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HOCHSCHULE/1517: Zehn Jahre Bologna-Prozeß II (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 3/2010

Zehn Jahre Bologna-Prozess II
Fundamentalkritik ist unangebracht

Von Julian Zado


Im Jahr 1999 unterzeichneten in der italienischen Universitätsstadt Bologna Vertreter(-innen) aus 29 europäischen Staaten die sog "Bologna-Erklärung" mit der das Projekt der Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums in Gang gesetzt wurde. Nach zehn Jahren ist der Bologna-Prozess immer noch das zentrale Reformprojekt in der europäischen Hochschullandschaft. Von einem guten Abschluss ist das Projekt jedoch noch weit entfernt.


In Deutschland wird der "Bologna-Prozess" heftig und kontrovers diskutiert, und das nicht nur zwischen Interessenverbänden und Expert(innen) untereinander, wie dies bei anderen hochschulpolitischen Themen häufig der Fall ist, sondern durchaus auch in Mainstream-Medien. Verantwortlich hierfür sind zum einen der (inzwischen) gesellschaftliche Konsens, dass Wohlstand nur über ein besseres Bildungssystem geschaffen werden kann, zum anderen die wochenlangen medienwirksamen Proteste der Studierenden im Herbst vergangenen Jahres während des sog. "Bildungsstreiks". Doch nicht für alles Schlechte an deutschen Hochschulen war und ist der Bologna-Prozess verantwortlich, auch wenn dieser Eindruck oft entsteht. Zu einer differenzierten Bewertung der Umsetzung des Bologna-Prozesses gehört deshalb zunächst eine Auseinandersetzung mit seinen Zielen und den eigentlichen Inhalten.

Hauptziele des Bologna-Prozesses waren die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Bildungssystems und die Erhöhung von Mobilität und Beschäftigungsfähigkeit. Als Maßnahmen wurden dazu konkret vereinbart: die Schaffung eines Systems leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse und des diploma supplements, also einer Erläuterung mit einheitlichen Angaben zu den mit dem Abschluss verbundenen Qualifikationen, die Einführung eines zweistufigen Studienabschlusssystems, die Etablierung eines Kreditpunktesystems, die Beseitigung von Mobilitätshindernissen für Studierende und Lehrende, sowie die Förderung der europäischen Dimension in der Hochschulbildung. Auf weiteren sogenannten "Bologna-Folgekonferenzen", die seitdem im Zweijahresrythmus stattfinden, sind weitere Maßnahmen hinzugekommen, beispielsweise die stärkere Berücksichtigung der sozialen Dimension bei der Umsetzung des Prozesses. Erreicht werden sollten die Ziele bis zum Jahr 2010.


Was hat sich getan?

Betrachtet man die Situation an den Hochschulen, wird schnell klar, dass die Bologna-Ziele nicht mehr vollständig im Jahr 2010 erreicht werden können. Grund hierfür ist aber nicht, wie man vermuten könnte, eine gewisse Trägheit der verantwortlichen Akteur(-innen). Im Gegenteil: Die im Zuge der Umsetzung des Bologna-Prozesses vorgenommenen Änderungen summieren sich zu einer der größten hochschulpolitischen Reformen der jüngeren Geschichte. Bekanntes Beispiel hierfür ist die Einführung eines zweistufigen Abschlusssystems: Mittlerweile wurden fast alle Studiengänge auf das System Bachelor/Master umgestellt. Ausnahmen bilden hier im Wesentlichen nur einige Staatsexamens-Studiengänge, in denen sich eine Umstellung der Abschlüsse bisher nicht abzeichnet. Auch das Kreditpunktesystem wurde eingeführt. Prüfungsleistungen werden nun nicht mehr in Form von "Scheinen" abgebildet, sondern man erhält eine gewisse Anzahl von "Credit-Points", also Leistungspunkten. Die Idee dabei ist, Studienleistungen vergleichbarer zu machen. Anstatt einen genau umrissenen Schein für eine bestimmte Prüfungsleistung zu erhalten, die bei einem Hochschulwechsel erst in einem aufwändigen Verfahren auf "Anrechnungsfähigkeit" hin untersucht werden muss, sollten pauschal Kreditpunkte anerkannt werden. So sollen Hochschulwechsel und Studienaufenthalte im Ausland leichter gemacht werden.


