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MARKT/2238: Offenstall als Argument in neuen Wertschöpfungsketten (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 414 - Oktober 2017
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Offenstall als Argument in neuen Wertschöpfungsketten
Marktakteure definieren Haltungsform, arbeiten politisch und bauen Vermarktungswege auf

von Christine Weißenberg


Der Verein zur Förderung der Offenstallhaltung von Schweinen e. V., gegründet im April 2016, versteht sich als Info- und Beratungsplattform für interessierte Schweinehalter und Schweinehalterinnen sowie zur Vernetzung verschiedener Akteure entlang der Wertschöpfungskette, um stabile wirtschaftliche Perspektiven durch Vermarktungsmöglichkeiten zu schaffen. 15 Gründungsmitglieder haben bis März 2017 die vereinseigenen Mindestanforderungen definiert. Von den mittlerweile 36 Mitgliedern sind 18 Landwirte mit entsprechenden Mastställen von 500 bis 2.500 Tieren. Fünf Mitglieder kommen aus der Schlachtung und Zerlegung, weitere fünf sind Verarbeiter, drei kommen aus dem Handel, weitere drei aus der Wissenschaft bzw. Beratung - plus zwei Privatpersonen.

Offenstallkriterien

Die Vereinskriterien für die Schweinemast beziehen sich auf die Stallausführung, die Tiere und das Management. Konkret ist eine Stallbauform mit Offenfront oder Auslauf festgelegt, die direkten Kontakt zum Außenklima und zwei getrennte Klimabereiche bietet. Getrennte Funktionsbereiche zum Liegen, Fressen und Koten sind vorgesehen. Der Liegebereich mit mindestens 0,6 qm Platz pro Tier soll planbefestigt sein. Das Einzeltier soll in der Endmast ab 50 kg Lebendgewicht mindestens 1,5 qm Fläche zur Verfügung haben, 100 Prozent mehr als gesetzlich vorgesehen. Die Luftführung soll geeignet und regelbar sein - mit Abkühlungsmöglichkeiten im Sommer. Vorgeschrieben ist der freie Zugang zu Substrat bzw. Raufutter vom Boden. Im Liegebereich gehört Einstreu dazu - nur wenn dafür nicht flächendeckend Langstroh verwendet wird, muss zur Beschäftigung zusätzlich organisches, langfaseriges Material zur freien Verfügung stehen. "In einem nächsten Schritt wollen wir auch die Ferkelproduktion mitintegrieren", erklärt Bert Mutsaers, Vorsitzender des Offenstallvereins und Geschäftsführer der Wurst- und Schinkenmanufaktur Bedford, "insbesondere, um - in Verbindung mit passendem Futter und Stallmanagement - eines unserer langfristigen Ziele zu erreichen: die 'Wiedereinführung' des Ringelschwanzes, also den Verzicht auf das Kupieren."

Schlachthof als Drehscheibe

Paul Brand ist Eigentümer des gleichnamigen Schweineschlachthofs in Lohne und Mitbegründer des Offenstallvereins. Als die Diskussionen zum Tierwohl vor einigen Jahren verstärkt geführt und u. a. die Brancheninitiative Tierwohl eingeführt wurde, begann er sich intensiv mit den Bedingungen auf Erzeugerebene zu befassen. Doch: "Ständig hörte ich nur, was alles nicht geht. Da habe ich eine gewisse Trotzhaltung entwickelt." Brand suchte nach alternativen Haltungsformen für Schweine im konventionellen Bereich und knüpfte Kontakte zwischen interessierten Landwirten und Abnehmern. Entstanden sind kleine Programme mit Eins-zu-eins-Lieferbeziehungen: Aus anfänglich einem Programm sind bis heute neun geworden, aus zehn pro Woche geschlachteten Tieren mittlerweile mehrere Hundert wöchentlich - von sieben beteiligten Erzeugerbetrieben mit Offenstallhaltung. Brand stellt fest: "Momentan schlägt jede Absatzkette etwas unterschiedliche Wege ein - auf Dauer müssten wir die Kernanforderungen standardisieren. Dann wäre es auch möglich, Landwirte zusammenzufassen; um größere Kunden zu beliefern."

