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BERICHT/183: Der kritische Agrarbericht 2014 (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 178 - Februar / März 2014
Die Berliner Umweltzeitung

Der kritische Agrarbericht 2014
Schwerpunkt: Tiere in der Landwirtschaft

von Jörg Parsiegla



Auf den Kritischen Agrarbericht ist Verlass. Pünktlich wie immer wurde er Mitte Januar am Vorabend der Internationalen Grünen Woche (IGW) der interessierten Presse vorgestellt. Kein Verlass hingegen war auf den sonst jeweils zeitgleich zur IGW angesagten Lebensmittelskandal (letztes Jahr war es das Pferdefleisch in der Lasagne).

Herausgeber des seit 1993 jährlich erscheinenden Agrarberichts ist das Agrarbündnis e.V. - ein Zusammenschluss von derzeit 25 unabhängigen Verbänden aus Landwirtschaft, Naturund Tierschutz sowie Verbraucher- und Entwicklungspolitik mit insgesamt mehr als einer Million Einzelmitgliedern. Der Bericht gibt mit seinen Themen eine Zusammenfassung der agrarpolitischen Debatte des Vorjahres wieder und diskutiert Weichenstellungen für die Zukunft. Schwerpunktartig geht es diesmal um Tiere in der Landwirtschaft. Gleich 30 der rund 50 Beiträge von insgesamt 77 Autoren widmen sich diesem Thema. Mit einer Ausnahme (Wald) kommen Tierschutz und artgerechte Haltung in zehn von elf Kapiteln zur Sprache - der Bogen spannt sich von A wie Agrarkultur über Gentechnik, Natur und Umwelt, Ökolandbau und Regionalentwicklung bis W wie Welthandel.

Natürlich wird im Bericht zu den Ergebnissen der EU-Agrarreform (2014 bis 2020) Stellung bezogen (DER RABE RALF gab hierzu in seiner letzten Ausgabe einen Überblick, S. 21). Wer will, kann die wichtigsten Beschlüsse noch einmal im Beitrag von Ullrich Jasper, Stellvertretender Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) nachlesen. Insbesondere geht er auf das Greening und die Staffelung der Direktzahlungshöhe innerhalb der ersten Säule der Agrarförderung ein (S. 24 ff.). Der Autor schätzt ein, dass die EU-Agrarreform den Mitgliedsstaaten "erhebliche Chancen [bietet], die Zahlungen jetzt gerechter und auch grüner zu gestalten." Und Bernd Voß, Bundesvorsitzender der AbL, der das Konzept der Agrar-Länderminister zur Umsetzung der Reform in Deutschland unter die Lupe nimmt, kommt zu dem Schluss: "Da ist noch viel mehr drin!" Gemeint ist die hier nur sehr zaghafte Nutzung der sich durch die Reform bietenden Möglichkeiten zur Stärkung umwelt- und tiergerecht wirtschaftender bäuerlicher Betriebe. Auch der Verzicht auf die Staffelung und eine Obergrenze bei Direktzahlungen innerhalb Deutschlands werden vom Autor kritisiert. Dies fördere eindeutig weiteres Landgrabbing (S. 31 ff.).

Der Kritische Agrarbericht 2014 dokumentiert einmal mehr den deutschen Boom zur Billigfleischproduktion - und die negativen Folgen für die Tiere. Der Selbstversorgungsgrad über alle Fleischarten hinweg liegt demnach in Deutschland bereits bei 120 Prozent. Das bedeutet, dass Deutschland 20 Prozent mehr Fleisch produziert, als es verbraucht. Die Tiergesundheit bleibt bei der vorherrschenden Intensivtierhaltung in den meisten Fällen auf der Strecke.

