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AUSSEN/567: Völkermord an den OvaHerero - Letzte mediale und politische Rückzugsgefechte (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 4, Juli/August 2016

Letzte mediale und politische Rückzugsgefechte

von Andreas Bohne


Über die Frage des Völkermords an den OvaHerero während des Kolonialkrieges in Deutsch-Südwestafrika hat afrika süd in verschiedenen Ausgaben berichtet (u.a. 2/2012,2 und 4/2015). Nachdem die Anerkennung des Völkermordes endlich in der Politik angekommen zu sein scheint, deuten mediale Rückzugsgefechte darauf hin, dass Berlin sich schwer tut, Konsequenzen aus der Anerkennung des Genozids zu ziehen.


In der ZDF-Sendung "Bonn direkt" am 12. Juni 2016 nahm Bundestagspräsident Norbert Lammert Stellung. Dass es keine "unmissverständliche" und "ähnliche" Äußerung auf deutscher Seite zu dem Völkermord an den OvaHerero gibt, wie zu dem Genozid an den Armenier von den Jungtürken, findet Lammert "bedauerlich" und "auch ein bisschen peinlich". Nun wäre es vermessen, Norbert Lammert auf die gleiche Stufe wie Esther Muinjangue zu stellen. Die Vorsitzende der OvaHerero Genocide Foundation kritisiert wie viele andere OvaHerero- und Nama-Aktivist/innen bereits seit vielen Jahren die doppelten Standards bei der Anerkennung von Genoziden und benannte kürzlich wieder die Doppelmoral. Dennoch ist Lammert, wie auch mit seinem Artikel in "Der Zeit" vom 9.7.2015, wieder vielen Politikern der Regierungsparteien einen Schritt voraus. Das scheint auch nicht schwer, wirft man einen Blick auf Aussagen anderer Politikerinnen und Politiker. Dagmar Wöhrl, immerhin Vorsitzende des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestages, sagte nach einem Aufenthalt in Namibia Ende Mai 2016 gegenüber der Deutschen Welle: "Eine der großen Sternstunden des deutschen Parlamentes [wird] sein, wenn wir über die Ergebnisse des Dialogprozesses diskutieren." (DW, 31.5.2016) Dienen also diese Initiativen vor allem der Selbstvergewisserung deutscher Politik, kann man sich angesichts solcher Aussagen fragen? Eher wohl einer paternalistischen Haltung.


Zwischen Druck, Entgegenkommen und wenig Wissen

Seit letztem November gibt es Bewegung auf diplomatischer Ebene. Mit Ruprecht Polenz und Zed Ngavirue wurden zwei Sonderbeauftragte benannt, drei Verhandlungsrunden fanden bisher statt. Seither gibt es aber auch Kritik an dem sogenannten diplomatischen Dialogprozess. Zum einen dringen kaum Informationen über Gesprächsinhalte nach außen, wieweit man in Fragen der immer wieder erwähnten gemeinsamen Sprache von namibischem und deutschem Parlament ist, oder inwieweit Entschädigungszahlungen - diesen Terminus, den die deutsche Diplomatie wie der Teufel das Weihwasser meidet - bereits diskutiert wurden. Zum anderen wird die mangelnde Einbeziehung der namibischen Betroffenenverbände kritisiert, denen eine direkte Teilnahme an den Gesprächen nicht ermöglicht wird.

