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LANDWIRTSCHAFT/1754: Mit Bioökonomie die Welt ernähren? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2018

Mit Bioökonomie die Welt retten?
Neue Geschäftsmodelle und alte Strukturen


Mit Bioökonomie die Welt ernähren?
Ein problematisches Versprechen

von Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald


Die Menschheit zu ernähren das ist das wichtigste Versprechen der Bioökonomie. Um diese Aufgabe zu lösen, werden verschiedene Strategien verfolgt: die Steigerung der Produktion, die Gewinnung neuer Nutzflächen, die Intensivierung der Landwirtschaft sowie auch der Einsatz von Gentechnik. Abfall und Reststoffe sollen effektiver verwertet und Lebensmittel weniger verschwendet werden. (1) Tatsächlich jedoch spielt das Thema "Grundversorgung", also Ernährung sichern und Hunger bekämpfen, nur dort eine Rolle, wo es darum geht, eine Intensivierung der Landwirtschaft herbeizuführen.

Die KonKurrenz um Land und der darauf erzeugten "Biomasse" nimmt mit den weitreichenden Zielen der Bioökonomie zu.

Der nationale Bioökonomierat, der als unabhängiges Beratungsgremium der Bundesregierung fungiert, ist für die Regierung erster Ansprechpartner bei der Umsetzung der "Nationalen Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030". (2) Der Rat streift das Thema Grundversorgung und damit Ernährungssicherung und Hungerbekämpfung, um von dort gleich zu den "Spezialangeboten" der Nahrungsmittelindustrie überzuleiten. Dazu gehören lukrative Produkte, die einen Zusatznutzen versprechen: "Produktspektren, bei denen Bequemlichkeit, Genusswert und gesundheitsförderliche Eigenschaften den Mehrwert darstellen." Der Bioökonomierat geht davon aus, dass mit der Weltbevölkerung auch die Zahl derjenigen Menschen wächst, die einen gewissen Lebensstandard erreichen wollen. Diese Bevölkerungsschicht frage "hochveredelte", das heißt industriell intensiv bearbeitete und damit gewinnträchtige Nahrungsmittel besonders nach. Diese Nachfrage könne selbstredend am besten eine hochgradig technisierte Nahrungsmittelindustrie befriedigen. Gentechnik, synthetische Biologie, vertikale Landwirtschaft und In-vitro-Fleischherstellung können als Beispiele dieses hochtechnologisierten Sektors angeführt werden. Für die Bundesregierung scheint dieser Markt im Vordergrund zu stehen. Es zeigt sich an den Innovationen, die bislang präsentiert wurden, z. B. mit Omega-3-Fettsäuren angereicherte Wurst. Am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) sind ForscherInnen in der Lage, Fischöl mit den Omega-3-Fettsäuren in winzige Kügelchen zu packen, die sich in Bierschinken, Leberkäse oder Wiener Würstchen einarbeiten lassen.


Angebot & Nachfrage

All diese Produkte richten sich an KundInnen in den Industrieländern und vielfach an Menschen, die bequem etwas gegen ihren ungesunden Lebenswandel tun möchten. Mit Sicherung der Welternährung haben sie nichts zu tun. Ebenso wenig wie die Visionen des Nestlé-Konzerns. In der Studie 'Wie is(s)t Deutschland 2030?' hat der Nahrungsmittelkonzern 5 Szenarien entwickeln lassen, wie die Ernährung im Jahr 2030 aussehen könnte. Die MacherInnen erwarten - oder hoffen -, dass die "Grenze zwischen Ernährung und Pharma verschmilzt: Künftig werden wir sogar die Software unseres Erbguts gezielt steuern - über Ernährung".(3) Die Szenarien-EntwicklerInnen erwarten, dass KundInnen ihre Gene analysieren lassen und auf der Basis dieser Daten Empfehlungen für die Ernährung entstehen. Im Supermarkt wird dann eine App vorgeben, mit welchen Zusatzstoffen ausgestatte Lebensmittel wir am besten kaufen sollten, um gesund und leistungsfähig zu bleiben - Essen für die Selbstoptimierung.

Auf dem Weg dorthin ist die Forschung weit vorangeschritten. So fand im September 2017 bereits die 3. Internationale Konferenz zu In-vitro-Fleisch in Maastricht statt. Die Verfahren, aus Stammzellen im Reagenzglas Fleischfasern zu züchten, machen schnelle Fortschritte: Mark Post, Professor für Gefäßphysiologie an der Universität Maastricht, glaubt ebenso wie Ido Savir, Geschäftsführer von SuperMeat, dass In-vitro-Fleischprodukte schon in 2 bis 5 Jahren in industriellen Maßstäben vermarktet werden können.

Dem kommt die Stimmung unter der potenziellen Kundschaft entgegen: 36 Prozent der Befragten sagten, sie würden Fleisch aus dem Reagenzglas essen. Fertiggerichte werden in Zukunft online bestellt, und in der Küche steht ein 3D-Drucker, der ein Filetsteak herstellt, das nie ein Rind gesehen hat.

Die AutorInnen der Nestlé-Studie erwarten aber auch, dass die Bedeutung regionaler Produkte wachsen wird. Der repräsentativen Umfrage im Rahmen der Studie zufolge findet eine Mehrzahl der Deutschen das Zukunftsszenario am attraktivsten, das "eine ressourcenschonende Ernährung in einer werteorientierten Gesellschaft" mit Bio-Produkten aus der Region vorsieht.


