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RUSSLAND/160: Die KPRF will auf die junge Generation zugehen (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 11 vom 15. März 2013
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Die KPRF will auf die junge Generation zugehen
Der 15. Parteitag der KP der Russischen Föderation

von Heinz Stehr



Am 23. und 24. Februar fand in Moskau der 15. Parteitag der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation statt. Er hatte die Aufgabe, den politischen Bericht des Zentralkomitees an den 15. Parteitag zu diskutieren und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Darüber hinaus gab es die Berichte der zentralen Kommissionen.

Programmatische Veränderungen wurden diskutiert. Das Zentralkomitee wurde neu gewählt, ebenso die zentralen Kommissionen der KPRF. Der Parteitag fand zum 20. Jahrestag der Gründung der Partei statt. 95 ausländische Organisationen nahmen an dem Kongress teil, darunter auch viele Gäste aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, aus den sozialistischen Ländern Kuba, Vietnam, China, Laos und der KDVR. Die KPRF hatte auch einige Linksparteien eingeladen. So nahmen aus Deutschland für die DKP Heinz Stehr, für die Partei "Die Linke" Wolfgang Gehrcke am Parteitag und der anschließenden internationalen Konferenz zum Thema "Das Antlitz des Sozialismus, für den wir kämpfen" teil. 324 Delegierte wählten das neue Zentralkomitee, das aus ihrer Mitte den Vorsitzenden, die Stellvertreter und das Sekretariat des Zentralkomitees wählte. Erneut wurde Gennadi Sjuganow zum Vorsitzenden gewählt. Das Sekretariat wurde deutlich verjüngt; einige Genossen im Alter zwischen 30 und 40 Jahren wurden deren Mitglied. Auch damit, so brachte es Gennadi Sjuganow in seinem Schlusswort zum Ausdruck, soll die Orientierung auf die Zukunft ausgedrückt werden. Eine Hauptaufgabe der nächsten Zeit sei es, die junge Generation mit der Politik der KPRF anzusprechen. Sjuganow hob hervor, der Erfolg bei den Präsidentschaftswahlen zeige, dass die KPRF neue Chancen habe stärker zu werden und Einfluss zu gewinnen. Das unterstrich auch ein Delegierter aus der Moskauer Region, der berichtete, dass 3.000 neue Mitglieder gewonnen wurden, dass in einer Kampagne eine Million Unterschriften für die politischen Zielstellung gesammelt wurden und die Partei wesentlich mehr durch eigene Kleinzeitungen in der Öffentlichkeit präsent ist.

Ein Diskussionspunkt in der Partei ist das Verhältnis von außerparlamentarischer zu parlamentarischer Tätigkeit. Ein Genosse betonte, dass eine Entgegenstellung aus seiner Sicht falsch sei und es darum gehe, beides miteinander zu verbinden. In vielen Diskussionen spielte neben der sozialen Frage die Bewahrung der nationalen Identität eine große Rolle.

Ein Genosse thematisierte die Frage, ob es nötig wäre, mit anderen linken politischen Kräften zusammenzuarbeiten. Er argumentierte mit seinen Erfahrungen: dies sei die Voraussetzung für eine Änderung des Kräfteverhältnisses. Ein Genosse aus dem Gebiet Rjasan informierte, es habe Umfragen gegeben, die belegen, dass 51 Prozent der Befragten in seiner Region die Sowjetunion zurückhaben wollten. Er verwies auf die 12 Millionen Wählerinnen und Wählerstimmen, die die KPRF bei den Präsidentschaftswahlen bekommen hat und schloss daraus, dass massenwirksamere Politik möglich sei.

Da dies der "Tag der Armee" war, wurde einstimmig ein Aufruf "Lang lebe die Armee" verabschiedet. Dieser ist nach den Aussagen mit dem jetzigen Verteidigungsminister abgesprochen worden. Hochrangige Militärs nahmen in Uniform als Delegierte im Präsidium des Parteivorstandes teil. Mit großem Beifall wurde die Grußadresse des weißrussischen Präsidenten Lukaschenko aufgenommen.

Die Berichte aus den Regionen zeigten die sehr unterschiedlichen politischen Herausforderungen, zum Beispiel wenn Genossen aus der Tätigkeit in der Moskauer Duma berichteten und ein Genosse aus Dagestan, einem Teil Russlands, in dem religiöse Kräfte versuchen, den Einfluss des Islam zu stärken.

