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LANDWIRTSCHAFT/1633: Ein Ruck geht durch Deutschlands Ställe (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 383 - Dezember 2014
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Ein Ruck geht durch Deutschlands Ställe
Die Tierwohlinitiative soll Massentierhaltung salonfähig machen - Strukturelle Fehler bleiben

Von Marcus Nürnberger


Zum ersten Januar startet SIE! Die Tierwohlinitiative. Als branchenübergreifender Ansatz soll sie, so zumindest der Name, mehr Tierwohl in deutschen Ställen möglich machen. Maßgeblicher Mitinitiator ist der Deutsche Bauernverband. Der Verband, der immer behauptet, in den Ställen sei alles in Ordnung. Seine Bauern handeln nach guter fachlicher Praxis. Genau dieser Bauernverband gesteht jetzt mit der Tierwohlinitiative ein, dass eben doch nicht alles zum Besten ist im deutschen Schweinestall. Es war wohl unter anderem der Handel, der genug hatte von immer neuen Skandalberichten aus Ställen, in denen Ferkel totgeschlagen wurden und sich Schweine kannibalisieren. Jetzt wird Geld gesammelt. 4 Cent pro Kilo verkauftem Schweinefleisch zahlt der Handel in den Tierwohlfonds. Anteilig wird auch für Wurst und andere Produkte mit Schweinefleisch eingezahlt. In der Konsequenz könnten im kommenden Jahr 64 Mio. Euro für Haltungsverbesserungen zur Verfügung stehen. Damit das ganze Projekt zum Beginn des kommenden Jahres, pünktlich zur grünen Woche in Berlin, starten kann, mussten die Organisatoren sich sputen. So ist zu erklären, dass die genauen Abläufe noch nicht im letzten Detail verfügbar sind. Voraussichtlich ab dem ersten April sollen sich interessierte Schweinehalter bei der Initiative anmelden können. Falls es mehr Teilnehmer geben sollte, als Geld im Fonds zur Verfügung steht, 'dann entscheidet der Termin, zu dem der Schweinehalter die von ihm gewählten Kriterien im eigenen Stall umgesetzt hat.

Dreigeteilt

Das System unterscheidet zwischen Sauenhaltung, Ferkelaufzucht und Schweinemast. Aus den Wahlpflichtkriterien 10 Prozent mehr Platz oder unbeschränkter Zugang zu Raufutter muss der Halter eines auswählen. Darüber hinaus können weitere individuell dotierte Kriterien ausgewählt werden. Die höchsten Beträge gibt es für mehr Platz. Bedeutet dieser doch immer eine verringerte Tierzahl und damit eine der entscheidenden Wirtschaftlichkeitsgrößen im System Massentierhaltung.

Guter Indikator

Welches Interesse die Initiatoren der Tierwohlinitiative bei ihrer Erstellung auch verfolgten, die Rangliste der einzelnen Verbesserungen nach ihrer finanziellen Vergütung zeigt, wo die Probleme in der industrialisierten Tierhaltung zu finden sind. Da ist allem voran die Enge. Wenig Platz für's Tier ist die Lösung, damit bei niedrigen Preisen eine möglichst effektive Auslastung der Ställe noch einen Gewinn erreichbar scheinen lässt. Verwundern kann das nicht, denn der Preisdruck zwingt die Schweinehalter dazu, jeden einzelnen Schritt vor allem unter Kostenaspekten zu betrachten. Betäubungslose Kastration - günstiger. Ganzflächiger Spaltenboden - günstiger. Kein Auslauf - günstiger. Hier soll nun gegengesteuert werden.

Wo bleibt der Ringelschwanz

Kein Symbol ist in der Schweinemast so aussagekräftig wie der Ringelschwanz. Wie fast kein anderes Merkmal steht er für das Wohlbefinden der Tiere, genügend Platz, kein Stress. Dabei sind bisher lange noch nicht alle Faktoren bekannt und auch unter vermeintlich guten Haltungsbedingungen kann das gegenseitige Schwanzbeißen vorkommen. Bei den aktuellen Tierwohlkriterien der Brancheninitiative fehlt der intakte Schwanz als besonderes Kriterium ganz. Nach Auskunft der bei der Qualität und Sicherheit GmbH (QS) für den Bereich Futtermittelwirtschaft und Landwirtschaft Verantwortlichen, Frau Karin Spemann, ist dies den vielen noch offenen Fragen rund um den Ringelschwanz geschuldet. In einem Produktionssystem, bei dem die Ferkel mehrmals in ihrem Leben den Betrieb wechseln, muss sichergestellt sein, so Spemann, dass die Schwänze zu keinem Zeitpunkt zum Problem werden. Auch sei unklar, wie die Bewertung am Schlachthof, nach Zahl der unversehrten Schweineschwänze, objektiv vorgenommen werden könne. Alles Gründe, weshalb der Ringelschwanz frühestens mit einem halben Jahr Verspätung als Wahlkriterium möglich sein wird. Bei der Tierwohlinitiative kann jeder mitmachen, der die Kriterien erfüllen kann. Für Bio- und für Neulandbetriebe stellen die Kriterien keine Hürde dar. Neuland erfüllt die meisten Kriterien sowieso. Auch für Biobetriebe stellen. die Anforderungen keine Herausforderung dar. Trotzdem sollte die Teilnahme wohl überlegt sein. Auf der einen Seite stehen mögliche zusätzliche Einnahmen. 6 Euro je Ferkel im sauenhaltenden Betrieb, 3 Euro pro Tier bei der Ferkelaufzucht und nochmal 9 Euro für das Mastschwein sind möglich. Für Bio- und Neulandbetriebe sind diese 18 Euro ohne große Umbauten zu erreichen. Der Rattenschwanz ist die vorgeschriebene QS-Zertifizierung. Weitere Dokumentation, weiteres Reglement, noch eine weitere Kontrolle. Vor der Verpflichtung, die für drei Jahre gilt, sollte die zusätzliche Schreibtischarbeit kalkuliert werden.

Mit einem Lächeln

Betrachtet man die Entwicklungen mit ein wenig Abstand, könnte man meinen, hier sei ein Stück Geschichte geschrieben worden. Mit den Kriterien der Initiative, die nahezu identisch mit den Anforderungen der meisten Bioverbände sind, konstatiert der DBV, dass diese den anzustrebenden Zustand wiedergeben. Wenn darüber hinaus das Schweinefleisch im Laden um 4 Cent pro kg teurer wird, weil nicht davon auszugehen ist, dass der Handel auf seine Gewinne verzichtet, dann verringert sich der Abstand von konventionellem zu Bio-Schweinefleisch. Dafür steht beim Bio-Schweinefleisch außen drauf, was innen drin ist. Die Branchenlösung verzichtet bewusst auf ein Label und wirft alles in eine Theke. Lassen sich die Verbraucher von diesem "Ein bisschen Tierwohl wäscht die ganze Branche weiß" täuschen? Wenn nicht, dann gibt es hoffentlich bald mehr Tierwohllabel im Supermarkt und vor allem viel mehr Platz für Schweine.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 383 - Dezember 2014, S. 5
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2015

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