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SYRIEN/017: Dominostein Damaskus - Der Tag danach, Teil 4 (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 27.08.2012
(german-foreign-policy.com)

The Day After (IV)



DAMASKUS/BERLIN - Nach der öffentlichen Präsentation einer Neuordnungs-Konzeption für Syrien kündigen deutsche Regierungsberater erste Schritte zu ihrer Verwirklichung an. Die Konzeption, die am gestrigen Dienstag unter dem Titel "The Day After" in Berlin vorgelegt worden ist, steckt den Rahmen für die künftige Staatlichkeit Syriens ab. Sie ist unter maßgeblichem Einfluss westlicher, insbesondere US-amerikanischer Experten und Institutionen erstellt worden. In einem nächsten Schritt wird jetzt ein Büro in Istanbul eröffnet, das die Umsetzung der Konzeption in Sachen Repressions- und Rechtssystem beaufsichtigen soll. Wie jüngst eine Sprecherin des US-Außenministeriums bestätigt hat, sind inzwischen Oppositionsaktivisten in Syrien unterwegs, die in Istanbul von amerikanischen und britischen Stellen trainiert wurden, um als "Untergrundnetzwerk" zunächst subversiv zu wirken und baldestmöglich die Kontrolle über syrische Dörfer und Städte zu übernehmen. Die Rede ist von der "nächsten regierenden Klasse" Syriens.


Neuordnungspläne

Am gestrigen Dienstag haben syrische Oppositionelle in Berlin die Neuordnungs-Konzeption "The Day After" präsentiert. Diese ist seit Jahresbeginn unter Leitung der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) erstellt worden und soll nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien umgesetzt werden (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Beteiligt waren gut 45 syrische Oppositionelle unterschiedlichster Spektren, die sechs Mal in der deutschen Hauptstadt zusammenkamen, um sich auf gemeinsame Grundzüge zu einigen. Die formelle Leitung lag bei einem "Exekutivkomitee", das sich jetzt als "Non Profit Organization" in Brüssel registrieren lassen will. Das Projekt steckt den Rahmen für Syriens zukünftige Staatlichkeit ab. Es soll erklärtermaßen syrische Bevölkerungsteile gewinnen, die bislang - aus Furcht vor einem dauerhaften Bürgerkrieg à la Irak - noch zögern, zur Opposition überzulaufen. Zugleich solle mit der Neuordnungs-Konzeption die Weltöffentlichkeit überzeugt werden, dass nach Assads Sturz ein stabiler syrischer Staat entstehen könne, heißt es bei der SWP.[2] Damit lässt sich eine Ausweitung der westlichen Unterstützung für die Aufständischen in Syrien legitimieren.


Technische Experten

Die syrischen Projektteilnehmer sind bei ihren Berliner Beratungen, die sich auf insgesamt sechs Themenfelder konzentrierten (Rechtsstaat, Übergangsjustiz, Sicherheitssektorreform, Wahlreform, Verfassungsentwurf, Neuordnung der Wirtschaft), laut Bericht der SWP [3] jeweils von "führenden technischen Experten beraten" worden. Bei der Mehrzahl von ihnen handelt es sich um Mitarbeiter verschiedener US-Institutionen. Vier sind beim staatsfinanzierten United States Institute for Peace (USIP) beschäftigt, das "The Day After" gemeinsam mit der SWP organisiert hat. Mehrere weitere sind bereits zuvor in der einen oder anderen Form für USIP tätig gewesen. Unter den "technischen Experten" befindet sich nicht nur ein ehemaliger Botschafter der Vereinigten Staaten, sondern - mit Andrew Reynolds - auch ein Verfassungsexperte, der zeitweise in unmittelbarem Auftrag des US-Außenministeriums tätig war und zuletzt nicht nur afghanische Stellen, sondern auch die Rebellen des libyschen Nationalen Übergangsrats beraten hat. Frankreich war mit einer Expertin vom Centre d'Études et de Recherches Internationales (CÉRI) vertreten, Großbritannien mit einem Londoner Völkerrechtsexperten. Deutschland war über die SWP präsent.