Ein junger Genosse aus Karelien stellte sich als Arbeiter aus einem Konzernbetrieb vor und informierte über den Kampf für die Rechte der Beschäftigten. Weiter berichtete er über die Schwierigkeiten, mit der derzeitigen Agitation und Propaganda die Köpfe seiner Kolleginnen und Kollegen zu erreichen.

Besonders schwierig sei das, wenn es um die junge Generation gehe, die nicht gewohnt sei längere Texte zu lesen. Er forderte ein Umdenken in der Partei zu diesem Problem. Die Frage der notwendigen ideologischen Arbeit unter der Jugend war auch Gegenstand anderer Diskussionsbeiträge. Dabei wurde thematisiert, dass die faschistische Gefahr ständig größer wird. Die Verbindung des Internationalismus zur nationalen Frage müsse genauer definiert werden, um dem Anspruch, internationalistische Politik zu gestalten, besser gerecht werden zu können. Die Debatte zeigte eine breite Palette von Fragen, wie sie heute ähnlich auch in anderen kommunistischen und Arbeiterparteien, aber auch in linken Parteien diskutiert werden. Eine besondere Situation ergibt sich daraus, dass die KPRF auf dem Boden einer ehemals sozialistischen Großmacht existiert und arbeitet. Es bedurfte und es bedarf sehr viel Zeit, um die Folgen der Niederlage des Sozialismus, des Zusammenbruchs und der Zerschlagung zu verarbeiten und zugleich den Herausforderungen von heute und für die Zukunft gerecht zu werden, war nach diesem Parteitag mein Eindruck.

Am 25. Februar schloss sich dem Parteitag der "Runde Tisch" zum Thema "Das Antlitz des Sozialismus, für den wir kämpfen" an. Während dieser internationalen Beratung wurden mehr als zehn Stunden lang Statements zum Thema vorgetragen. Vertreterinnen und Vertreter von Parteien nutzten auch die Gelegenheit, um über das eigene Land, die eigene Partei und Ansichten zu anderen Themen zu informieren. Leider war unter diesen Rahmenbedingungen eine Diskussion nicht möglich. Dennoch war es sehr interessant, zum Beispiel von den Genossinnen und Genossen aus den arabischen Ländern Informationen über die aktuellen Auseinandersetzungen zu erhalten.

Wie immer bei solchen Parteitage, gab es zahlreiche Möglichkeiten zu zweiund mehrseitigen Gesprächen. Im Rahmen des Aufenthaltes nutzte ich sie intensiv, um mit Genossinnen und Genossen aus Kuba, Venezuela, Nicaragua, Frankreich, Spanien, Dänemark und anderen europäischen Ländern zu reden sowie neue Kontakte zu Genossinnen und Genossen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken herzustellen.

Redakteure der "Prawda" nutzten den Parteitag zu Interviews mit Vertretern anderer Parteien, so auch mit mir, um die Sichtweise der jeweiligen Parteien auf die Folgen der Krise kennen zu lernen oder durch ihre Zeitung über Aktionen in den jeweiligen Ländern zu informieren.

Wolfgang Gehrcke formulierte im Rahmen der Konferenz für die Partei "Die Linke" einen Vorschlag zur Zusammenarbeit zwischen kommunistischen und linken Parteien auf drei Feldern:

  • Kampf um Frieden und Abrüstung, gegen jedwede militärische Aggressionspolitik des Imperialismus,
  • gegenseitige Unterstützung im Kampf für die sozialen Leistungen und Rechte,
  • Kampf gegen reaktionäre und faschistische Formierung in den einzelnen Ländern.

Für die DKP setzte ich mich, ausgehend vom DKP-Programm, mit der Frage auseinander, warum in unserem Lande keine politischen Alternativen für die Massen erkennbar sind. Ich zitierte die Kernelemente zukünftiger Sozialismusvorstellungen und des Weges zum Sozialismus aus dem DKP-Programm 2006 und hob die Dialektik von Abwehrkämpfen, Kampf um progressive Reformen und um sozialistische Veränderungen hervor. Entsprechend der Beschlusslage der DKP warb ich dafür, die Zusammenarbeit zwischen kommunistischen und Arbeiterparteien und mit anderen linken Parteien zu verstärken. Zu einer organisierten Zusammenarbeit gehören die Gleichberechtigung aller Parteien und ein demokratisch-internationalistischer Umgang miteinander.


