Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft,
Verbraucherschutz und Landesentwicklung
Pressemitteilung Nr. 64 vom 26.06.2017
Landwirtschaftsminister Meyer: Agrarmilliarden aus Brüssel für den Ausstieg aus der Massentierhaltung nutzen
"Wir brauchen einen Umbau der Agrarpolitik" - Dialogangebot zum Bauerntag
HANNOVER/BERLIN. Kurz vor Beginn des Deutschen Bauerntages am 28. Juni hat Niedersachsens Agrarminister Christian Meyer sein Dialogangebot an die Landwirte für einen gemeinsamen Richtungswechsel in der Agrarpolitik bekräftigt. "Wir brauchen einen solchen Umbau, sowohl national als auch international", sagte Meyer bei der Vorstellung eines Sechs-Punkte-Plans mit der Grünen-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt in Berlin.
"Wir wollen zusammen mit den Bäuerinnen und Bauern den Ausstieg aus der Massentierhaltung erreichen", sagte Meyer zum "Zukunftsplan Agrarpolitik". Deshalb sei es unumgänglich, von den EU-Agrarzahlungen eine Milliarde Euro umzuschichten. "Für bessere Preise sowie mehr Tier- und Umweltschutz", fügte Meyer hinzu. Ein "Systemwechsel" sei unausweichlich. "Die Gesellschaft will das so, die Experten raten auch dringend dazu", so der Minister. Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik (WBA), das ranghöchste wissenschaftliche Beratungsgremium des Bundeslandwirtschaftsministeriums, war 2015 in seinem Frühjahrsgutachten zum Schluss gekommen, dass die derzeit vorherrschende Tierhaltung in Deutschland gesellschaftlich nicht akzeptiert wird und nicht zukunftsfähig ist.
Meyer betonte, bei der Neuausrichtung der Agrarpolitik sei der Ausstieg aus der Massentierhaltung "der Schlüssel zur Bewältigung schwerwiegender Folgen - für Mensch, Tier und Umwelt". Schon jetzt seien die Auswirkungen unübersehbar. "Zu viele Tiere mit zu wenig Platz und Auslauffläche führen zu mehr Tierleid, mehr Gülle und Überdüngung. Der Schaden für Boden, Luft und Gewässer ist bereits immens, die Hypothek für die kommenden Generationen hoch", sagte der Agrarminister. "Und viele Bauern kämpfen um ihre Existenz, weil sie ihr Heil in der Masse suchen, aber durch die Billigproduktion noch mehr in eine Preisspirale nach unten geraten. Wir müssen diesen Teufelskreis durchbrechen." Die jahrzehntelang goutierte und geförderte Massentierhaltung "hat sich als Irrweg erwiesen", so Meyer. "Die EU-Agrarsubventionen in Milliardenhöhe haben diese dramatische Entwicklung noch beschleunigt. Es ist höchste Zeit, einen neuen Weg in Richtung einer nachhaltigen Landwirtschaft einzuschlagen."
Der nun vorliegende Sechs-Punkte-Plan sei ein Angebot an den Bauerntag und "eine Roadmap für den Richtungswechsel in der Agrarpolitik". Als wesentliche Wegmarken nannte Meyer neben Tierwohl, Wasserschutz und Stärkung des Ökolandbaus eine "verbindliche Tierhaltungskennzeichnung" nach dem Vorbild der Eierkennzeichnung von "0" für Bio bis "3" für konventionelle Stallhaltung. "Die Menschen wollen endlich wissen, wie ein Tier gelebt hat, dessen Fleisch sie essen", sagte Meyer. "Einen solchen Umbau gibt es aber nicht zum Nulltarif." Das habe bereits der WBA klargestellt. Unabdingbar sei daher eine Umverteilung der Agrarmilliarden aus Brüssel. Von jährlich insgesamt rund 50 Milliarden Euro an EU- Agrarsubventionen erhalte Deutschland rund 6,3 Milliarden Euro. "Da wird es doch wohl möglich sein, diese üppige Summe nicht mehr vor allem deshalb zu zahlen, weil jemand landwirtschaftliche Fläche hat", sagte Meyer. "Das sind verstaubte Modelle, die niemals zu einer ressourcenschonenden Landwirtschaft führen werden." Meyer: "Wir müssen umsteuern. Un d wir müssen noch mehr als bisher die Leistung der Landwirte honorieren, die auf Klasse statt Masse setzen und damit die Agrarwirtschaft betreiben, die von der Gesellschaft akzeptiert wird - mit mehr Tierwohl, Klima- und Umweltschutz."
