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LANDWIRTSCHAFT/1351: Stroh, Resistenzen, Mäuse und Glaubenssätze unterpflügen (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 319 - Februar 2009
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Stroh, Resistenzen, Mäuse und Glaubenssätze unterpflügen
Ackerbau ohne Pflug ist selbst bei der DLG nicht mehr alleinseligmachend

Von Claudia Schievelbein


Gelb ist seit einigen Jahren nicht mehr nur die Farbe reifer Getreidefelder oder abgeernteter Stoppeln. Gelb prägt nun häufig die Landschaft, auch wenn sie eigentlich grün oder braun sein müsste. Denn gelb werden Zwischenfrüchte, Unkraut und aufgelaufenes Ausfallgetreide oder -raps nach dem Abspritzen mit einem Totalherbizid wie dem Glyphosat in Roundup. Und diese ackerbauliche Maßnahme ist fester Bestandteil der reduzierten oder auch komplett pfluglosen Bodenbearbeitung, die sich in den vergangenen Jahren immer stärker durchgesetzt hat. Zumal es zum Teil sogar staatliche Fördermittel für den bodenschonenden Effekt gibt, beziehungsweise seit diesem Jahr Cross-Complience-Auflagen daran geknüpft sind. Für die Mitglieder der vermeintlich fortschrittlichen deutschen Landwirtschaftsgesellschaft DLG wurde diese Ackerbaumethode zu einem Glaubenssatz, weil sie durch den geringeren Energie- und Zeitaufwand Kosten minimiert. So weit die Theorie, die Praxis beschert dem Pflug aber neuerdings selbst in DLG-Kreisen fast so etwas wie eine Renaissance. Auf ihrer diesjährigen Wintertagung stellten sie jedenfalls die Frage, ob der Pflug nicht zu neuen Ehren kommt. Eindrucksvoll erläuterte Günther Klingenhagen von der Landwirtschaftskammer NRW, dass "die Pflanzenschützer nicht zur Reparaturkolonne der Pflanzenbauer werden können" diese Rolle aber nur allzu oft einnehmen sollen. Er machte klar, dass ein pflugloser Anbau die Resistenzbildung bei Unkräutern vor allem aber bei Ungräsern gegenüber Pestiziden unterstützt, da sie nie vollständig bekämpft, bei einem Spritzen nach Schadschwellenprinzip sogar zum Teil toleriert und dabei eine Auslese auf die Widerstandsfähigen unter ihnen gefördert wird. Klingenhagen stellte die provozierende Frage, ob man "Weizenanbauer oder Resistenzzüchter sein wolle". Auch bei Glyphosat, das bislang immer als sicher vor Resistenzausbildungen gegolten hatte, haben sich die ersten widerstandsfähigen Populationen von Ackerfuchsschwanz oder Weidelgras entwickelt. Das bedeutet mindestens eine Erhöhung der Aufwandmenge, eventuell erneutes Spritzen, sprich höhere Kosten.


