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INTERNATIONAL/197: US-Landwirtschaft auf Talfahrt (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 426 - November 2018
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

US-Landwirtschaft auf Talfahrt
Umwelt, Einkommen und Exportschranken


(ml) Tim Burracks 1.200-Hektar-Farm ist im Nordosten Iowas gelegen und an einem nebligen Oktobermorgen nicht leicht zu finden. Die Soja- und Maisfelder sind abgeerntet, die Landschaft erscheint kahl, eben und grau. Kein Baum, der als Markierung dienen könnte, nur ab und zu sind flache Stallgebäude zu erkennen, gelegentlich auch ein Wohnhaus. Die schmalen landwirtschaftlichen Nutzstraßen, die Iowa wie ein Gitter überziehen, sind auf der Karte nicht verzeichnet, das Navi hat keinen Empfang. Ein Fahnenmast mit der US-Flagge und darunter der Fahne Iowas markieren die Einfahrt zu dem modernen Bungalow, den Tim Burrack erst vor ein paar Jahren gebaut hat. Eine gute Meile sei es sicher bis zum Haus der nächsten Nachbarn, sagt er und führt mich in sein Büro. Neben den Computerbildschirmen flackern eine Reihe von Monitoren, auf denen sich die Entwicklungen an der Rohstoffbörse in Chicago verfolgen lassen. An den Wänden hängen Auszeichnungen - Ernterekorde, Ehrungen von Saatgutfirmen und dem Verband der Maisanbauer.

Kurze Geschichte
Landwirtschaft gibt es im Mittleren Westen erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, als die ersten Weißen begannen, die Prärie urbar zu machen. Die meisten betrieben Landwirtschaft genau so, wie sie es aus ihren europäischen Heimatländern gewohnt waren. Erst ab dem Ende des Zweiten Weltkrieges ermöglichte die fortschreitende Mechanisierung die Bearbeitung größerer Flächen mit weniger Arbeitskräften. Chemische Dünger und Pflanzenschutzmittel sorgten für wachsende Erträge. Die industrielle Agrarwende mit ihrer Umstellung auf Mais- und Sojamonokulturen und der damit einhergehenden Überproduktion lässt sich genau datieren: Sie begann 1971. "Wachsen oder weichen" war das Motto von Richard Nixons Landwirtschaftsminister Earl Butz, der auf Agrarexporte setzte und die Farmer aufforderte, jede verfügbare Fläche zu nutzen und "von Zaunpfahl zu Zaunpfahl" zu pflügen.

Um die Expansion zu finanzieren, nahmen die Landwirte oft hohe Kredite auf, was in den 80er Jahren durch steigende Zinsen und sinkende Weltmarktpreise für viele im Bankrott und dem Verlust ihrer Höfe endete. Während die Zahl der Landwirte weiter sank, nahm die Größe und Effizienz der "überlebenden" Betriebe zu. Farmer wie Tim Burrack waren zwar nicht in der Lage, große Mengen Land zu kaufen, aber er konnte es pachten. Von den 1.200 Hektar, die er heute bewirtschaftet, ist noch immer die Hälfte Pachtland. Die kontinuierliche Überproduktion von Soja und Mais schuf ideale Bedingungen für die Intensivtierhaltung. Mit der Massentierhaltung kam die "vertikale Integration": Einige wenige Konzerne dominieren heute den Markt, indem sie den gesamten Produktionsprozess kontrollieren, von Saatgut und Futtermittelproduktion über Aufzucht, Mast, Schlachtung und Verarbeitung bis hin zu Verpackung und der Platzierung im Supermarkt. Die Tiere, die Konzerne wie Tyson oder Smithfield nicht selbst produzieren, kaufen sie an der Börse von Farmern wie Tim Burrack. 36.000 Schweine produziere er pro Jahr, erzählt er. Ob ich die Stallungen sehen könne, frage ich. Leider nein, sagt er, wo die Tiere seien, wisse er nicht. Die Aufzucht obliege einem Lohnmäster, der sie termingerecht, mit vorgeschriebenem Schlachtgewicht, zu einem festgelegten Preis abzuliefern habe. Lohnmäster tragen oft nicht nur das finanzielle Risiko der Produktion, sondern müssen meist auch mit hohen Investitionen, z. B. für Stallungen, in Vorlage gehen.