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Katrin Göring-Eckardt MdB, Fraktionsvorsitzende Bundestagsfraktion Bündnis
90/Die Grünen
Christian Meyer MdL, Minister für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz in Niedersachsen
"Nicht zukunftsfähig" sei die derzeitige landwirtschaftliche Tierhaltung in Deutschland. So lautet das Urteil des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik des Bundesagrarministeriums. Dass es so nicht weitergehen kann in der Tierhaltung in Deutschland, ist aber nicht nur den dort tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern klar.
Bürgerinnen und Bürger lehnen die grausamen Bilder und Zustände in der Massentierhaltung ab, mit denen sie medial konfrontiert werden. Sie akzeptieren nicht, dass im Jahr 2017 Tiere so leiden müssen: Unter Hochleistungszucht und Enge, mit amputierten Körperteilen und viel zu häufig auch offensichtlichen Wunden.
Gleichzeitig können immer mehr Bäuerinnen und Bauern von den Preisen, die sie für ihre Erzeugnisse bekommen, nicht mehr leben. Sie bezahlen den Wachstums- und den Kostendruck, um im Weltmarkt mithalten zu können, mit ihrer Existenz.
Die große Koalition ist mit ihrer auf Massentierhaltung und Export ausgerichteten Billigstrategie verantwortlich dafür, dass immer mehr Bauern und Bäuerinnen aufgeben müssen und Tiere leiden. Allein 2016 gaben über 4.000 Milchviehbetriebe auf, weil die Bundesregierung gemeinsame Vorschläge von Milchbauern und Ländern für wirksame Kriseninstrumente auf EU-Ebene verweigert und blockierte. Statt fairer Preise, von denen Bauern leben können, gehen die Verluste der Massenproduktion in die Milliarden. Und die EU-Agrarsubventionen verstärken diesen Trend gegen die bäuerliche Landwirtschaft noch. Von der Bundesregierung gestützt, bekommen die 20 Prozent flächenmäßig größten Agrarbetriebe 80 Prozent aller Agrarzahlungen. Das ist mehr als ungerecht.
Auch die VerbraucherInnen werden von der Agrarpolitik dieser Bundesregierung betrogen. Sie können nach wie vor nicht erkennen, aus welcher Art Haltung das Fleisch kommt, das sie kaufen. Zuletzt hat Renate Künast als Verbraucherministerin für mehr Transparenz gesorgt durch das Biosiegel und die Eierkennzeichnung nach Haltungsform. Beides Erfolgsgeschichten, aber schon 15 Jahre her.
Die Bürgerinnen und Bürger zahlen die verfehlte Agrarpolitik der Bundesregierung gleich mehrfach. Sie zahlen als SteuerzahlerIn für Agrarsubventionen an Großbetriebe und Fleischkonzerne. Als BeitragszahlerIn für die erheblichen Gesundheitskosten durch resistente Keime aus der Massentierhaltung. Und als GebührenzahlerIn für erhöhte Wasserpreise, weil es immer aufwändiger wird, das Grundwasser von der Verschmutzung mit Gülle und Kot zu reinigen. Wasserverbände und das UBA warnen vor einem Anstieg der Trinkwasserpreise um bis zu 45 Prozent, wenn wir nicht endlich auch auf Bundesebene eine Agrarwende einleiten.
