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LANDWIRTSCHAFT/1717: Abschied vom Ackern nach Rezept (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 410 - Mai 2017
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Abschied vom Ackern nach Rezept
Wie die Tierhaltung stößt auch der konventionelle Ackerbau an Grenzen

von Claudia Schievelbein


Landwirtschaftliche Innovationen sind mehr denn je gefragt, weil Altbekanntes nicht mehr weiter bringt. Zu groß sind die Schwierigkeiten auf dem Acker und im Stall, im Hinblick auf Verbraucherwünsche und Umwelt. Innovationen können technische Neuheiten sein, müssen aber auch altbekanntes wie weite Fruchtfolgen oder Stroh im Stall sein, damit sich wirklich etwas verändert. Diskutiert wird derzeit viel, jetzt gilt es umzusetzen. Das können die Bauern und Bäuerinnen nicht allein, sie brauchen die Unterstützung der Gesellschaft - ideell und finanziell.


Mancherorts ist Gelb jetzt im Frühjahr das neue Grün. Allen kritischen und auch landwirtschaftlich-selbstkritischen gesellschaftlichen Tönen zum Trotz, leuchten die mit Totalherbiziden - meist Glyphosat - behandelten Äcker zahlreich gelb in der Frühlingssonne. Chemisch reinen Tisch gemacht und hinterher locker bearbeitet gibt ein wunderbar krümeliges Saatbett, ein Stück weit unabhängig vom eigentlich witterungstechnisch optimalen Bearbeitungszeitraum, warum sollte man darauf verzichten? Nur weil "die Gesellschaft" eine neue Sau durchs Dorf treibt, kritische Geister aus der "NGO-Szene" unbewiesene Horrorszenarien von Krebsgefahren und Gentechnikkatastrophen aufbauen, um der Landwirtschaft immer neue regulatorische Fußfesseln anzulegen? Ein zentrales Argument der Glyphosatbefürworter ist, die Diskussion um Glyphosat sei ausschließlich eine politische, jenseits fachlicher Expertise. Horst Henning Steinmann, Wissenschaftler aus Göttingen und kein ausgewiesener Glyphosatgegner, schreibt in den DLG-Mitteilungen, es sei ebenso politisch, darauf zu beharren, dass auf Glyphosat nicht verzichtet werden könne. Natürlich könne man das, man wolle es nicht. Eine dazu passende, nicht von ihm zitierte Studie hat die vermeintliche Herzklientel der Glyphosatanwender, die pfluglos wirtschaftenden Bodenkonservierer, dazu befragt. Eine Mehrheit von ihnen sagt ebenfalls sehr wohl, dass auch ihre Form des Ackerbaus ohne Glyphosat funktioniere, mit mehr Arbeitsgängen dann eben. Wer hängt also am Glyphosat? Sind es am Ende gar nicht die leidenschaftlichen Ackerbauern, die Bodenschoner und Humuskonservierer, sondern die, die aus rein finanziellen Gründen Arbeitskraft, Zeit, Technik und am Know-how sparen wollen und müssen? jemand Unqualifiziertes kann auch irgendwann Stoppeln abduschen mit einem Mittel, welches billiger als der alternative Arbeitsgang des Grubberstrichs ist. Die chemische Industrie verdient, weil sie Menge absetzt. Die Landwirtschaft verliert, weil so ein konkurrenzlos günstiges System bäuerliche Betriebe kaputtmacht.

Lieblingsspielzeug

Ein Nachbar von Franz-Joachim Bienstein hat ihm mal gesagt, guten Ackerbau könne er sich nicht leisten, ein anderer, dass er von seinen knapp 4.000 ha nur 600 ha gut machen könne, die restlichen 3.000 nur irgendwie. Bienstein ist konventioneller Ackerbauer in Mecklenburg-Vorpommern und er sagt, dass er seinen Kindern noch erklären können wolle, was er mache. Deshalb macht er sich Gedanken, nicht nur über Glyphosat. "Glyphosat ist so offensichtlich überall und es ist das Lieblingsspielzeug der Gentechnikindustrie", sagt auch Jan Wittenberg, niedersächsischer Ökobauer, der pfluglos wirtschaftet. Und es sei so einfach und billig, eben für rezeptartigen Ackerbau. Er habe auch als konventioneller Berater immer wieder Bauern erlebt, die sich das wünschten, Rezeptvorschläge. "Wir haben eigentlich den tollsten Beruf, aber ich will nicht nur mit Chemie rumhampeln", so Bienstein. Es gehe dabei eben auch nicht nur um Glyphosat. Azole, die Pilzerkrankungen bekämpften, seien gesundheitlich unter Umständen bedenklicher und mit beispielsweise einem Verbot von Wachstumsreglern ließen sich die Auswüchse eines nur noch auf die Ökonomie ausgerichteten Ackerbaus wahrscheinlich viel besser beschränken.

