genannter illegaler Ankömmlinge Schluss zu machen. "Aus unserer Sicht ist das System zusammengebrochen", erklärte Sophie Peer vom Flüchtlingsrat.


Freiheit statt Pillen und Psychiater

Angesichts der jüngsten Selbstmordfälle in australischen Flüchtlingslagern hat das Einwanderungsministerium gegenüber IPS angekündigt, man werde Insassen mit psychischen Schwierigkeiten von Spezialisten betreuen lassen. Eine Revision der psychologischen Programme werde vorbereitet, versicherte ein Sprecher. Es stehe jedoch noch nicht fest, wer diese Aufgabe übernehmen soll.

Der Aktivist Rintoul ist skeptisch. "Mit Pillen und Psychiatern ist den verzweifelten Menschen nicht zu helfen. Sie wollen einfach raus aus den Lagern, und solange sich dort nichts ändert, wird es weiter Selbstmordversuche und Selbstverletzungen geben." (Ende/IPS/mp/2011)


Links:
http://reeeaction.org.au/
http://www.amnesty.org.au
http://www.refugeecouncil.org.au
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=55307

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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2011