Die Agrarpolitik der letzten Dekade, die vor allem von CDU und CSU bestimmt wurde, hat uns gerade in der Tierhaltung in eine Sackgasse geführt. Noch schlimmer ist aber, dass die Verantwortlichen unwillig oder unfähig sind, diesen Kurs (in den Abgrund) zu korrigieren.
Nicht zuletzt die Bäuerinnen und Bauern hätten verdient, dass die politischen Verantwortlichen mit ihnen gemeinsam Perspektiven für die Zukunft entwickeln und umsetzen. Ein Weiter so, wie es die Bundesregierung propagiert, ist auch für die BäuerInnen verantwortungslos. Denn klar ist: Die Frage ist nicht, ob der Umbau der Tierhaltung kommt. Sondern wie er so umgesetzt wird, dass alle diesen Weg mitgehen können.
Wir wollen anlässlich des Deutschen Bauerntags unser Angebot erneuern und gemeinsam mit BäuerInnen und VerbraucherInnen den Ausstieg aus der industriellen Billig- und Massentierhaltung einzuleiten. Wir wissen, dass dies nicht von heute auf morgen geht, doch wir müssen jetzt anfangen, wenn wir die bäuerliche Landwirtschaft retten und millionenfaches Tierleid verhindern wollen.
Für uns ist deutlich: Eine zukunftsfähige Tierhaltung behandelt Tiere mit Würde - nicht nur als Ware. Sie setzt auf Qualität, Transparenz und regionale Herkunft - statt auf anonyme Massenware für den Weltmarkt. Sie richtet sich nach den Wünschen der VerbraucherInnen. Und: Sie schont unsere Ressourcen, gerade unsere kostbarste - das Wasser.
Um eine solche Tierhaltung zu erreichen, müssen wir unsere Agrarpolitik neu ausrichten:
Unser Angebot:
• Wir sorgen dafür, dass die BürgerInnen wissen, was sie kaufen
Wir wollen bei Fleisch und Milch eine verbindliche
Tierhaltungskennzeichnung einführen, die einleuchtet - so wie es sie für
Eier schon gibt. Seit wir die Eierkennzeichnung haben, haben Handel und
VerbraucherInnen Käfigeiern die Rote Karte gezeigt. Heute greifen sie
verstärkt zu Bio- und Freilandeier - mit wachsender Tendenz und zum Wohl
auch der Landwirte. Wir setzen uns dafür ein, dass die Verbraucherinnen und
Verbraucher auch bei versteckten Eiern (etwa in Nudeln, Kuchen) sowie bei
Fleisch und Milch auf einen Blick erkennen, wie die Tiere gehalten
wurden und ob sie mit Hilfe von Gen-Futtermitteln produziert wurden. Damit
bekommen VerbraucherInnen endlich eine echte Wahlfreiheit und ein höherer
Tierschutzstandard wird für die Bauern honoriert.
• Wir investieren in eine bessere Landwirtschaft
Jährlich gehen knapp 50 Milliarden Euro in Europas gemeinsame Agrarpolitik
(GAP). Davon bekommt Deutschland 6,3 Milliarden Euro. Mit dieser üppigen
Summe Geld könnte man viel Gutes tun. Sie könnte etwa das finanzielle
Rückgrat einer europäischen Landwirtschaft der Zukunft sein. Einer
Landwirtschaft, die Klima und biologische Vielfalt schützt, die mit und
nicht gegen unsere natürlichen Lebensgrundlagen arbeitet, die Tiere
respektvoll behandelt und hält, und die BäuerInnen ein auskömmliches
Wirtschaften in lebenswerten ländlichen Räumen ermöglicht.
Tatsächlich aber
fördern europäische Agrarsubventionen im Moment vor allem
Großbetriebe und eine industrielle Landwirtschaft.
