Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → ERNÄHRUNG

VERBAND/1713: Ernährungssicherung und Weltagrarhandel - Charta-Thesen des Bauernverbands (DBV)


Deutscher Bauernverband - Pressemitteilung vom 20. Mai 2011

BMELV-Chartaprozess: Ernährungssicherung und Weltagrarhandel

Bauernverband bringt sich mit eigenen Thesen ein


Am 20. Mai 2011 fand im Bundeslandwirtschaftsministerium (BMELV) der dritte Workshop im Chartaprozess zum Thema "Ernährungssicherheit und Welthandel" statt. Auch an diesem Workshop nahm der Deutsche Bauernverband (DBV) teil. Im Vorfeld hatte der DBV eigene Thesen erarbeitet.

Das Bundeslandwirtschaftsministerium hatte über 40 Organisationen zu vier Veranstaltungen zu den Themen Umwelt, Tierhaltung, Ernährungssicherung und Lebensmittel eingeladen. DBV-Präsident Gerd Sonnleitner hatte Bundesministerin Ilse Aigner zugesichert, dass sich der Berufsstand aktiv in die Debatte einbringen werde, da man überzeugt sei, dass die Landwirtschaft eine Zukunftsbranche mit hohem gesellschaftlichem Mehrwert sei.


Die Charta-Thesen

1. Die Ernährungssicherheit wird für Deutschland und Europa - ähnlich wie die Sicherung der Rohstoffversorgung insgesamt - in einer sich verändernden Welt wieder zum wichtigen Thema.

Der Hauptgrund hierfür liegt nicht nur in einer wachsenden globalen Nachfrage nach Nahrungs-, Futtermitteln und nachwachsenden Rohstoffen. Zu berücksichtigen ist auch, dass Europa in der Welt erkennbar an Einfluss verliert und aufstrebende Schwellenländer den - ggf. auch exklusiven - Zugang zu Rohstoffen suchen.

Konsequenz daraus muss vor allem sein, dass eine handlungsfähige EU-Agrarpolitik erhalten wird, die in der Lage ist, auf diese Veränderungen zu reagieren. Die Tatsache, dass Europa in den kommenden Jahrzehnten als einziger Kontinent deutlich an Bevölkerung verliert, eröffnet neue Möglichkeiten im Export bzw. bei nachwachsenden Rohstoffen. Beim Agrarexport sollte insbesondere der Ernährungswirtschaft die Chance gegeben werden, neue Märkte mit hochwertigen Produkten "Made in Germany" zu erschließen.

2. Die heute bereits relativ weitgehende Globalisierung der Agrarmärkte ist zunächst eine Tatsache. Die Preisbildung für die wichtigsten international gehandelten Agrarprodukte erfolgt an den internationalen Märkten und nicht isoliert am Standort Deutschland. Dies gilt aus deutscher Sicht vor allem für wichtige Produkte wie Getreide, Raps und Mais und zunehmend auch für Fleisch, Milch sowie Obst und Gemüse. Auch bei den Futtermitteln gehen die Preistrends von den internationalen Märkten aus.

Die internationale Handelspolitik der letzten 30 Jahre einer mulilateralen Öffnung der Agrarmärkte (WTO) ist erkennbar ins Stocken geraten. Zu beobachten ist aktuell eine verstärkte Hinwendung zu bilateralen Handelsabkommen (z.B. Südkorea, Kanada, Mercosur), was die Gefahr neuer handelspolitischer "Deals" für die deutsche Exportindustrie zu Lasten der Landwirtschaft in sich birgt. Generell besteht die Gefahr neuer handelspolitischer Alleingänge bei Marktkrisen, z.B. Exportstopps bei hohen Getreidepreisen usw.

In der Konsequenz ist aus Sicht der Landwirtschaft eher auf multilaterale als auf bilaterale Handelsabkommen zu setzen.

3. Bei nationalen und europäischen Diskussionen um höhere Produktionsstandards in der Landwirtschaft muss die Situation auf anderen Kontinenten beachtet werden. Andernfalls wird die heimische Landwirtschaft vom Markt durch "Dumping-Standard-Ware" aus Drittländern verdrängt.

Ein ungelöstes Problem ist in diesem Zusammenhang die mangelnde Berücksichtigung unterschiedlicher Produktionsstandards bei WTO. Unter anderem deshalb hat auch ein gewisser Zollschutz weiter seine Berechtigung.

Der Trend zu internationalen Zertifizierungssystemen ist ambivalent: Diese können einen Impuls zu verbesserten Produktionsstandards bringen; diese können neue Marktmacht für Handelskonzerne und eine Blockade für bäuerliche Strukturen bedeuten; häufig ungelöst sind "Leakage-" und Verdrängungseffekte auf die übrige Produktion. Zertifizierung kann kein Ersatz für staatliche Standards bzw. für internationale Abkommen sein.

4. Die Diskussion um die Agrarspekulation sollte sachlich geführt werden. Es sollte, wo notwendig, aber auch konsequent reguliert werden. Es besteht gerade aus Sicht der Landwirte ein Bedarf an funktionierenden Warenterminbörsen, um in schwankenden Agrarmärkten zurechtzukommen. Mehr Transparenz sollte in jedem Falle geschaffen werden (Reporting über gehandelten Positionen nach Umfang und Herkunft).

In der Konsequenz wird vor allem beim außerbörslichen Handel, den sog. OTCGeschäften (over the counter), Handlungsbedarf für eine Regulierung gesehen. Begleitend dazu gehört zur Verbesserung der Markttransparenz auch eine bessere Information über die weltweiten Lagerbestände von Agrarrohstoffen,

5. Die Agrarpreise waren in den vergangenen Jahrzehnten - ähnlich wie die Rohstoffpreise allgemein - relativ niedrig bzw. stiegen weniger an als die allgemeine Inflation. In die Agrarmärkte hinein wirken auch die Impulse von den Energiemärkten - und dies ist eher zum geringeren Teil auf die Förderung der Bioenergie zurückzuführen. Geänderte fundamentale Trends bei den globalen Energiepreisen können an der Landwirtschaft nicht vorbei gehen. Getreide kann auf Dauer nicht billiger als Öl sein. Gleichwohl muss die Nahrungsmittelerzeugung die vorrangige Aufgabe der Landwirtschaft bleiben.

Daraus ergeben sich weniger für die deutschen Verbraucher, sondern vielmehr für die Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern brisante soziale Fragen. Doch haben viele dieser Länder in den vergangenen Jahrzehnten die Entwicklung ihrer eigenen Landwirtschaft vernachlässigt. In diesem Sinne ist der Schwerpunktwechsel in der deutschen Entwicklungshilfe zu Gunsten einer produktiven und nachhaltigen Landwirtschaft, die auf eine schonende Nutzung der Ressourcen angelegt ist, positiv zu sehen.

National geht von einer "Discounterisierung" und Konzentration des Lebensmittelhandels ein erheblicher Preisdruck auf die Land- und Ernährungswirtschaft aus. Die einzige realistische Möglichkeit ist der Aufbau einer gewissen Verhandlungsmacht der Landwirte durch Erzeugerzusammenschlüsse bzw. Genossenschaften. Diese Möglichkeiten bleiben aber gerade angesichts international offener Märkte begrenzt.


*


Quelle:
Pressemitteilung vom 20. Mai 2011
Deutscher Bauernverband, Pressestelle
Claire-Waldoff-Straße 7
10117 Berlin
Tel.: 030 / 31 904 239
Mail: presse@bauernverband.net
Internet: www.bauernverband.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Mai 2011