Stattdessen wird immer wieder auf das von der namibischen Regierung eingerichtete "technical committee" verwiesen, in dem alle Bevölkerungsgruppen einbezogen werden und auf das sich der Sonderbeauftragte Ngavirue stützt. Interessant in diesem Zusammenhang ist jedoch dessen eigene Aussage. In der Tageszeitung "Namibian Sun" erwähnte er, dass die Opfergruppen auf Druck der deutschen Seite ausgeschlossen wurden. Die Forderung einer direkten Teilnahme wird immer wieder von Herero Chief Vekuii Rukoro lautstark erhoben. Nicht nur dadurch, auch aufgrund seiner hohen Reparationsforderung dient er oftmals als Feindbild. Dabei sind Reparationen durchaus auch das Ziel der offiziellen namibischen Seite und nicht nur von Vertreter/innen der Betroffenenverbände. Zed Ngavirue betonte kürzlich, dass nach der Anerkennung und der Entschuldigung der wichtigste Punkt folgt: "Die Frage der Reparationen." (KNA, 13.6.2016) Dass diese sicherlich ein Knackpunkt werden, zeigen aktuelle Aussagen vom deutschen Botschafter Christian Schlaga oder Ruprecht Polenz, der direkte Zahlungen an Nachfahren der Opfer ausschließt. Stattdessen sollen nach Ruprecht Polenz finanzielle Mittel in eine "Zukunftsstiftung" fließen, die zwar eine gemeinsame Erinnerungskultur und Jugendaustausch fördern soll, gleichzeitig ebenso Projekte der Berufsbildung oder Infrastruktur - und sich somit von der "Sonderinitiative" kaum unterscheidet. Überhaupt scheint das Wort "Zukunft" die deutschen politischen Diskurse zu bestimmen - es fallen Worte wie Zukunftsstiftung, -projekte und -fonds.

Hinderlich für eine stärkere Verhandlungsposition der namibischen Seite sind Divergenzen zwischen Regierung und Betroffenenverbänden. Namibische Medien berichten immer wieder von heftigen Kontroversen; gleichzeitig kam es im Juli zu einem Treffen verschiedener OvaHerero- und Nama-Vertreter mit Polenz. Ebenso fühlen sich die Damara nicht ausreichend berücksichtigt.


Versuche eines konservativen roll-backs

Wie ein letztes Aufbäumen versuchen Kolonialrevanchisten und konservative politische Kreise immer wieder zu leugnen, dass in Namibia ein Völkermord begangen wurde - vielleicht gerade weil dies endlich bei den Politikern anzukommen scheint. Maximal wird von einer genozidalen Tat gesprochen. Davon ist nicht nur in den abgedruckten Artikeln in der deutschsprachigen namibischen "Allgemeinen Zeitung" die Rede, sondern auch aktuell in einem Artikel vor Bartholomäus Grill im Spiegel (Ausgabe 24/2016). Unter dem Titel "Gewisse Ungewissheiten" ließ er den Hobbyhistoriker Hinrich Schneider-Waterberg, durch das Buch mit dem sprechenden Titel "Der Wahrheit eine Gasse" nicht unbekannt, sondern berüchtigt, zu Wort kommen. Schneider-Waterberg stellte wiederholt die Völkermordabsicht in Frage, warf Verfechtern des Völkermordes Geschichtsklitterei vor und schlug in die bekannte Kerbe, dass es maximal ein Kolonialkrieg gewesen wäre, wie er auch von anderen Kolonialmächten geführt wurde.

Grill hat im Gefolge von Schneider-Waterberg vor allem gegen Horst Drechsler argumentiert, der - nach Auffassung Grills und seines Gewährsmannes - allein schon als marxistischer DDR-Historiker jegliche wissenschaftliche Legitimation verloren habe. Geradezu perfide ist die Schneider-Waterberg'sche Behauptung, dass die Zuschreibung "edler Afrikaner" und "barbarischer Deutscher" eine "rein eurozentristische Perspektive" sei. All dies ist längst widerlegt. Grill bringt es sogar fertig, stillschweigend den Titel eines Aufsatzes von Werner Hillebrecht ("Certain Uncertainties" 2007) zu adaptieren, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass dort Punkt für Punkt die Position der namibischen Historikerin Brigitte Lau, auf die auch Schneider-Waterberg sich beruft, widerlegt wird.(1)

