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IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Mai 2014

Syrien: UN mit ihrem Latein am Ende - Sicherheitsrat erwägt Übertragung an ICC

Von Thalif Deen


Bild: © Evan Schneider/UN

Der UN-Sicherheitsrat erwägt die Überweisung des Syrienkonflikts an den Internationen Strafgerichtshof in Den Haag
Bild: © Evan Schneider/UN

New York, 27. Mai (IPS) - Die Vereinten Nationen sind mit ihren Bemühungen, eine Lösung für den Bürgerkrieg in Syrien zu finden, an einem Endpunkt angelangt. Verantwortlich für die Sackgasse sind der Stillstand der Friedensgespräche und die fortgesetzte Pattsituation im UN-Sicherheitsrat.

Mitte Mai ist Lakhdar Brahimi als internationaler Syrien-Sonderberater der Vereinten Nationen und der Liga Arabischer Staaten zurückgetreten, nachdem er nur wenige wenn nicht gar keine Fortschritte in den Gesprächen in Genf zwischen der Regierung von Staatspräsident Baschar al-Assad und den Rebellen vorweisen konnte.

Und auch der gespaltene UN-Sicherheitsrat ist weit davon entfernt, zu einer Lösung der politischen und humanitären Krise in Syrien beizutragen. Alle vier Resolutionen, die in den Sicherheitsrat eingebracht wurden, sind am Veto von Russland und China gescheitert.


"Kontraproduktiv"

Am 22. Mai legte der UN-Sicherheitsrat einen Resolutionsentwurf für die Weiterleitung des Syrien-Problems an den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag vor. Doch John Quigley, emeritierter Professor für internationales Recht an der Staatlichen Universität von Ohio, meinte dazu gegenüber IPS, dass es durchaus Gründe gebe, eine solche Entscheidung zu überdenken. "Sie könnte sich für eine friedliche Lösung des Konflikts als kontraproduktiv erweisen."

"Es ist problematisch, die Oppositionsführung oder die Regierung zu ermuntern, ein Ende des syrischen Bürgerkriegs auszuhandeln, wenn nach Abschluss eines Abkommens die eine oder beide Seiten in Handschellen nach Den Haag ausgeflogen werden", meinte er. Mit ihren Vetos hätten China und Russland sicherstellen wollen, dass Syrien eben nicht wegen Kriegsverbrechen vor den ICC gestellt würde.

Das hatten Menschenrechtsorganisationen heftig kritisiert. Die Internationale Menschenrechtsliga (FIDH) beispielsweise verurteilte die beiden Vetos als "beschämend", und 'Human Rights Watch' (HRW) sprach von einer "schändlichen" Entscheidung.

Doch Stephen Zunes, Politikwissenschaftler und Koordinator für Nahoststudien an der Universität von San Francisco, wies darauf hin, dass sich das Doppelveto, so moralisch verwerflich es auch sein mag, sich in nichts von dem unterscheide, was die USA mit viel größerer Häufigkeit täten.

Seit Gründung der Vereinten Nationen haben die beiden Supermächte das Vetorecht am stärksten überstrapaziert: die USA 79 Mal und Russland elf Mal plus die 90 Male vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion. China war nach den jüngsten vorliegenden Zahlen insgesamt neun Mal mit dabei.

"Seit Beginn des Syrienkonflikts 2011 haben Russland und China vier Mal von ihrem Vetorecht Gebrauch gemacht und dadurch Aktivitäten verhindert, die dazu hätten beitragen können, die Menschenrechtstragödie anzugehen", heißt es in einer Mitteilung einer Koalition aus acht Nichtregierungsorganisationen einschließlich HRW und FIDH. Dass Mitglieder des Sicherheitsrates in Situationen, in denen es um Massengräuel geht, ihr Veto einlegten, bringe die ganze Institution in Misskredit.

Zunes hält die Argumentationsweise der NGOs zwar für stichhaltig und das Doppelveto für unentschuldbar. Doch ist es seiner Meinung nach wichtig, darauf hinzuweisen, dass es in erster Linie die USA gewesen seien, die mehr als jedes andere Land den ICC zu unterwandern suchten.

Nicht nur, dass sich Washington geweigert hatte, dem Strafgerichtshof beizutreten. Darüber hinaus wurde 2002 ein US-Gesetz verabschiedet, das jedem beitrittswilligen Land mit der Einstellung der US-Auslandshilfe drohte. Darüber hinaus autorisierte es den US-Staatspräsidenten, militärische Mittel zur Befreiung von US-Amerikanern oder Bürgern von Alliierten in der Gewalt des ICC einzusetzen.

Andererseits seien die Aussichten auf eine politische Lösung des Syrienkonflikts gering, und die Hinweise auf Verbrechen substanziell. "Doch die Überweisung des Falls an den ICC kommt einem Zugeständnis des Scheiterns gleich", meinte Quigley, Autor des Buches 'The Ruses of War: American Intervention since World War II' ('Die Schliche des Krieges: Die amerikanische Intervention seit dem Zweiten Weltkrieg').

Quigley zufolge wäre die Überweisung des Falls an den ICC ohnehin weitgehend symbolischer Natur. Solange die potenziellen Angeklagten in Syrien blieben, seien sie vor der Verhaftung sicher. Festnahmen hätten sie nur zu fürchten, wenn sie in einem der Vertragsstaaten des Römischen ICC-Statuts unterwegs seien, die in einem solchen Fall zur Festnahme der betreffenden Personen verpflichtet wären.

Der Resolutionsentwurf beinhaltet keinen Aufruf an die Nicht-Mitglieder des Rom-Status, mit dem ICC zu kooperieren, fügte er hinzu. Weder Syrien noch die USA sind Vertragsstaaten des Rom-Statuts, das zur Gründung des ICC führte.

Mitte des Monats hatte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon berichtet, dass man im syrischen Bürgerkrieg im vierten Jahr bereits mehr als 150.000 Todesopfer zu beklagen habe, während weitere drei Millionen Menschen in und außerhalb ihres Heimatlandes zu einem Dasein als Flüchtlinge verurteilt seien. (Ende/IPS/kb/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/05/u-n-reaches-dead-end-resolving-syrian-crisis/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Mai 2014