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BERUF/1512: Spezialisierung hat ihren Preis (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 138/Dezember 2012
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Spezialisierung hat ihren Preis
Die Breite der Ausbildung beeinflusst die Chancen auf dem Arbeitsmarkt

von Christian Ebner



Kurz gefasst: Die Chancen, nach der Berufsausbildung eine angemessene Arbeit zu finden, unterscheiden sich zwischen Ländern mit einem dualem Ausbildungssystem deutlich. Das hoch spezialisiert ausbildende deutsche System scheint den Zugang zu (entfristeten) Stellen zu erschweren. Die beruflich sehr breit ausbildende dänische Ausbildung geht dagegen mit einem erhöhten Risiko von unterwertiger Beschäftigung in jungen Lebensjahren einher.


Die kritische Phase des Übergangs junger Menschen von der Ausbildung in den Arbeitsmarkt ist häufig international vergleichend erforscht worden. Dabei werden nicht nur Länder mit unterschiedlicher Wirtschaftsstruktur oder verschiedenartigen institutionellen Regelungen - etwa zum Kündigungsschutz - einander gegenübergestellt. Vor allem zeigen die Ergebnisse immer wieder, dass es für eine gelungene Arbeitsmarktintegration auf das landesspezifische Ausbildungssystem ankommt.

Grob lassen sich drei Ländergruppen unterscheiden: Einmal Länder, die ausschließlich in den Betrieben ausbilden und in denen auch Kompetenzen sehr stark auf den jeweiligen Betrieb zugeschnitten sind (training on the job). Zweitens die Ländergruppe, die ihren Nachwuchs in beruflichen Schulen auf die Arbeitswelt vorbereitet. Zwar sind Ausbildungsinhalte hier zwischen verschiedenen Betrieben besser übertragbar, Praxiswissen wird jedoch in Schulen wenig oder gar nicht vermittelt. Und drittens das Ländersegment mit einem stark ausgebauten dualen Ausbildungssystem. Jugendliche verbringen hier Lernzeit sowohl im Unternehmen wie auch in der Berufsschule und erwerben theoretisches Knowhow und Praxiswissen. Vor allem in diesem Ländersegment schaffen Jugendliche einen vergleichsweise reibungslosen Arbeitsmarkteinstieg, was sich etwa in niedrigen Jugendarbeitslosenquoten niederschlägt. Neben Deutschland gehören zu dieser Ländergruppe auch Österreich, die Schweiz und Dänemark.

Die Frage, welche Unterschiede sich beim Arbeitsmarkteinstieg junger Menschen innerhalb der Ländergruppe mit dualem Ausbildungssystem zeigen und worauf diese zurückzuführen sind, wurde jedoch noch nicht zufriedenstellend beantwortet. Meine Studie "Von der Lehre in den Arbeitsmarkt. Die duale Berufsausbildung im internationalen Vergleich", die 2013 gedruckt vorliegen wird, soll diese Lücke schließen. Untersucht wurden erstens im Detail die Bildungs- und Ausbildungssysteme der vier Untersuchungsländer: Ist duale Ausbildung gleich duale Ausbildung? Und wie verhält sich diese zu anderen Bildungsgängen wie etwa zu akademischer Bildung? Zweitens war von Interesse, ob die Absolventen der dualen Ausbildungssysteme tatsächlich auch unterschiedliche Chancen und Risiken auf dem Arbeitsmarkt aufweisen. Hat das duale Ausbildungssystem in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Dänemark die Funktion eines Sicherheitsnetzes, kann es also vor Erwerbslosigkeit und prekärer Beschäftigung schützen? Und schließlich wurde untersucht, welche beruflichen Ränge junge Menschen mit einem dualen Berufsabschluss besetzen.

Bereits die Untersuchung der Bildungssysteme lässt Länderdifferenzen erkennbar werden. Zwar liegt der Anteil junger Menschen mit dualem Berufsabschluss in allen vier untersuchten Ländern auf einem sehr hohen Niveau. In Österreich erwerben aber auch vergleichsweise viele junge Menschen einen vollzeitschulischen Ausbildungsabschluss, insbesondere an den fünfjährigen Berufsbildenden höheren Schulen (BHS), die auch eine Hochschulzugangsberechtigung (Matura) verleihen. In der Schweiz haben im Vier-Länder-Vergleich besonders viele Absolventen einen Abschluss der sogenannten Tertiärstufe B, also zum Beispiel an einer Höheren Fachschule, während in Dänemark die Tertiärstufe A, der Hochschulsektor, dominant erscheint.

