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MARKT/1808: Finanzinvestoren haben die Rohstoffmärkte für sich entdeckt (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 337 - Oktober 2010,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Bulle und Bär. Gewinn kennt keine Moral
Finanzinvestoren suchen nach neuen Investitionsfeldern
und haben die Rohstoffmärkte für sich entdeckt

Von Marcus Nürnberger


Wer seine Ernte direkt zum Lagerhaus fährt hat wenig Einfluss auf den zu erzielenden Preis. Er muss nehmen, was kommt. Besser ist es, wenn man die Getreideernte im eigenen Silo einlagern kann. Natürlich kostet das Geld. Aber die im Jahresverlauf zu Weihnachten bzw. zum Beginn des neuen Jahres steigenden Preise machten derartige Investitionen sinnvoll. Kurz vor der neuen Ernte, dann fielen die Preise in der Regel wieder. Sowieso war vor allem die Ernte in Deutschland für den hier zu erzielenden Preis verantwortlich. Das ist schon lange vorbei. Inzwischen sind die Ernten und die Ernteerwartungen rund um den Globus für die Preisfindung verantwortlich. Längst sind es aber nicht mehr nur reale Ernten, der Weizen im LKW, die Gerste im Silo oder die Sojaladung in einem Schiffsbauch, über deren Preis verhandelt wird, die selbst Gegenstand des Handels ist. Spätestens seit der Finanzkrise 2007/08 hat der Anteil der reinen Spekulation auf Gewinne aus den Preisschwankungen an den Rohstoffbörsen extrem zugenommen. Inzwischen beeinflusst das Verhalten der Investmentspekulanten die Börsenkurse und damit auch die realen Preise. Höhere Preise bei den Agrarrohstoffen fallen in den reichen Industriestaaten selten auf. Für die arme Bevölkerung in Entwicklungsländern entscheiden sie aber über satt werden oder hungern.


Die Preise für Agrarrohstoffe wie Getreide, Mais, Reis, Kakao usw. unterliegen in den vergangenen Jahren vermehrt starken Schwankungen sowohl nach oben als auch nach unten. Weder die Ernte noch das Angebot und die tatsächliche Nachfrage können eine Erklärung für diese Preisausschläge liefern. Besonders deutlich trat das Phänomen 2007/08 parallel zur Finanzkrise in Erscheinung. Damals stiegen die Preise für Weizen so stark an, dass es in verschiedenen Ländern des Südens allen voran in Mexiko (Tortillakrise) zu Revolten der hungernden Bevölkerung kam.


Ursachen nicht erkannt

Das Phänomen wurde damals mit der erstarkenden Bioethanolproduktion in den USA sowie einer Zunahme des Anbaus nachwachsender Rohstoffe weltweit erklärt. Die Weltbank ging 2008 in einer Studie von einem Anteil der Biokraftstoffproduktion von 70 Prozent an der Preissteigerung aus. Allerdings stieg auch der Preis für Reis in diesem Zeitraum (2007/08) um 165 Prozent, obwohl dieser nicht für die Bioethanolproduktion genutzt werden kann und auch als Substitution von Weizen bzw. Mais nicht in Frage kommt. Weiterhin kann aufgrund der klimatischen und kulturellen Bedingungen in den Anbauländern ausgeschlossen werden, dass Reis durch andere Pflanzen verdrängt wurde. Nach einem rasanten Preisanstieg fielen die Preise annähernd so schnell, wie sie gestiegen waren. Langfristige, den Markt nachhaltig beeinflussende Faktoren wie eine Ausweitung der Bioethanolproduktion, veränderte Ernährungsgewohnheiten und bzw. oder eine Verknappung der zur Verfügung stehenden landwirtschaftlichen Flächen scheiden demnach als Faktoren aus.