Marktwirtschaft

Wie die SWP hervorhebt, hielten Teilnehmer des Projekts auch zu anderen Syrien-Aktivitäten des Westens Kontakt. Dies gelte, heißt es, insbesondere für die "Arbeitsgruppe", die von den "Friends of Syria", einem internationalen Willkür-Bündnis zur Unterstützung der Aufständischen, eingesetzt wurde und sich mit Plänen für den Neuaufbau der Wirtschaft Syriens befasst.[4] Die Arbeitsgruppe unterhält ein Büro in Berlin, das von einem Deutschen geleitet und von den Vereinigten Arabischen Emiraten kofinanziert wird. Am gestrigen Dienstag hielt sich - anlässlich der Präsentation von "The Day After" - der emiratische Außenminister in der deutschen Hauptstadt auf, um dort mit seinem Berliner Amtskollegen die nächste, für Anfang September geplante Sitzung der Arbeitsgruppe zu besprechen. Wie die "The Day After"-Konzeption zeigt, soll die syrische Wirtschaft kompatibel mit westlichen Marktwirtschaften sein; die dazu notwendigen Trainingsprogramme für das Personal bei internationalen Institutionen sind ebenso geplant wie die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für private Wirtschaftsunternehmen. Besondere Bedeutung messen die Autoren dem Wiederaufbau der Infrastruktur Syriens bei.[5]


Islamistisch, für den Westen offen

Neben dem kompletten Neuaufbau der Geheimdienste, der den Verbündeten der künftigen Herren Syriens exklusive Einflussoptionen bietet, sieht die "The Day After"-Konzeption die unmittelbare Aufhebung der aktuellen syrischen Verfassung und die Erstellung einer neuen vor. Übergangsweise könne die Verfassung von 1950 verwendet werden, heißt es.[6] Über die Verfassung von 1950 ist in Fachpublikationen zu lesen, sie habe "eine stark islamische Tendenz" gezeigt, "die den Islam in die Nähe einer Staatsreligion rückte"; ihr zufolge sollte "die islamische Rechtslehre (...) den Ausgangspunkt für die gesamte syrische Gesetzgebung" bilden.[7] Innerhalb dieses Systems habe, so wird berichtet, "die christliche Minderheit zunehmend Nachteile" erfahren.[8] Der Kommission, die die Verfassung von 1950 ausgearbeitet hatte, gehörte der Gründer des syrischen Ablegers der Muslimbruderschaft an; die Organisation verfügt heute wieder über wachsenden Einfluss. Während die Verfassung im Jahr 1950 einer konservativen Variante des Islam großen Spielraum verschaffte, kam sie auch westlichen Neigungen spürbar entgegen. In Syrien sei, berichtete die bundesdeutsche Presse im April 1954, nach dem jüngsten Putsch die Verfassung von 1950 "wieder in Kraft getreten. Damit dürften eine Reihe von Einengungen für ausländische Interessenten fallen." "Gerade Syrien" habe "eine Reihe von Projekten durchzuführen"; das Land werde daher für westliche Unternehmen "recht lohnenswert sein".[9]


Büro in Istanbul

Nach der öffentlichen Präsentation der "The Day After"-Konzeption soll, wie die SWP berichtet, in einem nächsten Schritt nun ein Büro in Istanbul eröffnet werden. Es werde nur vorübergehend tätig sein, heißt es, und die Verwirklichung der Konzeption in drei Bereichen überwachen: Zunächst im Bereich der staatlichen Sicherheit, also bei der Durchsetzung einer neuen staatlichen Kontrolle und beim Aufbau neuer Repressionskräfte, sodann aber auch in puncto Übergangsjustiz und Aufbau des neuen Rechtssystems.[10] Für letzteren hält sich mittlerweile das Bundesjustizministerium bereit (german-foreign-policy.com berichtete [11]). Das Büro soll den Namen "Syrian Transition Support Network" erhalten. Die Aufgabenbeschreibung deutet darauf hin, dass es bereits vor dem Sturz des Regimes tätig werden soll - in denjenigen Gebieten, in denen die Aufständischen mittlerweile die Macht übernommen haben.


