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ASYL/1269: 25 Jahre Änderung des Grundrechts auf Asyl (Pro Asyl)


Pro Asyl - Pressemitteilung vom 25. Mai 2018

25 Jahre Änderung des Grundrechts auf Asyl

PRO ASYL: Damals ging es um ein deutsches Grundrecht, heute um den Ausstieg eines Kontinents aus dem Flüchtlingsschutz


Am 26. Mai 1993 entkernte der Deutsche Bundestag das Grundrecht auf Asyl. Wer über einen sogenannten sicheren Drittstaat einreist, ist seitdem vom Schutz des Asylrechts ausgeschlossen. »Damals ging es um ein deutsches Grundrecht, heute stehen wir vor dem Ausstieg der Europäischen Union aus dem Flüchtlingsschutz. PRO ASYL warnt vor einer immer weiteren Ausuferung der damals konzipierten Drittstaatenregelung«, so Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.

Am Tag der Bundestagsabstimmung zur Grundgesetzänderung hatte der damalige Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU im Bundestag, Wolfgang Schäuble, behauptet: »Das sich einigende Europa schottet sich nicht ab. Wir verlagern mit der Entscheidung, die wir heute zu treffen haben, unsere Probleme auch nicht auf unsere Nachbarn in Europa«. Genau das ist jedoch geschehen. Die Verfassungsänderung und die darauffolgenden Gesetzesverschärfungen waren die Initialzündung für einen Wettlauf der Schäbigkeiten gegenüber Schutzsuchenden, der die EU-Flüchtlingspolitik bis heute prägt.

Völlige Beseitigung des Zugangs zum Recht auf Asyl in Europa droht

Das europäische Asylrecht soll fundamental entkernt werden. Darüber beraten die Staats- und Regierungschefs Ende Juni und anschließend das EU-Parlament und die EU-Kommission. Die Dimensionen gehen über die deutsche Grundgesetzänderung hinaus. Die militärische Mauer vor Europa wird ergänzt um eine Mauer aus Gesetzen, die den Zugang zum Recht auf Asyl in Europa systematisch verhindern sollen. Wer an Europas Grenzen um Asyl bittet, soll zurückgeschickt werden, ohne dass die Fluchtgründe überhaupt inhaltlich geprüft wurden.

• Es wird nicht mehr nach Fluchtgründen gefragt. Stattdessen wird festgestellt, ob Asylsuchende durch einen angeblichen »sicheren Drittstaat« gekommen sind, wohin man sie zurückschicken kann. Flüchtlinge werden einem vorgeschaltetem »Zulässigkeitsverfahren« unterworfen, in dem einzig und allein geklärt wird, ob ihr Asylantrag zugelassen wird. Falls nicht, kann die Zurückweisung in den Drittstaat erfolgen. Mit dieser Konstruktion wird Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention in Frage gestellt, der das Verbot formuliert, Flüchtlinge in Gebiete zurückzuweisen, in denen ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht ist.

• Schutzsuchende werden in Lagern isoliert. Ob »Hotspot« an der Außengrenze oder »AnkER« in Deutschland (Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungszentrum), Flüchtlingen wird ihre persönliche Freiheit genommen. Der Zweck dieser Lager ist überall gleich: Ankommende Flüchtlinge sollen festgehalten werden, um unmittelbar Zugriff auf sie zu haben. Jahrelange Erfahrungen mit Lagern an den EU-Außengrenzen zeigen, dass diese Unterbringungspraxis menschenunwürdig, traumatisierend und entrechtend ist.

• Wirksamer Rechtsschutz wird verweigert. In Haft- und Massenlagern gibt es für Flüchtlinge keinen Zugang zu einem fairen Asylverfahren, anwaltlicher Beratung und effektivem Rechtsschutz. Unter den neuen europaweit geplanten Rahmenbedingungen für Asylsuchende werden die betroffenen Menschen zu Objekten degradiert, über die bürokratisch entschieden wird. Die gerechte Behandlung des Einzelfalls bleibt im Zweifel auf der Strecke. Zu einem fairen Asylverfahren zählt zudem, dass die betroffenen Menschen das Recht wahrnehmen können, gegen eine negative Entscheidung einen wirksamen Rechtsbehelf bei Gericht einzulegen.

• Es droht die Zurückschiebung in Drittstaaten. Solche so genannten »sicheren Drittstaaten« müssen nicht sicher sein: Es sollen bereits die Durchreise genügen. Die Genfer Flüchtlingskonvention muss in diesen Staaten nicht gelten. Entscheidend ist, mit welchen Drittstaaten die EU entsprechende Deals abschließt. Dazu werden systematisch die Kriterien gesenkt, ab wann ein Drittstaat als sicher eingestuft wird: In der Türkei gilt z. B. die Genfer Flüchtlingskonvention nicht, Schutzsuchende aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak werden willkürlich inhaftiert und zurücküberwiesen, Flüchtende im Grenzgebiet zu Syrien werden beschossen.

• Durch Deals mit Drittstaaten und regionalen Warlords zieht sich die EU aus der Verantwortung für den Flüchtlingsschutz. Schwere Menschenrechtsverletzungen werden dabei bewusst in Kauf genommen und verschwiegen. Die Einheitsregierung Libyens ist bereits ein solcher Partner der EU zur Externalisierung Schutzsuchender. In Gefängnissen, die dieser Regierung unterstehen, wurden laut einem UN-Bericht Flüchtlinge gefoltert. Nach Aussagen ehemaliger Inhaftierter kam es zu Todesfällen.

Nicht nur das Recht auf Asyl in Europa steht auf dem Spiel, es geht um mehr als um den Schutz von Flüchtlingen. Es geht um die fundamentale Frage, ob Europa auch künftig auf Menschenrechten und Demokratie basiert oder ob Rechtspopulisten dieses Europa bis zur Unkenntlichkeit zerlegen. In rassistisch geführten Wahlkämpfen in Österreich und Italien wurden Flüchtlinge zu Sündenböcken instrumentalisiert und für Probleme verantwortlich gemacht, die sie nicht zu verantworten haben. In Deutschland sind Rechtspopulisten in den Bundestag eingezogen.

25 Jahre nach der Änderung des deutschen Grundrechts steht die Europäische Union vor einer entscheidenden Weichenstellung.

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Quelle:
Pro Asyl - Pressemitteilung vom 25. Mai 2018
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Mai 2018

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