Immer mehr (Tierbestand), immer kürzer (Mastperiode) und immer intensiver (höhere Leistung) bedeuten laut Bernhard Hörning von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde eben auch mehr Krankheiten und ein kürzeres Leben der Tiere (S. 140 ff.). Auch das zum Teil bessere Management in Großbetrieben verglichen mit kleinen Höfen könne nicht die Abnahme der Betreuungsintensität bei immer mehr Tieren aufwiegen. Und selbst der hohe Antibiotika- und Hormoneinsatz gegen Infektionskrankheiten, Stoffwechsel- und Fruchtbarkeitsstörungen könne, so Hörning, nicht darüber hinweg täuschen, dass die "biologischen Grenzen der Tiere" manchmal einfach erreicht seien.

Der Kritische Agrarbericht dokumentiert aber nicht nur Missstände, er macht auch Mut. So wird von Beispielen wie dem bundesweiten Netzwerk "Bauernhöfe statt Agrarfabriken" berichtet, wo Bauern zusammen mit Verbrauchern gegen die oben beschriebenen Tendenzen mobil machen (S. 51 ff.). Eckehard Niemann von der AbL konstatiert den Erfolg von Tierschutzaktivisten wie folgt: "Allein seit Ende 2012 bis Oktober 2013 konnten in Deutschland 30 Tierfabriken für 1,9 Millionen Masthühner, 335.000 Legehennen, 20.000 Puten, 113.000 Schweine und 2.200 Kühe sowie ein Großschlachthof für Masthühner vor Ort verhindert werden".

Gedanklich bei der deutschen Fleischindustrie bleibt auch der Beitrag von Matthias Brümmer, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten in der Region Oldenburg/Ostfriesland (S. 145 ff.). Er prangert die Tatsache an, dass "in deutschen Schlachtbetrieben überwiegend aus Osteuropa kommende und zu sklavenähnlichen Bedingungen arbeitende Werksvertragsarbeiter an den Fließbändern [stehen]". Erst langsam gäbe es ein Umdenken in der Öffentlichkeit und würden entsprechende, zum Teil mafiöse Praktiken im Umgang mit den Betroffenen durch öffentlichen und politischen Druck verfolgt. Als Erfolg wäre da schon zu sehen, dass die neue rot-grüne niedersächsische Landesregierung den Unternehmen Tönnies, Danish Crown und PHW einen ersten Kompromiss bezüglich der Einführung eines bundesweiten Mindestlohns für das Gewerbe abhandelte. Dies könne jedoch nur der Anfang zu einer "fairen Arbeitspolitik" sein.

Einmal mehr stellt der Kritische Agrarbericht 2014 auf seinen 304 Seiten durch die Breite der behandelten Themen seine "Vielsprachigkeit" unter Beweis (siehe Kasten). Da geht es in den einzelnen Kapiteln um deutsche und europäische Milchmengen, um Preis-Einkommens-Betrachtungen in der Landwirtschaft und die Frage bürgerschaftlichen Engagements (Stichwort Daseinsvorsorge) ebenso wie um bio-konventionelle Rückumsteller, Fleischverzicht und Veganismus (brauchen wir Tiere überhaupt?) und, last but not least, ... die Honigbiene.

Empfehlenswert für bodenständige Leser als Fachlektüre und Nachschlagewerk!



AgrarBündnis e.V. Konstanz (Hrsg.)
Der kritische Agrarbericht 2014:
Schwerpunkt: Tiere in der Landwirtschaft
ABL Bauernblatt Verlags-GmbH, Hamm Januar 2014
304 Seiten, broschiert, 22 Euro
ISBN 978-3-930 413-57-7

Weitere Themenfelder:
- Agrarpolitik und soziale Lage
- Welthandel und Ernährung
- Ökologischer Landbau
- Produktion und Markt
- Regionalentwicklung
- Natur und Umwelt
- Wald
- Tierschutz und Tierhaltung
- Gentechnik
- Agrarkultur
- Verbraucher und Ernährungskultur

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Quelle:
DER RABE RALF - 25. Jahrgang, Nr. 178 - Februar/März 2014, Seite 26
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2014