Wir wollen die Gelder so
umschichten, dass wir jährlich eine Milliarde Euro mehr in eine
Landwirtschaft mit mehr Tier-, Natur- und Klimaschutz investieren.
Kurzum: In eine Landwirtschaft, wie die BürgerInnen und Bürger sie sich
wünschen.
• Wir stellen die Tierhaltung auf neue Füße
Tiere brauchen mehr Platz, Auslauf, Licht und Beschäftigung - keine
Amputationen und Qualzucht. Daher werden wir das Tierschutzgesetz
grundlegend verbessern. Zudem schaffen wir ein neues nationales
Kompetenzzentrum für den Schutz und das Wohlbefinden von Tieren, das unter
anderem verantwortlich ist für ein nationales Tierwohl-Monitoring. Wie
viele Milchkühe sind lahm, wie viele Schweine-Ringelschwänze intakt? Wir
wollen messen, wie gut es den Tieren in Deutschland wirklich geht - und
zeigen, wo wir dringend nachbessern müssen. Eine besonders gute Tierhaltung
wollen wir honorieren und schlechte Haltungsbedingungen beenden.
• Wir schützen das Wasser
In den letzten Jahren ist klar geworden: Wir haben zu viele Tiere auf zu
wenig Fläche. Und dadurch viel zu viel Gülle, die im Grundwasser landet,
weil sie von den Pflanzen nicht aufgenommen und verwertet werden kann. Wenn
wir unser Wasser sauber halten wollen, müssen wir das ändern. Unsere Devise
für die Tierhaltung der Zukunft ist: Klasse statt Masse. Und gerade in
Gebieten, die heute schon belastet sind, muss es ambitionierte Grenzen
geben für den Dünger, der ausgebracht wird. Die Bundesregierung hat über
Jahre eine vernünftige Düngeverordnung vertrödelt und ist verantwortlich
für die milliardenschwere Klage der EU-Kommission wegen
Wasserverschmutzung.
• Wir starten einen Aufholplan Ökolandbau
Dass der Ökolandbau zulegt, ist ein Verdienst der Branche und der
ÖkobäuerInnen. Von der Bundesregierung kam in den letzten Jahren außer
warmen Worten wenig - und das ausgerechnet bei der Art von Landwirtschaft,
die in den Bereichen Tier-, Natur- und Klimaschutz wegweisend ist.
Stattdessen will der Bundeslandwirtschaftsminister weitermachen mit
Glyphosat und Bienengiften. Wir wollen in den nächsten sieben Jahren den
Ökolandbau mit einer Milliarde extra aus Bundesmitteln unterstützen. Dazu
gehört auch, dass 20 Prozent der Agrarforschungsgelder explizit an Themen
des Ökolandbaus geknüpft werden.
• Wir sorgen dafür, dass der Vollzug stimmt
Die besten Gesetze helfen nichts, wenn sie nicht vollzogen werden. Damit
grausame Bilder aus Ställen der Vergangenheit angehören, setzt sich die
grüne Bundestagsfraktion mit den grün (mit)regierten Ländern ein für mehr
Personal, eine bessere Ausstattung und wirkungsvollere Sanktionen.
Sie haben seit 2013 die Veröffentlichung und wirksame Reduzierung der
Antibiotikamengen in den Mastställen erreicht. Sie haben den Vollzug in der
Überwachung massiv ausgebaut (Niedersachsen hat beispielsweise das Personal
bei der Düngemittel und Futtermittelkontrolle verdoppelt).
Dabei ist der
Handel und sind auch die oft grausamen Schlachttransporte längst
länderüberschreitend. Wir wollen daher, dass große Risikobetriebe von einer
Länder-Task-Force kontrolliert werden, die die Vollzugsbehörden
unterstützt. Zudem wollen wir Schwerpunktstaatsanwaltschaften einführen.
Berlin, den 26.6.17
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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 64 vom 26.06.2017
Herausgeber: Niedersächsisches Ministerium für Ernährung,
Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2017
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