Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → BILDUNG

INTERNATIONAL/011: Lateinamerika - Freie Bildung gefordert, Studentenproteste erfassen ganzen Kontinent (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. November 2011

Lateinamerika: Freie Bildung gefordert - Studentenproteste erfassen ganzen Kontinent

von Pamela Sepúlveda

In zahlreichen Ländern Lateinamerikas gehen Studenten auf die Straße - Bild: © Pamela Sepúlveda/IPS

In zahlreichen Ländern Lateinamerikas gehen Studenten auf die Straße
Bild: © Pamela Sepúlveda/IPS

Santiago de Chile, 25. November (IPS) - Die Studentenproteste in Chile haben auf andere lateinamerikanische Länder übergegriffen. So haben sich jetzt auch zehntausende Hochschüler in den Städten von Argentinien, Brasilien, Honduras, Kolumbien, Mexiko, Paraguay und Uruguay zusammengefunden, um bessere Studienbedingungen einzufordern.

Zu dem Lateinamerikanischen Marsch für Bildung am 24. November hatte der chilenische Studentenbund aufgerufen. Wie die Organisatoren mitteilten, demonstrierten etwa 10.000 Studenten in Santiago de Chile, um erneut einen kostenlosen Zugang zu den Universitäten und ein höheres Bildungsniveau zu fordern.

Vereinzelt kam es in der chilenischen Hauptstadt zu Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und der Polizei. Nach Angaben der Behörden wurden ungefähr 60 Personen festgenommen. Die Demonstrationen auf dem Kontinent blieben aber im Allgemeinen friedlich.

"Heute ist ein besonderer Tag, weil wir einen lateinamerikaweiten Protestmarsch durchführen", sagte der Präsident des Zentrums der Jurastudenten an der staatlichen Universität von Chile, Esteban Miranda. Es sei offensichtlich, dass die Hochschüler in anderen Teilen der Region ähnliche Forderungen stellten und die chilenische Bewegung unterstützten.


Recht auf Bildung wegprivatisiert

In Chile habe sich gezeigt, dass durch die Privatisierung des Bildungsbereichs das Recht auf Bildung für alle nicht mehr gewährleistet sei, kritisierte José Barrera, der an der Katholischen Universität in Santiago Ingenieurswissenschaften studiert. An dem Protestzug durch das Zentrum von Santiago de Chile beteiligten sich Studentenverbände, Berufsschulen, Kunsthochschulen sowie Gewerkschaften und Professoren.

Luis Garrido von der Gewerkschaft der Beschäftigten im Bildungswesen erklärte, die Demonstranten stellten sich damit klar gegen Staatspräsident Sebastián Piñera, der die Logik des Marktes auf das Bildungssystem übertragen wolle. "Kapitalismus bedeutet Profit, Geschäfte, An- und Verkauf. Damit haben wir nichts zu tun", betonte er. Die neue Bewegung, in der sich Studenten und Gewerkschafter zusammengeschlossen hätten, ziele auf eine Veränderung der Gesellschaft ab.

Die Teilnehmer des Marsches wollen nach eigenen Angaben für strukturelle Veränderungen auch über das Bildungswesen hinaus kämpfen. Ihrer Ansicht nach steht das gesamte politische und wirtschaftliche System, das noch aus den Zeiten der Pinochet-Diktatur 1973 bis 1990 stamme, auf dem Prüfstand.

"Wir wollen dem chilenischen Staat sagen, dass wir trotz aller Anstrengungen die Kraft haben, weiterzumachen", erklärte der Sprecher der koordinierenden Versammlung der Hochschüler, Alfredo Vielma. "Wir wollen das Leben gerechter machen und zu einer kostenfreien Bildung zurückkehren."

Nach sechsmonatigen Unruhen mit mehr als 40 Demonstrationen in Santiago zeichnet sich noch keine Einigung mit der Regierung ab. Regierungssprecher Andres Chadwick Piñera, ein Cousin des Staatschefs, nannte die Studentenbewegung sogar "absolut überflüssig". Sie verursache nur Probleme, erklärte er. Der Präsident zieht es indes offensichtlich vor, die Debatte in das Parlament zu verlagern, wo über das Bildungsbudget für das kommende Jahr abgestimmt werden soll.


Referendum gefordert

Die Hochschüler werfen der Regierung vor, die Unzulänglichkeiten des Systems durch die Vergabe von Stipendien kaschieren zu wollen. Sie fordern stattdessen die direkte Finanzierung aller Bildungseinrichtungen durch den Staat, damit der freie Zugang zu Bildung garantiert werden kann. Über diese Frage solle nicht das Parlament, sondern die Bevölkerung bei einen Referendum entscheiden.

"Wir setzen uns in ganz Lateinamerika in Bewegung, weil wir unter Regierungen leiden, die Bildung nicht als Grundrecht anerkennen", sagte Gladys Ríos, die an der staatlichen Universität in der kolumbianischen Stadt Antioquia studiert. Auch in Kolumbien haben sich in den größten Städten Zehntausende den Protesten angeschlossen.

Am 10. November waren sogar rund 200.000 Studenten und Professoren in Bogotá zusammengekommen, um die Regierung von Präsident Juan Manuel Santos zu einer Rücknahme der geplanten Bildungsreform zu zwingen. Santos schlage den gleichen Weg ein wie Piñera in Chile, warnte Ríos. (Ende/IPS/ck/2011)


Link:
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=99663

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 25. November 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2011