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INTERNATIONAL/089: Brasilien - Immer mehr staatliche Schulen unter militärischer Führung (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Brasilien: Immer mehr staatliche Schulen unter militärischer Führung

Von Leticia Castro


(Montevideo, 14. März 2019, la diaria) - Die Regierung unter Jair Bolsonaro ist bekannt dafür, in vielen Bereichen Militärangehörige einzusetzen, auch im Bildungsbereich. Der Bildungsminister Ricardo Vélez Rodríguez [1] ist emeritierter Professor der militärischen Bildungseinrichtung ECEME, wo die oberste militärische Führung ausgebildet wird. Seine Vergangenheit könnte einen Hinweis darauf geben, warum er Ende Februar im Senat die Ausweitung militarisierter Schulen in einigen Bundesstaaten verteidigte: "Das sind städtische Schulen, die sich für eine Führung durch die Polizei oder - in anderen Bundesstaaten - durch das Militär entschieden haben. Das ist kostengünstig für die Gemeinden, denen die Möglichkeit gegeben wird ihre Einrichtungen zweckmäßiger zu nutzen und damit über eine hohe akademische Leistungsfähigkeit verfügen", sagte der Minister laut dem journalistischen Portal Nexo.


Abteilung zur Förderung zivil-militärischer Schulen

Während der Wahlkampagne versprach Bolsonaro, dass in spätestens zwei Jahren in jeder Bundeshauptstadt eine militarisierte Schule entstehen werde. Er beruft sich dabei auf ein Gesetz von 2001, das die Übergabe der Führung staatlicher Ausbildungsstätten an militärische und polizeiliche Institutionen ermöglicht. Um dieses Modell voran zu treiben, hat der Präsident die Abteilung zur Förderung zivil-militärischer Schulen (Subsecretaría de Fomento de las Escuelas Cívico-Militares) geschaffen. Ziel dieser Einrichtung ist es, akademische Curricula für alle Niveaustufen zu entwickeln, die bundesweit angewendet werden können. "Wer sich Sorgen um die Militarisierung macht oder darüber, dass die Kinder nicht lachen, den lade ich ein, eine Stadt in Goiás (Bundestaat im Zentrum Brasiliens, Anm.d.Ü.) mit einer zivil-militärischen Schule zu besuchen. Das ist fantastisch. Die guten Ergebnisse sprechen für sich. Es gibt nicht diesen Militarismus, es gibt eine zivile Ausbildung und eine praktische über die Normen und Gesetze. Der Lehrer wird respektiert; wenn er in die Klasse kommt stehen alle", sagte Vélez Rodríguez im Senat.

Der Bundesstaat Goiás weist landesweit zurzeit die meisten militarisierten Schulen auf. In 46 Schulen unter Führung der Militärpolizei lernen 53.000 Schüler*innen. Laut Angaben der Tageszeitung Folha de São Paulo gab es 2015 im ganzen Land insgesamt 93 militarisierte Schulen - 26 davon in Goiás. 2018 stieg die Zahl auf 122. 2016 belegten militarisierte Schulen, laut Informationen von Nexo, die obersten sieben Plätze im nationalen Schulranking. Die Regierung erklärt diesen Erfolg damit, dass die Disziplin "die Zeitverschwendung" aufhebe, die dadurch zustande käme, dass die Schüler*innen im Unterricht nicht dem Lehrer zuhörten, sondern untereinander tuschelten.

Das herausragendste Merkmal dieses Erziehungsmodells ist die Disziplin. Die Militärangestellten übernehmen Aufgaben der Verwaltung und auch der Disziplinierung - sowohl der Lernenden wie auch der Lehrenden, die weiterhin ihre traditionelle pädagogische Rolle ausführen. Es ist beispielsweise ein gängiger Anblick, die Dozent*innen in den Klassenräumen zu sehen, während die Polizist*innen mit geladenen Waffen auf den Fluren patrouillieren. Laut der Nachrichtenagentur AFP sind die Vorschriften hinsichtlich der Kleidung und des Erscheinungsbildes in diesen Ausbildungszentren sehr strikt. Die Agentur führt das Beispiel einer Schule in den Außenbezirken der Hauptstadt Brasilia an: Die Jungen müssen sich das Haar seitlich auf zwei und das Haupthaar auf vier Millimeter kürzen, während die Mädchen das Haar lang und zusammengebunden ohne auffälligen Haarschmuck zu tragen haben. Alle Lernenden müssen Uniformen tragen, die pro Stück etwa 800 Real (etwa 185 Euro) kosten, und nicht von der Schule gestellt werden. Hohe Ausgaben, die die Familien decken müssen, markieren einen weiteren Unterschied zu anderen Schulen. Neben den Uniformen wird auch eine "Spende" von etwa 20 Euro erwartet, da es diesen Schulen gesetzlich verboten ist, Schulgebühren zu erheben. Weitere Eigenheiten bestehen darin, dass die Lernenden sich in Reihen formieren müssen, bevor sie in die Klassen eintreten. Täglich wird vor Unterrichtsbeginn die brasilianische Nationalflagge gehisst.


Kaugummi kauen, unerwünschte Publikationen und Körperkontakt werden sanktioniert

Nexo benennt auch Beispiele aus dem Regelwerk der Militärpolizei in Goiás für die militarisierten Schulen. "Leichte Vergehen", wie das Ablenken der Mitlernenden, Kaugummi kauen, lackierte Fingernägel, Eintritt in den Klassenraum ohne die Erlaubnis der Lehrkraft werden mit einer Abmahnung bestraft. "Mittlere Vergehen", wie ein nicht regelkonformer Haarschnitt, die unzufriedenstellende Ausführung einer Aufgabe, die Teilnahmeverweigerung an einer Veranstaltung, die von der Institution organisiert wurde, die Benutzung respektloser Begriffe oder die Verantwortung für Publikationen, Bilder oder Zeitschriften, die sich gegen die Disziplin, die Moral und die öffentliche Ordnung richten, werden mit einem Verweis und Suspendierung bestraft. "Schwerwiegende Vergehen", wie die Befleckung des guten Namens der Einrichtung, die Überschreitung sozialer Konventionen in der Öffentlichkeit, Körperkontakt in Uniform, der liebevolle Zuneigung ausdrückt (Dates und Küsse) - sowohl innerhalb wie außerhalb der Bildungseinrichtungen - werden mit Suspendierung bestraft. Die Bestraften müssen auch die "Bestimmungen zur Verhaltenskorrektur" unterzeichnen und werden im schlimmsten Fall von der Schule verwiesen.


Anmerkung:
[1] https://www.npla.de/poonal/mit-gott-gegen-gender-und-globalisierung/


URL des Artikels:
https://www.npla.de/poonal/allgemein/brasilien-immer-mehr-staatliche-schulen-unter-militärischer-führung/


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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2019

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