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GENTECHNIK/506: Versteckte Verunreinigung statt Nulltoleranz (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 356 - Juni 2012
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Versteckte Verunreinigung statt Nulltoleranz
Nach dem Witten der EU-Kommission könnte es schon bald einen Toleranzschwellenwert für GVO in Lebensmitteln geben

von Marcus Nürnberger



In den vergangenen Wochen und Monaten konnte der Eindruck entstehen, die Gentechnikbefürworter sowie die Gentechnikunternehmen wie Monsanto und BASF hätten ihren Kurs gewechselt und akzeptiert, dass in Europa ein Großteil der Bevölkerung Gentechnik im Essen und damit die Agrogentechnik ablehnt. Auch die Lebensmittelwirtschaft orientiert sich offenbar immer mehr an den Kaufinteressen der Verbraucher. Vor allem bei Milchprodukten steigt die Zahl der "Ohne Gentechnik"-Produkte kontinuierlich an. Vor allem aber ist in den Ladentheken bis heute, mit Ausnahme des KaDeWe, kein einziges gekennzeichnetes Produkt zu finden. Die Selbstregulation "Was nicht gekauft wird bieten wir nicht an" zwischen Handel und Verbraucher funktioniert offenbar.


Verunreinigungen legalisieren

Das müsste nicht so bleiben, wenn sich bewahrheitet, was derzeit in Brüssel diskutiert wird. Voraussichtlich noch im Juni will die EU-Kommission einen Vorschlag für die Einführung eines Verunreinigungsschwellenwertes machen. Bis zu einer Grenze von 0,1 Prozent könnten dann gentechnische Verunreinigungen zulässig sein. Adäquat zu dem vor ca. einem Jahr eingeführten Schwellenwert bei Futtermitteln würden damit insbesondere Verunreinigungen mit derzeit in der EU nicht zugelassenen Genkonstrukten legalisiert. Bislang, zitiert die Finacial Times Deutschland einen Kommissionssprecher, gebe es noch keinen fertigen Entwurf, aber die Vorbereitungen dazu. Viele der Betroffenen zeigen sich vom Vorstoß der Kommission überrascht. Die Lebensmittelbranche hatte sich in den vergangenen Jahren auf die strengen Produktionsauflagen eingestellt und dem Wunsch der Verbraucher nach gentechnikfreien Lebensmitteln entsprochen. Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen/EFA im Europäischen Parlament bewertete das Vorgehen als Angriff auf die Verbraucher: "Eine Aufhebung der Nulltoleranz bei Lebensmitteln wäre ein Frontalangriff auf das Selbstbestimmungsrecht und die Wahlfreiheit der europäischen Verbraucher."


Kennzeichnung unterlaufen

Es ginge gar nicht darum, die Schleusen für die Gentechnik zu öffnen, dementiert der Geschäftsführer des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde Marcus Girnau auch schnell. "Es geht bei dem Toleranzwert um Rechtssicherheit im internationalen Handel." Rechtssicherheit gibt es allerdings schon jetzt. Wenn nicht zugelassene GVO gefunden werden, ist die Ware nicht verkehrsfähig. Genau diese harte Linie könnte mit der neuen Regelung aufgeweicht werden. Für den internationalen Handel brächte es möglicherweise Vorteile, wenn zukünftig Verunreinigung bis zu einem Grenzwert von 0,1 Prozent nicht nur toleriert würde, sondern im Extremfall auch keiner Kennzeichnung bedürfte. Für den Verbraucher wäre dann nicht mehr zu unterscheiden, ob das gekaufte Lebensmittel GVO enthält oder nicht. Derzeit sind die Reaktionen aus der Lebensmittelbranche auf die Ankündigung noch zurückhaltend. Es bleibt abzuwarten, ob ein konkreter Vorschlag folgt. In jedem Fall muss man die Entwicklungen genau beobachten, denn es steht nicht weniger als die Zukunft einer gentechnikfreien Lebensmittelproduktion auf dem Spiel.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 356 - Juni 2012, S. 11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2012