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HOCHSCHULE/2017: Mehr Studierende ohne Abi? Dann besser informieren und betreuen (Universität Bremen)


Universität Bremen - Pressemitteilung vom 21. März 2016

Mehr Studierende ohne Abi? Dann besser informieren und betreuen

Zentrum für Arbeit und Politik (zap) legt Studie zum Studium ohne Abitur vor / zap-Bildungsangebot erleichtert den Übergang in ein sozialwissenschaftliches Studium


Politisch postuliert, aber nicht umgesetzt: Menschen ohne Abitur studieren in Deutschland nach wie vor sehr selten. Jetzt haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Zentrum für Arbeit und Politik (zap) der Universität Bremen eine Studie vorgelegt, die die Gründe für die geringe Nachfrage offen legt. Entscheidend sind Informationsmängel über die individuellen Zulassungsvoraussetzungen und fachlichen Studienanforderungen. Vor allem die Unsicherheit, das Studium im Vergleich zu Abiturientinnen und Abiturienten zu bewältigen, scheint für viele beruflich qualifizierte Studieninteressierte ohne Abitur eine unüberwindbare Hürde. Die Bremer Sozialforscher empfehlen deshalb, die qualifizierten Studierwilligen ohne Abi nicht nur gezielter zu beraten, sondern auch über einen längeren Zeitraum hinweg zu betreuen, um Selbstzweifel abzubauen und den Übergang ins Studium zu erleichtern.


Qualitative Befragungen

Im Jahr 2013 besaßen in Deutschland nur 2,6 Prozent der Regelstudierenden keine allgemeine Hochschulreife. Diesen Personenkreis hat sich das Zentrum für Arbeit und Politik der Universität Bremen im Rahmen einer Forschungsarbeit genauer angeschaut, die von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde. Insgesamt haben die Bremer Wissenschaftler an deutschen Universitäten 38 qualitative Interviews mit Studierenden ohne Abitur geführt. Dabei wurde die individuelle Bildungsbiographie in den Blick genommen, um den Prozess der Studienentscheidung rekonstruieren zu können. Ferner hat das Forschungsteam die Übergangsphase ins Studium sowie erste Studienerfahrungen analysiert. Der umfassende Forschungsbericht wurde von der Hans-Böckler-Stiftung veröffentlicht (www.boeckler.de/pdf_fof/S-2012-615-5-9.pdf).


Anfängliche Selbstzweifel lösen sich im Laufe des Studiums auf

Aus der Untersuchung geht hervor, dass Viele nur durch Zufall von der Möglichkeit erfahren, ohne Abitur studieren zu können. Außerdem äußern die Studieninteressierten Unsicherheiten hinsichtlich der individuellen Zulassungsvoraussetzungen und der fachlichen Anforderungen des Studiums. Viele glauben, den Anforderungen eines Studiums nicht genügen zu können. Dominierend ist dabei die Sorge, im Vergleich zu Abiturienten und Abiturientinnen schon zu lange aus dem Lernprozess heraus zu sein. Darüber hinaus stellt die Universität für sie eine bisher unbekannte Institution dar. Zudem begeben sie sich mit der Studienaufnahme oft in eine berufliche und finanziell unsichere Situation.

In der Zeit des Studiums lösen sich entsprechende Unsicherheiten jedoch langsam auf. Die Befragten dieser Untersuchung weisen insgesamt großen Ehrgeiz und Zielstrebigkeit auf - das gilt bereits für ihr Berufsleben. Sie entwickeln individuelle Bewältigungsstrategien, um den auftretenden Herausforderungen zu begegnen. Insbesondere die eigene Berufserfahrung wird als hilfreich erachtet, um Ängste und Zweifel im Studium in den Griff zu bekommen, Theorie und Praxis besser zu verknüpfen und erfolgreich zu studieren.


Vier Gründe für eine Studienentscheidung

Studierende ohne Abitur, die ein Vollzeitstudium an einer Universität aufnehmen, sind insgesamt eine sehr heterogen zusammengesetzte Gruppe. Dennoch lassen sich in ihren Biografien gemeinsame Merkmale ausmachen, die als typisch zu charakterisieren sind. Hinsichtlich der Studienentscheidung können vier Muster identifiziert werden. Demnach nutzen sie den dritten Bildungsweg: 1) als nächsten Karriereschritt, 2) als Ausweg aus einer beruflichen Tätigkeit, 3) als Mittel zur Selbstverwirklichung oder 4) als sozialen Aufstieg.

Darüber hinaus lassen sich Gemeinsamkeiten entlang der einzelnen Lebensstationen feststellen. Als typische Merkmale gelten zum Beispiel ein großes Lerninteresse in der Berufsausbildung und später in der Weiterbildung. Außerdem werden von den Studierenden vielfältige Unsicherheiten am Übergang vom Beruf in das Studium beschrieben.


Bremer Forscherteam sieht Nachholbedarf

Studieninteressierte ohne Abitur sind zwar nicht befragt worden. Aber die zap-Studie legt nahe, dass viele beruflich Qualifizierte ihren Studienwunsch aufgrund zu großer Unsicherheiten wieder verwerfen. "Eine gezieltere Bewerbung, Beratung und Betreuung dieser Studierendengruppe kann dazu beitragen, Entscheidungen zur Studienaufnahme zu fördern und den Übergang ins Studium zu ebnen", sagt Jessica Heibült, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Untersuchung. "Hier sehe ich Nachholbedarf, soll die bildungspolitische Zielsetzung nach mehr Durchlässigkeit von der Berufswelt in die Hochschule erreicht werden."


Vorbild: Bremer Zweijahreskurs Sozialwissenschaftliche Grundbildung

Seit fast 30 Jahren bietet die Universität Bremen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ohne Hochschulreife die Möglichkeit, ein sozialwissenschaftliches Studium aufzunehmen. Der 'Zweijahreskurs Sozialwissenschaftliche Grundbildung' vom Zentrum für Arbeit und Politik bereitet Interessierte darauf vor. Konzipiert als offenes Format der langfristigen politischen Erwachsenenbildung setzen sich die Teilnehmenden mit den für sie gesellschaftlich relevanten Themen auseinander. Sie finden Zugänge zur wissenschaftlichen Fachliteratur, lernen einzelne politische Fragen in größere Zusammenhänge zu stellen und erwerben die Techniken wissenschaftlichen Arbeitens. Bei erfolgreichem Abschluss wird eine fachgebundene Hochschulzugangsberechtigung zu verschiedenen sozial- und geisteswissenschaftlichen Studiengängen an Bremer Hochschulen erworben. "Unsere Erfahrungen zeigen, dass unsere Absolventinnen und Absolventen sehr gut auf ein Regelstudium vorbereitet werden", sagt Frank Meng, Dozent des Zweijahreskurses.

Weitere Informationen:
Universität Bremen
Zentrum für Arbeit und Politik (zap)

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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 071 vom 21. März 2016 SC
Universität Bremen, Pressestelle
Telefon: 0421- 218 - 60150, Fax: 0421-218 - 60152
E-Mail: presse@uni-bremen.de
Internet: www.uni-bremen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2016

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