Fragen und Kritik

Think big! In großen Dimensionen denken - so scheint das Motto der Bioökonomie zu lauten: Hightech, Großkonzerne, Milliardeninvestitionen. (4) Viele der agrartechnologischen Methoden, die die Bioökonomie empfiehlt, verschärfen aber wahrscheinlich eher die Probleme der Welternährung, statt sie zu lösen. Versprechen und Realität liegen weit auseinander. Viele wichtige Fragen bleiben unbeantwortet: Für wen sind die neuen Biotechnologien nützlich bzw. notwendig? Wer überprüft, ob die vermeintlichen Innovationen tatsächlich nachhaltig sind? Wer finanziert die Risikoforschung, die für den genetischen Umbau an Pflanze und Tier gebraucht wird? Milliarden Euro an öffentlichen Fördergeldern, ein riesiger Aufwand für Informationsportale, Strategiepapiere, Kommunikationsbemühungen, Ausschreibungen - wie lässt sich diese einseitige Förderpraxis in den biotechnologischen Kern der Bioökonomie rechtfertigen? Und auch wenn die BefürworterInnen immer wieder betonen, dass bislang jeder Nachweis dafür fehlt, dass die grüne Gentechnik (Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft) Schaden anrichte - die überwältigende Mehrheit der Menschen in Deutschland steht ihr Umfragen zufolge kritisch gegenüber. Das heißt, dass diese Praxis bisher keinesfalls demokratisch legitimiert ist. Wie aber soll der rechtliche Rahmen, der beispielsweise auch die Koexistenz von Hightech auf dem Acker und extensiver Landwirtschaft regeln müsste, aussehen und wer erarbeitet ihn politisch?


Forderungen

Wer aber solche Kritik vorbringt, muss sich in Acht nehmen und auf diese Totschlagargumente vorbereiten: "Fortschrittsfeindlich, rückständig, ängstlich, ideologisch verblendet - wer die großtechnologischen Heilsversprechen kritisch hinterfragt, muss sich ein dickes Fell zulegen. 5 Organisationen wie die Welthungerhilfe, der Weltagrarrat, der World Future Council, sogar die Organisation für Ernährung und Landwirtschaft der Vereinten Nationen (FAO), fordern indes seit Langem einen anderen Weg, Ernährung zu sichern, nämlich kleinbäuerliche Systeme zu unterstützen. Solche arbeitsintensiveren und auf Vielfalt ausgerichteten Strukturen sollen die Garanten einer sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltigen Lebensmittelversorgung sein. 90 Prozent der weltweit rund 570 Millionen landwirtschaftlichen Betriebe werden von Familien geführt. Sie leisten einen wesentlichen Beitrag zur Ernährungssicherheit, betonte die FAO anlässlich des Welternährungstages 2014. Für die Sicherung der Welternährung wäre es deshalb hilfreich, Bäuerinnen und Bauern zu befähigen, die vorhandenen Flächen klug, effizient und nachhaltig zu nutzen. Entscheidend für diese nachhaltigen Ansätze ist, dass für die Landwirtschaft so elementare Dinge wie Saatgut oder das Wissen über Anbaumethoden frei zugänglich bleiben, statt durch Patente versperrt zu werden.

Doch diese Forderungen sind mit den Konzepten der Bioökonomie wahrscheinlich nicht zu erfüllen. Schon jetzt werden die politischen Weichen so gestellt, dass im Jahr 2030 eine völlig andere Welt des Essens und Trinkens gegeben sein wird.

Die biotechnologisch ausgerichteten Produzenten der 4 F, food (Lebensmittel), feed (Tierfutter), fuel (Kraftstoff), fibre (Fasern/Ballaststoffe), und einem fünften F, fun (In-Door-Freizeit-Anlagen z. B.), konkurrieren dafür zunehmend um fruchtbares Land und bewirtschaften es immer intensiver. Denn durch die erhöhte Nachfrage steigen die Preise für die Pacht oder den Kauf der ohnehin knappen Landflächen. Die oft hochtechnologisierten Konzerne können für die steigenden Landpreise wesentlich leichter aufkommen, als die zum Teil verschuldeten Kleinbäuerinnen und -bauern. Deren Existenzgrundlage gerät in Gefahr, wenn sie aus Kostengründen eigenes oder gepachtetes Land abgeben müssen bzw. verlieren. Nicht nur die Ernährungssouveränität steht mit veränderten Strukturen des Bodenbesitzes auf dem Spiel, vielmehr kann diese Entwicklung zu einer Bedrohung der Ernährungssicherheit werden, zuallererst für schlechter situierte Bevölkerungsschichten, zumeist im Globalen Süden.


Anmerkungen:

(1) Franz-Theo Gottwald / Anita Krätzer (2014): Irrweg Bioökonomie. Kritik an einem totalitären Ansatz. Suhrkamp, Berlin, S. 66f.

(2) http://biooekonomierat.de.

(3) www.nestle.de/unsere-engagements/entstehung-der-zukunftsstudie.

(4) Wirtschaftswoche (23.02.2018): Die Geldmaschine des 21. Jahrhunderts, Ausgabe 9.

(5) Franz-Theo Gottwald (2015): Irrweg Bioökonomie. Über die zunehmende Kommerzialisierung des Lebens, in: Agrarbündnis (Hg.): Der kritische Agrarbericht. ABL-Verlag, Hamm, S. 261.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 1/2018, Seite 10-11
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2018

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