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MARKT/1774: Kartellamt sieht Wettbewerb um Milch gestört (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 332 - April 2010
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Kartellamt sieht Wettbewerb um Milch gestört
Auf der Milchtagung empfiehlt Mitarbeiterin Schulze den Milchbauern
die Bündelung in bäuerlichen Kartellen

Von Ulrich Jasper


Das Bundeskartellamt sieht den Wettbewerb um den Rohstoff Milch als stark gestört an. Das machte die Berichterstatterin des Bundeskartellamtes in Sachen Milch, Frau Eva-Maria Schulze, auf der Milchtagung von AbL, KLJB und Uni Kassel am 1. März in Warburg-Hardehausen deutlich.

Dabei ging sie zunächst auf die Genossenschaften unter den Molkereien ein, die in Deutschland 60 bis 70 Prozent der Milch verarbeiten. "Die Genossenschaften haben nicht den letzten Anreiz, in den Verhandlungen mit dem Handel das Letzte für die Bauern rauszuholen", formulierte Schulze. Denn der Milchpreis für die Bauern werde rückwärts gebildet, d.h. aus dem, was nach der Verhandlung der Molkerei mit den Abnehmern wie den Handelsketten übrigbleibe. "Die Molkerei-Genossenschaft trägt kein eigenes Schmerz-Risiko", so Schulze. Sie reiche das Risiko der Vermarktung also an die Bauern weiter. Es helfe daher nicht, immer nur die Marktmacht des Handels zu beklagen, griff die Juristin eine immer wieder vom Bauernverband vorgetragene Sicht der Dinge an.


Schmerz-Risiko fehlt

Das deutliche Machtgefälle auf dem Milchmarkt zulasten der Milcherzeuger sei im Kartellamt zunächst auf Unverständnis gestoßen: "Es hat uns sehr überrascht, dass das Machtgefälle auf dem Milchmarkt zulasten der Milchbauern so stark ist, obwohl 70 Prozent der Milch von Genossenschafts-Molkereien erfasst wird. Aber die Strukturen und Organe der Genossenschaften haben sich verselbstständigt", meinte Frau Schulze, und nicht nur für diese Äußerung wurde sie von den anwesenden Milchbauern mit lautem Applaus bedacht. Bei den Privatmolkereien sehe die Situation bezüglich der Preisbildung allerdings nicht viel besser aus. Mit ihren nicht austauschbaren Marken-Produkten könnten sie den Bauern einen deutlich höheren Preis auszahlen als Molkereien mit austauschbaren Standardprodukten. "Aber beim Auszahlungspreis an die Bauern orientieren sich die Privaten an den Preisen der Genossenschaften, die überall nachzulesen seien", so Schulze, die sich damit auch gegen die Freizügigkeit der Milcherzeuger wandte, Daten bzw. Milchgeldabrechnungen einfach weiterzugeben. Die hohe Transparenz über Preise und Mengen nutze am Milchmarkt vor allem dem Handel, nicht den Bauern, so ihre Einschätzung.


Absprachen gegen Wechsel?

Die Mitarbeiterin des Kartellamtes ging auch auf die offenbar beschränkten Möglichkeiten der Bauern ein, die Molkereien zu wechseln. Es gebe Hinweise, dass es Genossenschaften offenbar für anrüchig halten, wenn Milcherzeuger von einer Genossenschaft zu einer Nachbargenossenschaft wechseln wollen. So habe es zwischen den norddeutschen Genossenschaften Humana und Nordmilch in fünf Jahren nur einen einzigen Wechsel gegeben, während es von jeder dieser Molkerei zu Privatmolkereien viele Wechsel gegeben habe. "Wenn wir feststellen könnten, dass es zwischen Genossenschaften Absprachen gibt, dann könnten wir Bußgelder verhängen. Aber dafür brauchen wir konkrete Einzelfälle", appellierte Schulze an die Bauern, sich gegebenenfalls an das Kartellamt zu wenden.