Die eigentlichen Ziele sind noch nicht erreicht

Doch so gut diese Idee sein mag, so sehr steht ihre Umsetzung für die vielen Probleme, die noch bestehen. Auch wenn Kreditpunkte formal eingeführt wurden, erfüllen sie bisher nicht ihren Zweck. Für dieselbe Anzahl Leistungspunkte sind teilweise sogar innerhalb desselben Fachbereichs völlig unterschiedliche Leistungen zu erbringen: Mal sind es nur aktive Teilnahme und eine Klausur, mal Klausur, Hausarbeit und Referat, usw. Die Folge ist, dass von Vergleichbarkeit keine Rede sein kann. Außerdem sind die Prüfungsordnungen an jeder Hochschule völlig unterschiedlich. Statt mehr pauschaler Anerkennung von Leistungen erwarten die Hochschulen bei einem Wechsel, dass man genau die Inhalte studiert hat, die auch an der neuen Hochschule Standard sind. Die Folge ist, dass heute weniger Studierende während des Studiums ins Ausland gehen.

Zudem sind Hochschulwechsel heute schwerer denn je, und das nicht nur innerhalb von Europa, sondern sogar zwischen verschiedenen deutschen Bundesländern. Von einer Beseitigung von Mobilitätshindernissen kann also keine Rede sein. Auch bei der Umsetzung der anderen Ziele bestehen noch viele Mängel: Eine gezielte Verstärkung der europäischen Zusammenarbeit der Hochschulen ist beispielsweise bisher nicht erfolgt. Auch die "soziale Dimension" wird zwar als Ziel immer wieder bekräftigt, getan hat sich aber wenig: Noch immer können die wenigsten vom Bafög leben und müssen nebenbei arbeiten gehen, was sich natürlich negativ auf den Studienerfolg auswirkt.


Ist der Zorn der Studierenden berechtigt?

Die Studierenden haben sich während der Bildungsproteste des vergangenen Jahres vor allem über den Leistungsdruck, die hohe Prüfungsdichte und die viel zu hohe Arbeitsbelastung in den neuen Studiengängen beklagt. Interessant ist, dass für diese Aspekte in vielen Medien ebenfalls der Bologna-Prozess verantwortlich gemacht wurde.

Dies ist auf den ersten Blick auch einleuchtend, sind doch tatsächlich im Zuge der Einführung des Bachelor/Master-Systems die Anforderungen verschärft und die Studienbedingungen verschlechtert worden. Es besteht kaum noch Wahlfreiheit bei den Lerninhalten. Für jedes Modul ist eine ganze Reihe von Prüfungsleistungen zu erbringen, die neuen Bachelor-Studiengänge sind oft vollgestopft mit dem gesamten Stoff, der vorher in einem Diplom-Studiengang vorausgesetzt wurde, und dies bei einer Bachelor-Regelstudienzeit von sechs Semestern.

Es kommt hinzu, dass oft nur ein kleiner Teil der Bachelor-Absolventinnen und -Absolventen einen Masterstudienplatz bekommt, was bei vielen den psychischen Druck enorm steigert. Diese Entwicklungen haben mit einer emanzipatorischen Hochschulbildung nichts mehr zu tun. Es erfolgt keine Ausbildung zu kritischen Wissenschaftler(innen) oder umfassend gebildeten Akademiker(innen). Stattdessen muss nur noch gepaukt werden, um Prüfungen zu bestehen und danach den Stoff möglichst schnell zu vergessen, um Platz zu schaffen für Neues. Bildung sieht anders aus.

Dennoch ist in diesem Zusammenhang Fundamentalkritik am Bologna-Prozess unangebracht, denn diese Entwicklungen haben rein gar nichts mit dem Bologna-Prozess zu tun. So steht in den Bologna-Erklärungen nicht, dass ein Bachelor-Studium lediglich sechs Semester dauern darf. Der Bologna-Prozess schreibt darüber hinaus auch keine Verschlechterung der Studienbedingungen bei gleichzeitiger Steigerung der Prüfungsdichte vor. All dies ist nationale Hochschulpolitik, für die die Länder verantwortlich sind.

Dennoch hängen die genannten Missstände natürlich auch mit der Bologna-Reform zusammen: Diese kann nämlich gar nicht gelingen, solange Studiengänge schlicht kaum studierbar sind. Eine Verbesserung der Situation an den Hochschulen ist daher Grundvoraussetzung. Erst dann sollten sich die verantwortlichen Politiker(innen) wieder auf die Umsetzung der eigentlichen Ziele des Bologna-Prozesses konzentrieren - die Schaffung eines europäischen Hochschulraums. Dies Ziel ist auch bei Beibehaltung eines kritischen, emanzipatorischen Hochschulstudiums erreichbar.

Julian Zado (*1984) promoviert an der HU Berlin im Staatsrecht und lebt in Berlin. Er war während seines Studiums in verschiedenen Funktionen in der Hochschulpolitik aktiv und ist Mitherausgeber des Buches Hochschulen im Wettbewerb - Innenansichten über die Herausforderungen des deutschen Hochschulsystems.
julianzado@gmx.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 3/2010, S. 37-39
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2010