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INTERNATIONAL/016: Bolivien - Förderprogramm für Kleinbauern unter Beschuss (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. Juli 2011

Bolivien: Förderprogramm für Kleinbauern unter Beschuss

Von Franz Chávez


La Paz, 20. Juli (IPS) - Die Regierung in Bolivien hat ein Gesetz zur Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft beschlossen, das das südamerikanische Land von Nahrungsmittelimporten unabhängig machen soll. Das Projekt, das darauf abzielt, die traditionelle indigene Landwirtschaft mit Hilfe moderner Verfahrensweisen effektiver zu machen, ist jedoch umstritten.

Kritik kommt von der exportorientierten Agroindustrie. Sie befürchtet, ins Hintertreffen zu geraten. Aber auch Umweltschützer und indigene Führer sind unzufrieden, weil das sogenannte Gesetz der produktiven, gemeinschaftlichen Agrarrevolution ('Ley de la Revolución Productiva Comunitaria Agropecuaria') auch die Verwendung von genmanipuliertem Saatgut vorsieht.

Der Generaldirektor für Agrarproduktion und Lebensmittelsouveränität, Germán Gallardo, verteidigte gegenüber IPS das von ihm vorangebrachte Vorhaben, das private, gemischte, individuelle und kollektive Formen der landwirtschaftlichen Produktion anerkennt. Das Gesetz ermögliche den indigenen Farmern den Zugang zu Krediten, modernen Agrartechnologien und Saatgut und versetze sie somit in die Lage, Bolivien in eine Vorratskammer für Nahrungsmittel zu machen.

Die neue Regelung werde sich nicht negativ auf die agrarindustrielle Produktion auswirken, versicherte Gallardo. Sie ziele lediglich darauf ab, die kleinbäuerliche Landwirtschaft zu stärken, die immerhin 80 Prozent des nationalen Nahrungsmittelbedarfs generiere.

Anfang des Jahres hatten eine lange Dürre, wiederholte Kälteschocks, Schmuggelgeschäfte und restriktive Agrarexportbestimmungen dazu geführt, dass die großen Agrarproduzenten ihre Investitionen zurückfuhren. Daraufhin kam es zu Produktionsengpässen, die die Regierung von Staatspräsident Evo Morales zu Nahrungsmittelimporten zwangen.


Ernährungsprobleme

Gallardo zufolge gibt es in Bolivien kein Nahrungsmitteldefizit. Doch das 'International Food Policy Research Institute' (IFPRI) in Washington ist gegenteiliger Meinung. Es hat dem Andenstaat "ernste Probleme" bei der Ernährung der Bevölkerung bescheinigt. Auch der IFPRI-Hungerindex spricht eine andere Sprache. Er gibt Bolivien nur 10,9 von 100 erreichbaren Punkten.

Wie zudem aus einer Untersuchung des bolivianischen Nationalrats für Nahrungsmittelversorgung und Ernährung hervorgeht, die im letzten Jahr auf dem Ersten Gipfeltreffen für Ernährungssouveränität vorgestellt wurde, sind 26,8 Prozent aller Bolivianer chronisch unterernährt. Die Folgen sind Anämie, Vitamin A-, Zink- und Jodmangel und auch Fettleibigkeit.

Ein Großteil des Brotes, das in Bolivien verzehrt wird, besteht aus Importmehl, weil das Land den Getreidebedarf selbst nicht decken kann. Nach Angaben des Ministeriums für ländliche Entwicklung fuhr Bolivien 2010 nur 271.330 Tonnen Getreide ein. Die Nachfrage lag hingegen bei 631.000 Tonnen.


'Agrovielfalt' statt Gen-Einheitsbrei

Der einflussreiche Indigenenrat Conamaq hat die Morales-Regierung aufgefordert, genetisch modifiziertes Saatgut aus der bolivianischen Landwirtschaft und aus dem neuen Gesetz zu verbannen. "Transgene Saaten sind nicht aus gesundheitlichen Gründen inakzeptabel, sie machen uns zudem von transnationalen Konzernen abhängig", warnte der Conamaq-Leiter, Rafael Quispe.

Edwin Alvarado von der Naturschutzliga Lidema zufolge ist das in Bolivien produzierte Soja zu 86 Prozent genmanipuliert. Auch wenn diese Entwicklung nicht mehr umkehrbar sei, muss seiner Meinung nach ein Sondergesetz her, das alle anderen Lebensmittelpflanzen vor einer ebensolchen Kontaminierung schützt. "Bolivien hätte das Zeug, zu einem Modell für 'Agrovielfalt' zu werden." (Ende/IPS/kb/2011)


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http://www.lidema.org.bo/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=98666

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IPS-Tagesdienst vom 20. Juli 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2011