Aufruf zur Bündelung

Als wesentliche Möglichkeit der Milcherzeuger, ihre Position am Milchmarkt zu stärken, nannte Frau Schulze den Zusammenschluss in Erzeugergemeinschaften. Der Gesetzgeber billige den Landwirten verschiedene Formen zur Stärkung ihrer Marktstellung zu. Am weitesten gehen demnach die Möglichkeiten des Marktstrukturgesetzes, das anerkannten Erzeugergemeinschaften nicht nur das Recht zu mengenbegrenzenden Maßnahmen, sondern zusätzlich auch zur Preisabsprache einräume.

Dr. Andrea Beste von der Milcherzeugergemeinschaft (MEG) Milch Board nahm in ihrem Vortrag den Ball auf und sprach davon, dass das geltende Marktstrukturgesetz den Bauern ausdrücklich erlaube, ein Kartell zu bilden. Da nickte die Frau Schulze vom Kartellamt deutlich. Auf die Frage aus dem Publikum, bei welchem Bündelungsgrad das Kartellamt einschreiten werde, sagte Frau Schulze: "Von 80 Prozent sind wir soweit entfernt, dass es keinen Sinn macht, darüber zu reden." Die Milchbauern fragten noch mehrmals nach. Schließlich antwortete Frau Schulze: "Verflixt nochmal, machen Sie es, und sagen Sie nicht immer, Sie wissen nicht, wie das Kartellamt sich verhält".

Der AbL-Vorsitzende Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf ermunterte ebenfalls, die vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen: "Wir müssen so weit gehen, wie unser Mut reicht. Hätten wir erst die Bündelung und damit die Macht am Markt, dass das Kartellamt einschreitet, dann hätten wir eine ganz andere Situation, sowohl am Markt als auch in der Politik", so der AbL-Vorsitzende. "Wenn wir die Bündelung nicht hinkriegen, wird die Politik auch nicht auf unsere Forderungen reagieren. Wir müssen eigene Strukturen schaffen, um politische Strukturen zu erreichen."


Was ist eine Region?

In der Diskussion nahm auch die Frage breiten Raum ein, ob die Bündelung im Milch Board an regionale Grenzen stoße. Frau Schulze erläuterte die bisherige Sichtweise des Kartellamtes, wonach nicht ein bundesweiter, sondern der jeweilige Bündelungsgrad der Erzeuger in Regionen entscheidend für die Frage sei, wann das Kartellamt einschreiten müsste. Das Amt ging dabei bisher davon aus, dass das Erfassungsgebiet einer Molkerei bzw. eines Werkes einen Umkreis von im Durchschnitt 200 km nicht überschreitet. Dieser Umkreis stelle damit einen Marktraum bzw. eine Region dar. Die Bündelung der Bauern dürfe also nicht dazu führen, dass das Werk in diesem Umkreis nicht mehr an "freie" Milch herankomme.

Romuald Schaber, Vorsitzender des BDM (Bundesverband Deutscher Milchviehhalter), wies darauf hin, dass die Molkereien in der Praxis viel weitere Einzugsgebiete hätten. Er nannte als Beispiel die bayerische Molkerei Zott, die auch am Niederrhein Milch erfasse. "Der Transport der Milch kostet je 100 km etwa 1 Cent. Bei einer Spanne der Erzeugerpreise im Bundesgebiet von 8 Cent ergibt sich daraus, dass als Region für die Bündelung mindestens das Bundesgebiet angesetzt werden muss", so Schaber. "Sonst schwächt das Kartellamt den Ansatz der Bündelung von vornherein." Frau Schulze versprach, das in der weiteren Bearbeitung des Zwischenberichtes nochmals zu diskutieren.

"Die Feststellungen des Kartellamtes tun uns gut", zog Romuald Schaber in der Schlussrunde ein Resümee. Und viele Wortmeldungen aus dem Publikum unterstützten das. "Bisher habe ich das Kartellamt eher als einen unserer Gegner gesehen. Nach Ihrem Bericht zum Milchmarkt sehe ich Sie jetzt als einen unserer größten Unterstützer", war eine Äußerung eines Bauern. Dem Beifall zufolge traf er den Nerv der ganzen Versammlung.


Die Vorträge der Tagung hat der Internet-Fernsehsender BDM TV" ins Netz gestellt: www.bdmtv.de


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 332 - April 2010, S. 5
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Mai 2010