Das deutsche Entwicklungsministerium erkennt im April 2008 in der Spekulation die Ursache für die Entstehung des Preishochs. Auch die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung identifiziert Spekulation als für die Preissteigerungen verantwortlich. Die Weltbank sieht zwar einen Einfluss durch Spekulation, rechnet ihr aber maximal eine untergeordnete Rolle zu. Inzwischen wird auch von führenden Ökonomen nicht länger bestritten, dass Spekulation für das Entstehen der Blase verantwortlich war. Durch die Finanzkrise war es für Investoren bzw. Spekulanten notwendig, große Mengen Kapital in neue, vermeintlich sichere und gewinnbringende Märkte zu investieren. Sie entdeckten den lukrativen Markt der Agrarrohstoffe.

Dabei ist Spekulation auch aus Sicht der Landwirtschaft nicht nur negativ. Sie kann sogar sehr nützlich sein, um Preise über Terminkontrakte in der Zukunft (Futures) abzusichern. Wenn große Mengen Geld in diesen Markt eingebracht werden, kann Spekulation allerdings dazu führen, dass sich das Börsengeschehen vom physischen Markt löst. Auf diese Weise entstehen Spekulationsblasen, die zu extrem kurzzeitigen Preisanstiegen und -abfällen führen. Die Volatilität der Märkte wird durch Spekulation größer. Auch wenn sie keinen realen Hintergrund mehr haben, so sind die Börsenpreise dennoch ausschlaggebend für die Preise der physisch gehandelten Ware. Extreme Preisanstiege führen daher zu einer Verknappung, auch wenn genügend Rohstoffe vorhanden sind. Besonders dramatisch ist dies für Länder, die auf Nahrungsmittelimporte angewiesen sind. In vielen Fällen ist eine Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln aufgrund der ungerechtfertigt hohen Preise nicht mehr möglich. Dies führt zu mehr Hunger und Unterernährung vor allem der armen Bevölkerungsschichten.


Ein gutes Investitionsfeld

Agrarrohstoffe, vor allem Lebens- und Futtermittel, werden immer benötigt. Die zukünftigen Entwicklungen garantieren einen kontinuierlichen Anstieg. Ursachen sind sowohl das Wachstum der Weltbevölkerung als auch die begrenzten Anbauflächen. Neben diesen langfristigen Einflussfaktoren unterliegen diese auch kurzfristigen Schwankungen. Neben der schon erwähnten Spekulation sind dies der Einfluss von Wetter, schlechten Wechselkursen und Exportbeschränkungen, wie sie aktuell von Russland für die Ausfuhr von Weizen verhängt wurden. Einen entscheidenden Einfluss hat auch der Ölpreis. Er ist indirekt an vielen Prozessen in der Landwirtschaft (Kraftstoff, Düngerproduktion, Herstellung von Maschinen usw.), dem Transport und der Verarbeitung beteiligt. Ein Anstieg des Ölpreises, sei es durch eine absehbare Verknappung oder aber spekulationsbedingt, führt seinerseits zu einem Anstieg der Preise von Agrarprodukten. Nur eine Entwicklung hin zu einer von fossilen Energien unabhängigeren Form der Landbewirtschaftung könnte dies verhindern.

Dass der Handel mit Agrar-Produkten auf lange Sicht lukrativ ist, hat dazu geführt, dass sich neben einem rein spekulativen Marktgeschehen, bei dem es nicht mehr um das physische Produkt, sondern allein um den Gewinn aus einer Wette auf steigende oder auch fallende Preise geht, immer mehr Investmentbanken als Handelspartner generieren. Das Geschäftsfeld von Unternehmen wie Cargill, Bunge oder ADM, die seit Jahrzehnten im Handel mit Agrarrohstoff und deren Weiterverarbeitung aktiv sind, wurde von den Finanzinvestoren entdeckt. Unternehmen wie Glencore, Goldman-Sachs und die Deutsche Bank suchen die Nähe zum physischen Markt durch den Aufkauf eigener Getreidehandelshäuser (Glencore), den Einstieg ins Kaffeegeschäft (Goldman-Sachs) oder die enge Kooperation mit am Zuckermarkt engagierten Unternehmen (Deutsche Bank)


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 337 - Oktober 2010, S. 11
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. November 2010