Die nächste regierende Klasse

Tatsächlich sind, wie die britische Presse am Wochenende berichtete, amerikanische und britische Stellen schon längst mit dem Training ausgewählter Oppositionsaktivisten befasst, die in Syrien ein "Untergrundnetzwerk" bilden. Dessen Aufgabe sei zunächst subversiver Art, heißt es: Ziel sei die Vernetzung und Unterstützung der Aufständischen, die zu diesem Zweck mit allen notwendigen Gerätschaften ausgestattet würden. Vor allem jedoch würden sie instruiert, so bald wie möglich die Kontrolle über syrische Dörfer und Städte zu übernehmen. Da sie zwar außerhalb Syriens trainiert, aber dann ins Land zurückgeschickt würden, gebe es inzwischen nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb Syriens Gruppierungen, die Planungen "für den Tag danach" vorbereiteten, bestätigt eine Sprecherin des US-Außenministeriums.[12] Die Rede ist dabei von einem "multinationalen Projekt zum Aufbau von Syriens nächster regierender Klasse". Das amerikanisch-britische Training wird in Istanbul durchgeführt - dort, wo der SWP zufolge in Zukunft ein neues Büro die Verwirklichung der "The Day After"-Konzeption in Syrien beaufsichtigen soll. Die deutsch-amerikanische Kooperation, die den geheimdienstlich-militärischen Teil der westlichen Syrien-Aktivitäten beinhaltet (german-foreign-policy.com berichtete [13]), prägt auch die Herausbildung der neuen syrischen Herrschaft.


Weitere Informationen und Hintergründe zur deutschen Syrien-Politik finden Sie hier:

  • Kriegsdrohungen gegen Syrien
    http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58244
  • Irans Achillesferse
    http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58259
  • Kriegsszenarien für Syrien
    http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58284
  • Kriegsszenarien für Syrien (II)
    http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58306
  • Mit der UNO zur Eskalation
    http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58329
  • Marktwirtschaft für Syrien
    http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58338
  • Die jemenitische Lösung
    http://german-foreign-policy.com/de/fulltext/58346
  • Schmuggelkontrolleure
    http://german-foreign-policy.com/de/fulltext/58352
  • Nach vierzig ruhigen Jahren
    http://german-foreign-policy.com/de/fulltext/58381
  • The Day After
    http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58386
  • The Day After (II)
    http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58394
  • Verdeckte Kriegspartei
    http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58404 und
  • The Day After (III)
    http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58409


Anmerkungen:
[1] s. dazu The Day After; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58386 und
The Day After (II); http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58394
[2], [3], [4] The Day After. Supporting a Democratic Transition in Syria, SWP Comments 28, August 2012
[5], [6] The Day After Project: Supporting a Democratic Transition in Syria, August 2012
[7] Katrin Schmauder: Das Darlehen im syrischen Kulturraum. Geschichte und Gegenwart: rechtshistorische und rechtsvergleichende Betrachtung, Münster 1997
[8] Nadja Thoma: Syrien - zwischen Beständigkeit und Wandel. Gesellschaftliche Strukturen und politisches System, Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie, Wien, Juni 2008
[9] Die Konkurrenz ist stark; Die Zeit 15.04.1954
[10] The Day After. Supporting a Democratic Transition in Syria, SWP Comments 28, August 2012
[11] s. dazu The Day After (III); http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58409
[12] Britain and US plan a Syrian revolution from an innocuous office block in Istanbul; www.telegraph.co.uk 26.08.2012
[13] s. dazu Verdeckte Kriegspartei; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58404

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2012