Kein "Weiter so"

Ökonomisch optimierter Ackerbau kombiniert nur noch die Produktionsfaktoren der finanziell interessanten Früchte: Saatgut, Düngung, Pestizide, Wasser, auf dem Substrat Boden zum Maximaloutput am Erntezeitpunkt. Das hat lange funktioniert, gerät aber nicht nur beim Thema Glyphosat an Grenzen. Sind es dort die gesellschaftlichen Einsprüche, so spielen sich immer schneller entwickelnde Resistenzen und zunehmende Zurückhaltung bei der Politik, wenn es um die Zulassung neuer Mittel geht, eine weitere Rolle. Die Fachpresse beklagt den Ackerfuchsschwanz, der nicht nur in England kaum noch bekämpft werden kann, zu häufige prophylaktische Insektizidanwendungen, die nicht nur auf resistente Blattläuse, sondern auch auf Getreidehähnchen selektieren, Fusarienzunahmen durch Maismonokulturen und Weizen-Mais-Fruchtfolgen, empfindliche Kulturpflanzen, "dünnhäutig" durch Stickstoff, durch immer wieder frühe Herbstaussaaten, gut genährte Schädlinge und Krankheiten. "Neue Chemie ist nicht die Lösung", sagt Bienstein, "das wissen inzwischen auch die Intensivberater." "Wir brauchen den Abschied vom System", folgert Wittenberg, "runter mit der Intensität auf dem Acker, hin zu mehr Intensität im Kopf, für nachhaltigen, naturverträglichen Ackerbau, weg vom äußeren Wachstum über Pachtpreise, die niemand mehr erwirtschaften kann, großer Technik, großen Flächen, einer Arbeitswirtschaft, die in der Vier-Wochen-Saison den ganzen Erlös des Jahres erwirtschaften muss, mit Menschen, die einen Hungerlohn dafür erhalten, dass sie das Denken abstellen." Wittenberg sagt, es gebe nicht das eine Rezept es gehe darum, Ideen zu entwickeln, die zur individuellen Betriebssituation passten. Wichtigstes Merkmal sind natürlich wieder weitere Fruchtfolgen. Sie entzerren Erntezeiträume durch den Wechsel von Sommerungen und Winterungen, minimieren Krankheits- und Unkrautdruck und streuen das Risiko von Ausfällen. Leguminosen mit ihrem komplizierten System der Verträglich- oder eben Unverträglichkeiten sorgen dosiert für immense Verbesserungen. Unkräuter, auch Wurzelunkräuter lassen sich - eigentlich sieht das auch der sogenannte integrierte Pflanzenschutz so vor - erfolgreich mechanisch bekämpfen, durch waagerechtes Abschneiden, durch Wiederbeachten alter Bauernweisheiten, wie das "Ackern zu Johanni", also eine intensive Bodenbearbeitung in der Wachstumsperiode, wo es nötig ist. Statt dem letzten noch möglichen Doppelzentner hinterherzujagen müsse es, so Wittenberg, das Wachstum nach innen geben: bessere Vermarktung, Veredelung. Der Mecklenburger Bienstein sieht viele Schwierigkeiten in den Strukturen um ihn herum begründet. Man müsse wieder Tierhaltung und Ackerbau zusammenbringen, Kreisläufe schließen, kleinere, weniger schwere Maschinen auf die Böden lassen, das reine Diktat der kurzfristigen Ökonomie überwinden und Qualitätsarbeit leisten, die sich auch finanziell rechnet. Leicht gesagt, das alles. Aber klar ist doch auch, ein "Weiter so wie bisher" kann und wird es nicht geben, weder gesellschaftlich noch ökologisch und auch nicht ökonomisch.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 410 - Mai 2017, S. 11
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
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(verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2017

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