Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → ERNÄHRUNG

INTERNATIONAL/053: Südsudan - Junge Leute zur Feldarbeit in polizeieigenen Agrarbetrieben gezwungen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. September 2012

Südsudan: Feldarbeit für Müßiggänger - Junge Leute zur Nahrungsproduktion gezwungen

von Charlton Doki


Männer und Frauen bei der Aussaat im Bundesstaat East Equatoria - Bild: © Charlton Doki/IPS

Männer und Frauen bei der Aussaat im Bundesstaat East Equatoria
Bild: © Charlton Doki/IPS

Juba, 7. September (IPS) - Im Südsudan zwingen die Sicherheitskräfte junge Leute zur Feldarbeit in polizeieigenen Agrarbetrieben. Wie der Polizeichef des Bundesstaates Northern Bahr al-Ghazal erklärte, werde man jungen Männern nicht länger erlauben, den ganzen Tag mit Teetrinken und Kartenspielen zu vertun, während das Land auf eine Ernährungskrise zusteuerte.

"Wer nicht in der Landwirtschaft arbeiten will, wird mitgenommen und dazu gezwungen, unsere Äcker zu bestellen", sagte Polizeichef Akot Deng Akot. "Das gilt auch für Soldaten, Polizisten und Gefängnisaufseher. Wenn ihr in Festtagskleidung in der Stadt herumlungert, werden wir euch mitnehmen, damit ihr für uns arbeitet."

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind derzeit etwa 4,7 Millionen Südsudanesen - fast die Hälfte der gesamten Bevölkerung - mit Nahrungsmitteln unterversorgt. Eine Million Menschen könne nur alle zwei bis drei Tage eine Mahlzeit zu sich nehmen, berichtete die UN-Koordinatorin für humanitäre Angelegenheiten im Südsudan, Lise Grande. Weiteren 3,7 Millionen Menschen steht täglich eine Mahlzeit zur Verfügung.

Die im ganzen Land herrschende Nahrungsknappheit wird unter anderem auf mangelnde Getreidevorräte zurückgeführt. Nach UN-Angaben hat sich das Defizit von 200.000 Tonnen 2011 auf 470.000 Tonnen in diesem Jahr mehr als verdoppelt. Die Lage wird durch hohe Treibstoffpreise und eine schwache Landeswährung weiter verschärft.


Hunger bedroht ganzen Bundesstaat

Nach Angaben des südsudanesischen Amts für Statistik ist die Ernährung von mehr als 80 Prozent der etwa 791.000 Einwohner von Northern Bahr al-Ghazal gefährdet. Die Behörden greifen daher zu drastischen Mitteln, um die Landwirtschaft in der Region voranzutreiben.

Polizeichef Akot gab ferner bekannt, dass die lokalen Gerichte, die häufig Viehdiebstahldelikte verhandeln, in der Pflanzzeit von Oktober bis Dezember geschlossen bleiben. Jede helfende Hand werde gebraucht, betonte er.

Erste Festnahmen sind bereits erfolgt. So berichtete der Journalist Hou Akot Hou aus Northern Bahr al-Ghazal, dass im Juli nahe der Grenze zum Sudan Dutzende Jugendliche auf Anordnung des lokalen Chiefs Atak Awan Anei festgenommen worden seien. Anei ist der Bruder des Bundesstaatengouverneurs Paul Malong Awan Anei.

Das Vorgehen der Sicherheitskräfte findet in der Bevölkerung breite Zustimmung. "Die Regierung soll ruhig die jungen Männer, die alt genug sind, um für sich selbst zu sorgen, zur Feldarbeit zwingen", meinte Justin Aryur aus der Ortschaft Warwar, wo die Festnahmen erfolgt sind. Auch viele junge Leute sind mit der Zwangsmaßnahme einverstanden. "Wir Jungen haben die Energie, um Nahrung zu produzieren. Wir sollten die Chance nutzen, um die Lebensbedingungen unseres Volkes zu verbessern", erklärte Titotiek Chour.

Auch in anderen Teilen des Südsudans werden Maßnahmen gegen die Nahrungskrise ergriffen. In den Bundesstaaten Eastern und Central Equatoria werden Beamte freitags und samstags für die Arbeit in der Landwirtschaft freigestellt.


Unwilligen Beamten droht Kürzung der Bezüge

Der Gouverneur von Central Equatoria, Louis Lobong Lojore, drohte Beamten, die den Einsatz auf Farmen verweigern, mit der Kürzung ihrer Bezüge. Denjenigen, die nicht auf dem Feld angetroffen werden, soll bis nach Ablauf des Programms jede Woche der Lohn für zwei Tage abgezogen werden.

Der Informationsminister von East Equatoria, Felix Otudwa, ist überzeugt, dass die Zwangsmaßnahmen die Lebensmittelproduktion und Ernährungssicherheit in diesem Jahr verbessern werden. "In diesen Tagen sieht man keine Leute mehr, die unter Bäumen sitzen, Tee trinken und Karten spielen, wie dies früher der Fall war. Jeder ist fleißig, auch an den Wochenenden", sagte er. "Und alle machen mit: der Gouverneur ebenso wie die Minister und Beamten."

Es gibt aber auch kritische Stimmen, die den Zwangsrekrutierungen jede Legitimität absprechen. "Welches Gesetz erlaubt Menschen festzunehmen, nur weil sie werktags nicht auf einer Farm erscheinen?", meinte etwa Edmond Yakani, der Koordinator der Organisation 'Community Empowerment for Progress'. Yakani hält ebenso die Gehaltskürzungen für die Beamten in Eastern Equatoria für unzulässig. Auch dafür gebe es keinerlei gesetzliche Grundlage. Um Bürger zur Landarbeit verpflichten zu können, müsse zunächst ein entsprechendes Gesetz her, betonte er.

Seiner Ansicht nach ließen sich mehr Freiwillige für die Mitarbeit in der Landwirtschaft gewinnen, wenn man den Menschen den Zugang zu Land, Geräten und Saatgut erleichtern würde.

Kritik an den umstrittenen Regelungen kommt auch von Behördenvertretern. Ein Beamter, der seinen Namen nicht nennen wollte, äußerte die Befürchtung, dass die Freistellung von Kollegen für den Ackerbau die Arbeit der Gesundheitsbehörden erheblich beeinträchtigen werde.

Doch dem Agrarexperten Isaac Woja zufolge werden sich die Auswirkungen der Regelungen erst bewerten lassen, wenn die Ernte eingebracht ist. Der Agrarminister von Central Equatoria, Michael Roberto Kenyi, kündigte an, dass eine solche Auswertung nach dem Ende der Ernte im Dezember vorgenommen werde. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.undp.org/content/undp/en/home/ourperspective/ourperspectivearticles/2012/07/11/south-sudan-reflections-on-one-year-after-independence/
http://www.ipsnews.net/2012/09/fighting-hunger-arresting-south-sudans-idle-youth/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. September 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2012