Ganze Tiere als Herausforderung

An einem der Absatzprogramme ist Mutsaers eigenes Unternehmen Bedford beteiligt. Zur Zeit bezieht der Verarbeiter und Vermarkter 20 Schweine aus Offenstallhaltung pro Woche. Die Schweinefleischprodukte im Werkverkauf werden bereits zu 100 Prozent daraus hergestellt. Ab Januar 2018 soll es erstmals ein bundesweit vermarktetes Produkt komplett aus Offenstall-Fleisch geben. Dauerhaft sollen die Mengen erhöht werden. "Das stellt uns derzeit aber noch vor viele Herausforderungen, da wir nicht darauf ausgerichtet sind, Schweinehälften abzunehmen", berichtet Mutsaers von den betriebseigenen Erfahrungen: "Bislang haben wir die wöchentlich benötigten, einzelnen Fleischteile gekauft, hauptsächlich ganze Schinken."

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Kommentar: Standards für den Überblick

Zur Umsetzung von mehr Tierwohl in den Ställen gehört auch eine Absatzperspektive für die tierhaltenden Bauern und Bäuerinnen. Unterschiedlichste Ansätze und Initiativen für entsprechende Wertschöpfungsketten entstehen und sichern den Käufern einen Mehrwert zu - nicht zuletzt, um einen Mehrerlös für den Mehraufwand auf den Betrieben zu generieren. Eine gute Sache, damit die Entwicklung in Gang kommt, erste Erfahrungen und Praxisschritte gemacht werden und die Partner in den direkteren Lieferbeziehungen lernen miteinander umzugehen. Gerade im Schweinebereich ist die Vielfalt an selbst kreierten Labeln jedoch enorm - und wird bisweilen als Wildwuchs oder Dschungel bezeichnet, weil alle jeweils eigene Ansprüche formulieren, mit mehr oder weniger konkret gefassten Kriterien. Jeder spricht von Tierwohl und artgerecht. Umfassende Programme, wie Neuland oder das zweistufige Tierschutzlabel des Deutschen Tierschutzbundes, die alle Erzeugungsstufen von der Sau bis zum Mastschwein einbeziehen und weitreichende Standards für ein hohes Maß an Tierwohl gesetzt haben, stehen neben Programmen, die weniger weitreichende Ziele verfolgen. Die Kosten der Tierhaltung sind völlig unterschiedlich, die Produktpreise ganz anders zusammen gesetzt. Und doch konkurrieren alle mit den gleichen Begriffen und Assoziationen auf dem bisher nahezu undifferenzierten Markt für Schweinefleisch, der zwischen den Bedingungen gängiger konventioneller Haltung und der als Ganzes zu berücksichtigenden Wirtschaftsweise Bio ein weites Feld mit erheblichen Preisabständen lässt. Höchste Zeit für eine klare, offizielle Kennzeichnung zur Abstufung unterscheidbarer Niveaus artgerechterer Tierhaltung - im Sinne der Verbraucher, die Transparenz und Orientierung brauchen, um eine wirkliche Wahl treffen zu können - und im Sinne der Bauern und Bäuerinnen, die wissen müssen, worauf sie sich einstellen können, um langfristig Perspektiven zu erkennen und betrieblich zu planen. Dabei sind einige Tierwohlstandards seit längerem abgesteckt, andere zeichnen sich durch das bestehende, abgestufte Tierschutzlabel und die Labelentwürfe aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium ab. Am deutlichsten besteht das Ziel, vom Kupieren der Ringelschwänze wegzukommen. Denn das ist schon nach geltender Gesetzeslage verboten - wenn auch bisher als gängige Praxis von Ausnahmegenehmigungen gedeckt.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 414 - Oktober 2017, S. 12 - 13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/905 31 71, Fax: 02381/49 22 21
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Internet: www.bauernstimme.de
 
Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,45 Euro
Abonnementpreis: 41,40 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. November 2017

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