Einige Inhalte des politischen Berichtes des Zentralkomitees der KPRF an den 15. Parteitag

• Die zunehmende Aggressivität des Kapitalismus bedeutet große Gefahren für die Existenz der Menschheit und ist zugleich ein Merkmal des Niedergangs dieses Systems. Fortschrittliche antiimperialistische Prozesse gewinnen an Kraft. Objektiv begünstigen sie auch Sozialismusvorstellungen. Aber ohne den subjektiven Faktor kann die revolutionäre Umgestaltung der Welt nicht zustande kommen. Zurzeit wirken über hundert kommunistische und Arbeiterparteien in der Welt.

• In der so genannten "Reformzeit" in Russland sind zwei Drittel der Industrie und über die Hälfte der Landwirtschaft verloren gegangen. Die Überreste der Industrie machen nur noch 36 Prozent der gesamten Wirtschaft aus, nur noch 4 Prozent die der Landwirtschaft. 60 Prozent des Haushaltsvolumens wird durch Erdöl- und Gaseinkommen erwirtschaftet. Das Land ist zum Rohstofflieferanten umgestaltet. Es ist gleichzeitig Absatzmarkt für die globalen Monopole geworden. Die seit über 20 Jahren betriebene Deindustrialisierung führte auch zur Schrumpfung der Arbeiterklasse. In den letzten zehn Jahren verminderte sich die Zahl der Beschäftigten in der materiellen Produktion um fünf Millionen Menschen. Nach den Zahlen von CreditSuisse leben 91 Prozent der Menschen Russlands nach europäischen Maßstäben in Armut. Der durchschnittliche Lohn im Bauwesen und in der Verarbeitungsindustrie beträgt 24.000 bis 25.000 Rubel = 600 Euro, in der Leichtindustrie 12.000 Rubel = 300 Euro. Die Landwirtschaft ist in einem Notzustand. 30.000 Dörfer sind inzwischen verschwunden.

• 0,2 Prozent der Bevölkerung, die Großbourgeoisie, besitzen 70 Prozent des gesamten Eigentums. Die Lebenserwartung der Männer beträgt 60, der Frauen 70 Jahre. Die Kriminalität wächst ständig. 2011 sind durch kriminelle Taten 40.000 Menschen umgekommen.

• In der neuen Fassung des Parteiprogramms der KPRF hat die Partei ihre Vision vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts dargelegt. Die Mitgliederzahl in der KPRF nahm im Berichtszeitraum auf 158.000 Mitglieder zu. Im Zuge des Lenin- und Stalin-Aufgebotes wurden zwischen 2009 und 2011 30.000 Mitglieder aufgenommen. 12 Prozent der Mitglieder sind Arbeiter, 12 Prozent Bauern, 44 Prozent der Mitglieder sind Rentner, 10 Prozent junge Menschen, 34,4 Prozent sind Frauen. Es wirken in Russland 81 regionale, 2.278 lokale und 13.726 Grundparteiorganisationen. Der Mitgliedsbeitrag im Monat beträgt 49,90 Rubel, das sind 1,20 Euro. In Moskau beträgt der Durchschnittsbeitrag 500 Rubel = ca. 5,- Euro. Die Partei besitzt Eigentum im Wert von 75,6 Millionen Rubel, darunter drei Druckereien, Verlage und Zeitungen (Prawda, Sowjetskaja Rossija). Die KPRF konnte bei den letzten Präsidentschaftswahlen neue Stimmen gewinnen.

• Die KPRF betont, dass es um eine Zusammenführung des sozialen und Klassenkampfes mit dem nationalen Befreiungskampf gehe. Sie definiert, dass Russland heute unter Okkupation existiert. Entsprechend wird die nationale Frage betont.

• Die KPRF hat eigene Fraktionen in 79 regionalen und lokalen gewählten Gremien. Sie hat der Öffentlichkeit ein detailliertes Programm unter dem Titel: "Neue Wirtschaftspolitik" vorgestellt.


Zusammenstellung und Übersetzung: Dr. Anatoli Popow, Botschaftsrat i. R.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 45. Jahrgang, Nr. 11 vom 15. März 2013, Seite 7
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2013