Und auch noch Mäuse

Hinzu kommt laut Karsten Möller von der Landwirtschaftskammer in Niedersachsen bei der reduzierten Bodenbearbeitung ein vermehrtes Auftreten von Schädlingen und Krankheiten, speziell in engen Fruchtfolgen mit Mais und Weizen. Kostenoptimierer lockern aber nicht ihre Fruchtfolge auf. Ein weiterer Minus-Punkt ohne Pflug ist, dass es sich offenbar in der Praxis als große ackerbauliche Herausforderung entpuppt hat, das Stroh - auch kurzstrohiger Sorten - nach der Ernte nur mir dem Grubber gleichmäßig einzuarbeiten und damit der Folgefrucht ein optimales Saatbett zu bereiten. Dann gibt es Studien, die dem Grubber Schadverdichtungen zum Teil stärker als die klassische Pflugsohle nachweisen, sowie Ertragsmessungen, die nur unter intensivsten (teuersten) Düngebedingungen, pfluglos oder reduziert soviel im Drescher landen lassen wie mit Pflug, und die Mäuse. Letztere lieben laut Zoologe Gerhard Lauenstein Steppenlandschaften, wie sie intensiv genutzte, großflächig ohne Unterbrechungen durch Knicks verbundene Agrarwüsten darstellen, besonders, wenn auch noch dauerhaft etwas drauf wächst und eben nicht gepflügt wird. Wenn dann nicht nur gegen Ausfallgetreide, Unkraut, Schädlinge und Krankheiten an den Nutzpflanzen vermehrt mit der Spritze vorgegangen werden muss, sondern auch noch Mäuse bekämpft und lückige Bestände durch suboptimale Stroheinarbeitung in Kauf genommen werden müssen, sind die Kostenvorteile der reduzierten Bodenbearbeitung bald sehr reduziert. Und die Umweltvorteile, durch Bodenschutz bei eben nur vermeintlich geringem Pestizideinsatz geraten auch ins Wanken. Selbst die Experten der DLG kommen zu dem Schluss, dass man im Einzelfall sehr genau hingucken muss, was sinnvoll ist. In erosionsgefährdeten Hanglagen und auf sehr schweren Böden mag mindestens die Reduktion des Pflugeinsatzes Vorteile mit sich bringen. Eine finanzielle Förderung reduzierter Bodenbearbeitung als besonders umweltschonende Maßnahme auf allen Ackerstandorten ist aber nicht angemessen. Vielmehr sollten vielfältige Fruchtfolgen, die Krankheiten und Schädlingen vorbeugen, eine angemessene Bodenbearbeitung, die den Pflug nicht generell ausschließt, soweit es der Ackerhygiene dient, aber so wenig wendet wie nötig, und eine Reduktion des Pestizideinsatzes propagiert und unterstützt werden. Wie wäre es damit als neuem Glaubenssatz der DLG?


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Pestizide: eine Regelung für alle und keinen

Wie so oft ist am Ende ein Kompromiss bei dem herausgekommen, was Europaparlament, EU-Kommission und Ministerrat in Sachen Novellierung der Pestizidgesetzgebung nun auf den Weg gebracht haben. Die Horrorszenarien, die Industrie und Bauernverband von Hungersnöten durch Missernten, weil den Bauern und Bäuerinnen plötzlich keine Spritzmittel mehr zur Verfügung stehen, konstruiert hatten, lassen sich nicht mehr aufrecht erhalten. Es ist wie immer mit einem Kompromiss, niemand ist hundertprozentig glücklich oder unglücklich. Und so freuen sich die Umweltverbände über die strengste Pestizidgesetzgebung der Welt und beklagen, dass nicht noch strenger vorgegangen wurde. Bauernverband und Industrie beweinen drastische Einschränkungen der Mittelpalette, sind aber froh und rühmen sich auch damit, dass es nicht so schlimm gekommen ist, wie ursprünglich vom EU-Parlament geplant. Im Moment ist de facto noch gar nicht absehbar, welche Mittel denn nun konkret ab frühestens 2011 verboten werden. Erstens gibt es die Verordnung zur Risikoabschätzung noch nicht, nach der die Mittel bewertet werden. Zweitens ist das neu eingeführte Ausschlusskriterium der hormonellen Wirksamkeit noch gar nicht genauer definiert und damit kaum einzuschätzen, welche Wirkstoffe davon betroffen sein werden. Hinzu kommt, dass es natürlich immer auch Ausnahmeregelungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten geben kann und dass letztlich immer Interpretationsspielräume in der Verordnung bleiben. Nichtsdestotrotz gibt es vom Bundeslandwirtschaftsministerium eine Liste mit Mitteln, die potentiell von einem Verbot betroffen sein könnten. Da die neuen Bewertungskriterien für Pestizide erst greifen werden, wenn ihre Zulassungen auslaufen, wird sich die entscheidende Frage, ob ein Mittel verboten wird oder nicht. für die meisten erst in mehreren Jahren stellen. Bis dahin sollte die innovative Industrie längst weniger schädliche Produkte entwickelt haben.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 319 - Februar 2009, S. 5
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2009