Aber auch die dualen Ausbildungssysteme in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Dänemark können anhand verschiedener Merkmale voneinander unterschieden werden. So wurde etwa die berufliche Spezialisierung innerhalb des dualen Ausbildungssystems anhand folgender drei Indikatoren festgemacht: der Zahl der anerkannten Ausbildungsberufe, der Institutionalisierung einer Grundausbildung im Vorfeld der dualen Berufsausbildung sowie der Möglichkeit, einen Abschluss in mehreren Ausbildungsberufen zu erwerben. Die Zahl der anerkannten Ausbildungsberufe liegt in Deutschland mit rund 350 bei weitem am höchsten, gefolgt von der Schweiz und Österreich mit rund 250 und schließlich Dänemark mit knapp 150. Mit zunehmender Zahl anerkannter Ausbildungsberufe ist anzunehmen, dass die Ausbildungen spezialisierter sind und das Spektrum der Berufe, die ausgeübt werden können, schmaler wird. Einer solchen Verengung stehen etwa institutionalisierte Grundausbildungsphasen entgegen, die die inhaltliche Breite der Ausbildung erhöhen. Das gibt es in Dänemark und Österreich mit dem Polytechnischen Lehrgang. Ein anderes Mittel gegen zu große Spezialisierung sind Abschlüsse in gleich zwei Ausbildungsberufen. Das ist bisher lediglich in Österreich mit seinen "Doppellehren" möglich.

Zusammenfassend lässt sich der Grad der beruflichen Spezialisierung folgendermaßen beschreiben: In Dänemark ist die Ausbildung am wenigsten spezialisiert, in deutlichem Gegensatz zu Deutschland, Österreich und der Schweiz. In Deutschland ist die berufliche Spezialisierung sehr hoch, höher als in der Schweiz und Österreich, die eine Mittelposition einnehmen. Ist eine hohe berufliche Spezialisierung für Jugendliche von Vorteil oder schränkt sie möglicherwiese sogar deren Mobilität auf dem Arbeitsmarkt ein? Wie leicht finden Absolventen in den verschiedenen Ländern Arbeit - und welche?

Um den Effekt des Ausbildungssystems auf die Arbeitsmarktpositionierung präzise zu messen und vergleichbar zu machen, wird das jeweils in dem Land bestehende Risiko berechnet, erwerbslos zu werden, nur eine befristete Stelle oder eine niedrigqualifizierte Arbeit zu bekommen. Außerdem wird ein internationales Ranking-System genutzt, mit dem der Status verschiedener Tätigkeiten quantitativ miteinander verglichen wird. Schließlich werden in der Berechnung Rahmenbedingungen, wie etwa die Betriebs- und Branchenstruktur oder die Flexibilität auf den Arbeitsmärkten, mitberücksichtigt.

Die Untersuchung des Arbeitsmarktstatus junger Menschen lässt Gemeinsamkeiten, aber auch deutliche Unterschiede zwischen den vier untersuchten Ländern erkennen. In allen diesen Ländern tragen Menschen mit Lehrabschluss im Vergleich zu jenen ohne beruflichen Abschluss ein geringeres Erwerbslosigkeitsrisiko. Auch prekäre Beschäftigung in Form von Befristungen und niedrig qualifizierten Tätigkeiten findet sich seltener. Dieser Befund ist als Aufforderung zu betrachten, in allen Ländern verstärkt Anstrengungen zu unternehmen, möglichst vielen jungen Leuten eine Berufsausbildung zu bieten.

Gebannt sind alle Risiken für junge Leute mit Berufsabschluss aber nicht. Das Risiko, nach der Berufsausbildung doch einer niedrigqualifizierten Tätigkeit nachzugehen, ist für dänische Lehrabsolventen deutlich höher als für Absolventen dualer Ausbildungen in den anderen Ländern. Dies kann mehrere Gründe haben. In Dänemark machen relativ viele Akademiker eine Berufsausbildung. Dadurch kann es zu einem Verdrängungsprozess kommen. Auch die vergleichsweise geringe Spezialisierung in der dualen Ausbildung könnte ein zweiter Grund sein: Der Zugang zu Fachtätigkeiten, die eine spezialisierte Ausbildung erfordern, ist häufiger versperrt.