Mehr Zeit und Superunkräuter
In den 90er Jahren gelang findigen Wissenschaftlern schließlich die Erfindung der Gans, die goldene Eier für die Industrie legt: düngerhungrige, herbizidtolerante GVO-Soja- und Maissaaten. Saatgut, Dünger und Pestizide: das Komplettpaket für den Acker - von Roundup Ready bis Xtendimax. Der Preis für die Ertragssteigerungen sind deutlich höhere Inputkosten. Von 2010 bis 2013 garantierten hohe Weltmarktpreise trotzdem Gewinne, seither sind die Preise wieder deutlich gefallen und liegen z. T. unter den Gestehungskosten. Trotzdem reifen auch 2018 auf 39 Millionen Hektar Mais und auf 32 Millionen Hektar Sojabohnen. "Wir ernähren zwar nicht die Welt", räumt Tim Burrack ein, "aber Mais und Soja sind weiterhin die lukrativsten Feldfrüchte, die wir hier anbauen können." Bereits seit Ende der 90er Jahre baut er gentechnisch veränderte Sorten an. Lukrativ ist für ihn die Saatgutproduktion für eine der Agrarchemiefirmen. Die Entscheidung für GVO-Saaten sei für ihn eine Frage des Lebensstils, er habe mehr Zeit für Familie und Hobbies. Derweil erfordern Klimawandel und die zunehmende Herbizidresistenz von Unkräutern neue Investitionen. Auf etwa 28 Millionen Hektar Land werden die Farmer den "Superunkräuter" nur noch mit der Hacke Herr - es sei denn, sie investieren in die neuen, gegen Dicamba und Glyphosat resistenten GVO-Sojasorten und riskieren Schadensersatzklagen der Nachbarn wegen Driftschäden. Tim Burrack sieht das gelassen, er habe volles Vertrauen in den wissenschaftlichen Fortschritt und die Forschungsarbeit der Agrarchemiefirmen. "Die Menschheit ist auf einer positiven Entvvicklungskurve, die Wissenschaft wird unser Leben immer besser machen." Auch mit den sich verändernden Wettermustern könne man fertig werden. Auf den schweren Böden blieben manchmal nur wenige Tage für Aussaat und Ernte, sagt Tim Burrack - neue, noch größere Maschinen versprechen Abhilfe. Stolz zeigt er mir seine neu gebaute Maschinenhalle, groß wie ein Flugzeughangar. Hier stehen Landmaschinen im Wert von vielen Millionen Dollar. Der neue Mähdrescher, ein Vorführmodell, war ein Schnäppchen und hat lediglich 470.000 US-Dollar gekostet. Die Schulden wird Tim Burracks Sohn in den nächsten Jahren zusammen mit dem Hof übernehmen. Wird er sie abbezahlen können? Wie in den 80er Jahren sind heute wieder viele Farmer stark verschuldet, und steigende Landpachtraten verschärfen den Druck.

Maiszucker ist überall
Noch rettet die "US-Farm-Bill", ein Gesetz zur Agrarförderung, die Farmer im Mittleren Westen. Vereinfacht beschrieben legt das Gesetz basierend auf den Mais- und Sojapreisen der jeweils letzten fünf Jahre einen Richtwert fest. Liegen die Marktpreise des laufenden Jahres darunter, wird dem Landwirt die Differenz erstattet. Ein Drittel des produzierten Maises dient als billiges Viehfutter und führt zu einer Überproduktion von Milch und Fleisch. Knapp 40 Prozent werden zu Ethanol und Biogas verarbeitet. Glucose-Fructose-Maissirup (HFCS) findet sich in fast allen Lebensmitteln. An neuen Verwendungsmöglichkeiten von Maisstärke, z. B. für "Bio"-Plastik, wird gearbeitet. Insgesamt mehr als 20 Prozent aller US-Agrarprodukte gehen in den Export. Strafzölle und das mögliche Scheitern der NAFTA-Neuverhandlungen (Zollunion Kanada, Mexiko, USA) könnten das bald ändern. Eine neuerliche US-Farmkrise wäre dann nicht nur wahrscheinlich, sondern unausweichlich.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 426 - November 2018, S. 16
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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(verbilligt auf Antrag 32,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2019

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