Daneben verschweigt Grill die genozidalen Funktion der Konzentrationslager wie auf der Haifischinsel vor Lüderitzbucht, die gerade nicht nur die OvaHerero, sondern auch die sich ab 1905 erhobenen Nama betraf. Und hier scheint sich gleichzeitig ein Problem zu ergeben. In den medialen und politischen Diskursen wird - obwohl in Pressemitteilungen oder Stellungnahmen namibischer Gruppen und internationaler Unterstützer/innen immer wieder betont - meist nur auf den Völkermord an den OvaHerero verwiesen. Historiker wie Jürgen Zimmerer und Joachim Zeller, deren Standardwerk "Völkermord in Deutsch-Südwestafrika" aktuell in einer (unveränderten) 3. Auflage erschien, verweisen auf die Vernichtungsabsicht durch rassistische Exklusion und die bewusste Ermordung durch Vernachlässigung und Arbeitszwang innerhalb der eingerichteten Konzentrationslager, wovon sowohl die OvaHerero als auch die Nama betroffen waren. Damit kann diese Politik nach der Genfer Konvention als Vernichtungspolitik gewertet werden.

Gesine Krüger, Geschichtsprofessorin an der Universität Zürich, führt in ihrer Replik auf den Grill-Text treffend an, dass der juristische Genozid-Begriff vielleicht kritisch bewertet werden kann, das historische Geschehen dagegen bei Fachleuten unstrittig ist.(2)

Die mediale Aufmerksamkeit, welche der Völkermord in Zeitungen in den vergangenen Wochen wieder erhalten hat (Artikel erschienen in der FAZ, Frankfurter Rundschau, Berliner Zeitung und anderen), verdeutlicht jedoch die gravierenden Defizite in der gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialpolitik und dem Völkermord - der Text von Grill dürfte dort nur der Tiefpunkt sein. Insbesondere in Kommentarspalten werden Tatsachen infrage gestellt und bagatellisiert.


"Sichere Unsicherheiten"

Sicher ist: Die Anerkennung des Völkermordes durch die Bundesregierung und die Bitte um Entschuldigung in dieser Legislaturperiode werden kommen. Dahinter können weder die Bundesregierung noch der Bundestag zurückfallen. Ebenso muss die Bundesregierung in Kürze wieder Stellung nehmen, hat die Fraktion Die Linke am 16. Juni 2016 doch eine umfangreiche Kleine Anfrage (Drucksache 188859) gestellt. Unsicher ist dagegen die Tragweite der kommenden Aussagen: Bundestagspräsident Lammert spricht bisher nur von einer "Erklärung" des Bundestags, während die Bundesregierung von einer "gemeinsamen Erklärung" spricht. Unsicher ist ebenso: Wird es Reparationen geben oder beharrt die Bundesregierung auf "Entwicklungszahlungen", die in den Fonds einer "Zukunftsstiftung" fließen könnten? Unsicher ist ferner: Wie viele Fauxpas werden die deutschen politischen Vertreterinnen und Vertreter bis dahin noch folgen lassen? Dass Dagmar Wöhrl nach ihrer Reise Ende Mai 2016 betonte, der Versöhnungsprozess werde bald abgeschlossen sein, zeigt doch eine gewisse Naivität über das Ausmaß von "Versöhnung" und der Nachwirkungen eines Völkermords.


Der Autor ist engagiert beim Bündnis "Völkermord verjährt nicht!"
www.genocide-namibia.net


Anmerkungen:

(1) s. Werner Hillebrecht, Certain uncertainties or venturing progressively into colonial apolegetics?, Journal of Namibian Studies 1 (2007), S. 73-95. Ausführlich zu den Fälschungen Schneider-Waterbergs s. Reinhart Kössler, Namibia and Germany. Negotiating the Past, Windhoek und Münster 2015, Kap. 5.

(2) Gesine Krüger, "Unbelehrbare alte Männer. "Der Spiegel" und der deutsche Kolonialkrieg in Namibia
http://geschichtedergegenwart.ch/unbelehrbare-alte-maenner-der-deutsche-kolonialkriegin-namibia-im-spiegel!

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
45. Jahrgang, Nr. 4, Juli/August 2016, S. 14-15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2016

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