Eine sehr hohe berufliche Spezialisierung in der dualen Ausbildung, wie sie in Deutschland vorzufinden ist, dürfte ein Grund für ein hohes Befristungs- und Erwerbslosigkeitsrisiko sein: Sehr hoch spezialisierte Lehrabsolventen sind weniger breit einsetzbar, haben schwerer Zugang zu bestimmten Jobs und erlangen dadurch seltener eine unbefristete Beschäftigung. Damit scheint ein mittlerer Grad an beruflicher Spezialisierung wie in Österreich und der Schweiz optimal.

Ein auffallend positives Arbeitsmarktergebnis erzielen die Absolventen der österreichischen Berufsbildenden höheren Schulen mit nur geringen praktischen Ausbildungsanteilen. Hier stellt sich die Frage, inwieweit bestimmte Berufsbereiche nicht auch stärker theoretisch unterrichtet werden könnten, wenn die Relevanz der Ausbildungsinhalte für den Arbeitsmarkt sichergestellt ist.

Akademiker und auch die Absolventen von Weiterbildungen im Tertiärbereich B (zum Beispiel Meister, Techniker) besetzen in allen vier Ländern die höchsten beruflichen Ränge. Investitionen in formale (Weiter-)Bildung lohnen sich hier aus individueller Sicht. Es schließt sich allerdings die Frage nach der Durchlässigkeit im Bildungssystem an. Die Möglichkeit, im Bildungssystem aufzusteigen und dadurch Aufwärtsmobilität im Arbeitsmarkt zu schaffen, sollte in einer Anschlussstudie für die Ländergruppe mit dualem Ausbildungssystem untersucht werden. Ebenso stellt sich die Frage, ob eine eher breit angelegte berufliche Erstausbildung, wie sie in Dänemark vorherrscht, berufsbegleitendes Lernen und Anpassungsleistungen an Arbeitsmarktentwicklungen im höheren Erwerbsalter begünstigt. Damit verbunden ist die Annahme, dass flexibles Lernen eher auf breitem Wissen als auf hoch spezialisiertem Expertenwissen aufbaut.

Die genaue Betrachtung von Ländern mit ähnlich strukturierten Bildungssystemen zeigt unerwartet große Unterschiede - sowohl in Bezug auf die Bildungssysteme selber wie auch auf den Arbeitsmarkteinstieg Jugendlicher. Solche vergleichenden Studien von most similar systems sind nicht nur aus akademischer Perspektive bedeutsam. Dass eine Veränderung einzelner Systemkomponenten eher realistisch ist als ein vollständiger Systemwechsel, macht den Blick auf verwandte Systeme auch bildungspolitisch relevant.

Christian Ebner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Projektgruppe Nationales Bildungspanel: Berufsbildung und lebenslanges Lernen sowie der Projektgruppe der Präsidentin. Er forscht international vergleichend über Berufsausbildung, Übergänge in den Arbeitsmarkt und Demografie und Arbeit.
christian.ebner@wzb.eu


Literatur:

Allmendinger, Jutta: "Educational Systems and Labor Market Outcomes". In: European Sociological Review, 1989, Vol. 5, No. 3, pp. 231-250.

Breen, Richard: "Explaining Crossnational Variation in Youth Unemployment. Market and Institutional Factors". In: European Sociological Review, 2005, Vol. 21, No. 2, pp. 125-134.

Ebner, Christian: Von der Lehre in den Arbeitsmarkt. Die duale Berufsausbildung im internationalen Vergleich. Frankfurt/New York: Campus 2013.

Ebner, Christian: "Die duale Berufsausbildung als "Sicherheitsnetz"? Ein Vergleich der Länder Deutschland, Österreich, Schweiz und Dänemark". In: Tagungsband der 3. Österreichischen Konferenz für Berufsbildungsforschung. Studienverlag 2013a.

Shavit, Yossi/Müller, Walter: "Vocational Secondary Education. Where Diversion and Where Safety Net?" In: European Societies, 2000, Vol. 2, No. 1, pp. 29-50.

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 138, Dezember 2012, Seite 42-43
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph. D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2013